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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Auf Sizilien

mäßige Fenster in den kahlen Mauern, höhlenartige Eingänge, zerfallende
Treppenstufen, nicht die Spur von Grün oder gar von Blumen. Und in
dieser Umgebung bringen die Leute ihr ganzes Leben hin! Doch die Osteria
erwies sich als annehmbar, an den Wänden hingen Bilder des Königspaares
und Karten der Eritrea; der Wein und die Zukost, die beide auch den rgM??i
nicht vorenthalten wurden, waren recht genießbar, die Padrona, eine stattliche
Frau, kam höflich knicksend herbei, zeigte uns stolz das Fremdenbuch, das eine
Menge deutscher Namen, darunter manche bekannten Klanges enthielt, und
weigerte sich vornehm, irgend einen Preis für das Frühstück zu nennen, was
bekanntlich die Sache nicht billiger macht; schließlich ließ sie uns durch ihre
niedliche Tochter Blnmenstrüußchen überreichen und verabschiedete uns mit
freundlichem Luon pig.Mo!

Beim Hinabreiten hatten wir den Westabfall des Kastellberges gerade vor
uns, der kunstvoll terrassiert ist, um die Erde festzuhalten. Wieviel Blut haben
sie doch getrunken, diese Abhänge, wieviel Greuel gesehen, niemals ärgere als
im Jahre 132 v. Chr., da die hier eingeschlossenen empörten Sklaven in ihrer
Verzweiflung Weiber und Kinder schlachteten, um länger auszuhalten, und
dann, als sie sich doch ergeben mußten, auf Befehl des Konsuls Rupilius
diese Felsen hinabgestürzt wurden. Das sind wirklich "Gespenster," die den
Genuß des herrlichen Ausblicks auf Gebirge und See verkümmern könnten,
doch zum Glück eben nur für den sichtbar, der sich daran erinnert.

Messina

Wir verließen Taormina gegen Abend und langten nach nur einstündiger
Fahrt längs des Meeres, auf dem das Mondlicht goldne Streifen zog, in
Messinn an. Hier trennte sich mein Reisegefährte von mir, nur noch in der¬
selben Nacht von Reggio zu Lande nach Neapel zu fahren; ich blieb im Hotel
Victoria, weil ich am nächsten Tage den fülligen Dampfer nach Neapel be¬
nutzen und etwas von Messina sehen wollte. Natürlich fehlte es auch in
diesem Gnsthofe, der seit langen Jahren einem Deutschen gehört, nicht an
Landsleuten, und unter Geschäftsreisenden traf ich auch einen jungen Offizier
von einem württembergischen Infanterieregiment, der ebenfalls Sizilien bereist
hatte, jetzt aber rasch der Heimat zustreben wollte, deshalb mit demselben
Dampfer zu fahren gedachte. Da dieser erst am nächsten Nachmittag abgehn
sollte, so blieb für Messina genügende Zeit.

Messina hat durch Nnturgewnlt und Menschenhand mehr gelitten als die
meisten andern Städte Siziliens. Erdbeben haben die Stadt noch in den
letzten Jahrhunderten, 1783 und 1894, schwer geschädigt, Seuchen noch 1740
und 1854 sie entvölkert, und da sie seit ihrer Gründung um 730 v. Chr. an
der Kreuzung zweier der "Unwichtigsten Verkehrsstraßen lag, so haben alle
Eroberer, die vou Italien herüberkamen, znerst Messina in ihre Gewalt ge¬
bracht, 282 die Mmnertiner, 264 die Römer, 1061 n. Chr. die Normannen,
1194 die Hohenstaufen. Daher ist in dieser Stadt, die zu den ältesten der
Insel gehört, von antiken Werken gar nichts mehr übrig, und aus dem Mittel-


Auf Sizilien

mäßige Fenster in den kahlen Mauern, höhlenartige Eingänge, zerfallende
Treppenstufen, nicht die Spur von Grün oder gar von Blumen. Und in
dieser Umgebung bringen die Leute ihr ganzes Leben hin! Doch die Osteria
erwies sich als annehmbar, an den Wänden hingen Bilder des Königspaares
und Karten der Eritrea; der Wein und die Zukost, die beide auch den rgM??i
nicht vorenthalten wurden, waren recht genießbar, die Padrona, eine stattliche
Frau, kam höflich knicksend herbei, zeigte uns stolz das Fremdenbuch, das eine
Menge deutscher Namen, darunter manche bekannten Klanges enthielt, und
weigerte sich vornehm, irgend einen Preis für das Frühstück zu nennen, was
bekanntlich die Sache nicht billiger macht; schließlich ließ sie uns durch ihre
niedliche Tochter Blnmenstrüußchen überreichen und verabschiedete uns mit
freundlichem Luon pig.Mo!

