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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Weltmacht

s giebt heute ohne Zweifel viele Deutsche, die der kaiserlichen
Parole "Weltmacht" vou Herzen zustimmein Wenn aber die
Lösung folgen soll, so stocken wohl die meisten, weil ihnen das
Herz nicht zu sagen vermag, was denn nötig sei, um Deutsch¬
land zu eiuer Weltmacht zu erheben. In der That, es ist nicht
leicht, diesen Begriff fest zu definieren, den weder das Stnatsrecht noch das
Völkerrecht keimen, eben weil er nicht ein Begriff des absoluten Rechts, sondern
der Macht ist, die immer nur eine relative Bedeutung hat. Es gab und giebt
noch heute sehr große Reiche, die doch nicht zu den Weltmächten gehöre", wie
z.B. Brasilien; es giebt andre, die ebensowenig eine Weltmacht sind, und deren
Interessen doch die Welt umspannen, wie die Niederlande mit ihren großen
.Kolonien, wie Norwegen mit seiner großen Handelsflotte. Weder großer Land¬
besitz noch große Interessen also machen einen Staat an sich schon zu eiuer
Weltmacht, sodaß mau nicht ohne Grund etwas mißtrauisch sein könnte einem
Wort gegenüber, über dessen Inhalt die meisten verschiedner Meinung sein
dürften.

Und doch hat es einen ebenso schwer bestimmbaren Begriff gegeben, der
lange Zeit in den politischen Geschäften Europas für vollwertige Münze ge¬
golten hat, nämlich den Begriff der Großmacht, womit sich seit dem Wiener
Kongreß gewisse Staaten beehrten, weil und sobald sie sich die Kraft zutrauten,
andre Staaten als kleine oder mittlere, das heißt als solche zu behandeln,
die nicht die Kraft hätten, sich dem Willen der Großmächte zu widersetzen,
noch das Recht, eine Stimme in ihrem Rate zu führen. Es hat auch vor¬
her große Mächte und kleine Mächte gegeben, aber der besondre Großmacht-
l'egriff, wie er bis in die zweite Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts hinein
Geltung hatte, ist doch erst herangereift auf dem Baume, der zu Wien gepflanzt
wurde, und den man seitdem als den Baum der europäischen Penwrchie
über alles niedre Gewächs hat tiefen Schatten verbreiten sehen. Vorher war


Gronzboten II 1900 L4


Weltmacht

s giebt heute ohne Zweifel viele Deutsche, die der kaiserlichen
Parole „Weltmacht" vou Herzen zustimmein Wenn aber die
Lösung folgen soll, so stocken wohl die meisten, weil ihnen das
Herz nicht zu sagen vermag, was denn nötig sei, um Deutsch¬
land zu eiuer Weltmacht zu erheben. In der That, es ist nicht
leicht, diesen Begriff fest zu definieren, den weder das Stnatsrecht noch das
Völkerrecht keimen, eben weil er nicht ein Begriff des absoluten Rechts, sondern
der Macht ist, die immer nur eine relative Bedeutung hat. Es gab und giebt
noch heute sehr große Reiche, die doch nicht zu den Weltmächten gehöre», wie
z.B. Brasilien; es giebt andre, die ebensowenig eine Weltmacht sind, und deren
Interessen doch die Welt umspannen, wie die Niederlande mit ihren großen
.Kolonien, wie Norwegen mit seiner großen Handelsflotte. Weder großer Land¬
besitz noch große Interessen also machen einen Staat an sich schon zu eiuer
Weltmacht, sodaß mau nicht ohne Grund etwas mißtrauisch sein könnte einem
Wort gegenüber, über dessen Inhalt die meisten verschiedner Meinung sein
dürften.

Und doch hat es einen ebenso schwer bestimmbaren Begriff gegeben, der
lange Zeit in den politischen Geschäften Europas für vollwertige Münze ge¬
golten hat, nämlich den Begriff der Großmacht, womit sich seit dem Wiener
Kongreß gewisse Staaten beehrten, weil und sobald sie sich die Kraft zutrauten,
andre Staaten als kleine oder mittlere, das heißt als solche zu behandeln,
die nicht die Kraft hätten, sich dem Willen der Großmächte zu widersetzen,
noch das Recht, eine Stimme in ihrem Rate zu führen. Es hat auch vor¬
her große Mächte und kleine Mächte gegeben, aber der besondre Großmacht-
l'egriff, wie er bis in die zweite Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts hinein
Geltung hatte, ist doch erst herangereift auf dem Baume, der zu Wien gepflanzt
wurde, und den man seitdem als den Baum der europäischen Penwrchie
über alles niedre Gewächs hat tiefen Schatten verbreiten sehen. Vorher war


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[0513] [Abbildung] Weltmacht s giebt heute ohne Zweifel viele Deutsche, die der kaiserlichen Parole „Weltmacht" vou Herzen zustimmein Wenn aber die Lösung folgen soll, so stocken wohl die meisten, weil ihnen das Herz nicht zu sagen vermag, was denn nötig sei, um Deutsch¬ land zu eiuer Weltmacht zu erheben. In der That, es ist nicht leicht, diesen Begriff fest zu definieren, den weder das Stnatsrecht noch das Völkerrecht keimen, eben weil er nicht ein Begriff des absoluten Rechts, sondern der Macht ist, die immer nur eine relative Bedeutung hat. Es gab und giebt noch heute sehr große Reiche, die doch nicht zu den Weltmächten gehöre», wie z.B. Brasilien; es giebt andre, die ebensowenig eine Weltmacht sind, und deren Interessen doch die Welt umspannen, wie die Niederlande mit ihren großen .Kolonien, wie Norwegen mit seiner großen Handelsflotte. Weder großer Land¬ besitz noch große Interessen also machen einen Staat an sich schon zu eiuer Weltmacht, sodaß mau nicht ohne Grund etwas mißtrauisch sein könnte einem Wort gegenüber, über dessen Inhalt die meisten verschiedner Meinung sein dürften. Und doch hat es einen ebenso schwer bestimmbaren Begriff gegeben, der lange Zeit in den politischen Geschäften Europas für vollwertige Münze ge¬ golten hat, nämlich den Begriff der Großmacht, womit sich seit dem Wiener Kongreß gewisse Staaten beehrten, weil und sobald sie sich die Kraft zutrauten, andre Staaten als kleine oder mittlere, das heißt als solche zu behandeln, die nicht die Kraft hätten, sich dem Willen der Großmächte zu widersetzen, noch das Recht, eine Stimme in ihrem Rate zu führen. Es hat auch vor¬ her große Mächte und kleine Mächte gegeben, aber der besondre Großmacht- l'egriff, wie er bis in die zweite Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts hinein Geltung hatte, ist doch erst herangereift auf dem Baume, der zu Wien gepflanzt wurde, und den man seitdem als den Baum der europäischen Penwrchie über alles niedre Gewächs hat tiefen Schatten verbreiten sehen. Vorher war Gronzboten II 1900 L4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/513>, abgerufen am 29.06.2024.