Beim Hinabreiten hatten wir den Westabfall des Kastellberges gerade vor
uns, der kunstvoll terrassiert ist, um die Erde festzuhalten. Wieviel Blut haben
sie doch getrunken, diese Abhänge, wieviel Greuel gesehen, niemals ärgere als
im Jahre 132 v. Chr., da die hier eingeschlossenen empörten Sklaven in ihrer
Verzweiflung Weiber und Kinder schlachteten, um länger auszuhalten, und
dann, als sie sich doch ergeben mußten, auf Befehl des Konsuls Rupilius
diese Felsen hinabgestürzt wurden. Das sind wirklich „Gespenster," die den
Genuß des herrlichen Ausblicks auf Gebirge und See verkümmern könnten,
doch zum Glück eben nur für den sichtbar, der sich daran erinnert.

Messina

Wir verließen Taormina gegen Abend und langten nach nur einstündiger
Fahrt längs des Meeres, auf dem das Mondlicht goldne Streifen zog, in
Messinn an. Hier trennte sich mein Reisegefährte von mir, nur noch in der¬
selben Nacht von Reggio zu Lande nach Neapel zu fahren; ich blieb im Hotel
Victoria, weil ich am nächsten Tage den fülligen Dampfer nach Neapel be¬
nutzen und etwas von Messina sehen wollte. Natürlich fehlte es auch in
diesem Gnsthofe, der seit langen Jahren einem Deutschen gehört, nicht an
Landsleuten, und unter Geschäftsreisenden traf ich auch einen jungen Offizier
von einem württembergischen Infanterieregiment, der ebenfalls Sizilien bereist
hatte, jetzt aber rasch der Heimat zustreben wollte, deshalb mit demselben
Dampfer zu fahren gedachte. Da dieser erst am nächsten Nachmittag abgehn
sollte, so blieb für Messina genügende Zeit.

Messina hat durch Nnturgewnlt und Menschenhand mehr gelitten als die
meisten andern Städte Siziliens. Erdbeben haben die Stadt noch in den
letzten Jahrhunderten, 1783 und 1894, schwer geschädigt, Seuchen noch 1740
und 1854 sie entvölkert, und da sie seit ihrer Gründung um 730 v. Chr. an
der Kreuzung zweier der «Unwichtigsten Verkehrsstraßen lag, so haben alle
Eroberer, die vou Italien herüberkamen, znerst Messina in ihre Gewalt ge¬
bracht, 282 die Mmnertiner, 264 die Römer, 1061 n. Chr. die Normannen,
1194 die Hohenstaufen. Daher ist in dieser Stadt, die zu den ältesten der
Insel gehört, von antiken Werken gar nichts mehr übrig, und aus dem Mittel-


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[0504] Auf Sizilien mäßige Fenster in den kahlen Mauern, höhlenartige Eingänge, zerfallende Treppenstufen, nicht die Spur von Grün oder gar von Blumen. Und in dieser Umgebung bringen die Leute ihr ganzes Leben hin! Doch die Osteria erwies sich als annehmbar, an den Wänden hingen Bilder des Königspaares und Karten der Eritrea; der Wein und die Zukost, die beide auch den rgM??i nicht vorenthalten wurden, waren recht genießbar, die Padrona, eine stattliche Frau, kam höflich knicksend herbei, zeigte uns stolz das Fremdenbuch, das eine Menge deutscher Namen, darunter manche bekannten Klanges enthielt, und weigerte sich vornehm, irgend einen Preis für das Frühstück zu nennen, was bekanntlich die Sache nicht billiger macht; schließlich ließ sie uns durch ihre niedliche Tochter Blnmenstrüußchen überreichen und verabschiedete uns mit freundlichem Luon pig.Mo! Beim Hinabreiten hatten wir den Westabfall des Kastellberges gerade vor uns, der kunstvoll terrassiert ist, um die Erde festzuhalten. Wieviel Blut haben sie doch getrunken, diese Abhänge, wieviel Greuel gesehen, niemals ärgere als im Jahre 132 v. Chr., da die hier eingeschlossenen empörten Sklaven in ihrer Verzweiflung Weiber und Kinder schlachteten, um länger auszuhalten, und dann, als sie sich doch ergeben mußten, auf Befehl des Konsuls Rupilius diese Felsen hinabgestürzt wurden. Das sind wirklich „Gespenster," die den Genuß des herrlichen Ausblicks auf Gebirge und See verkümmern könnten, doch zum Glück eben nur für den sichtbar, der sich daran erinnert. Messina Wir verließen Taormina gegen Abend und langten nach nur einstündiger Fahrt längs des Meeres, auf dem das Mondlicht goldne Streifen zog, in Messinn an. Hier trennte sich mein Reisegefährte von mir, nur noch in der¬ selben Nacht von Reggio zu Lande nach Neapel zu fahren; ich blieb im Hotel Victoria, weil ich am nächsten Tage den fülligen Dampfer nach Neapel be¬ nutzen und etwas von Messina sehen wollte. Natürlich fehlte es auch in diesem Gnsthofe, der seit langen Jahren einem Deutschen gehört, nicht an Landsleuten, und unter Geschäftsreisenden traf ich auch einen jungen Offizier von einem württembergischen Infanterieregiment, der ebenfalls Sizilien bereist hatte, jetzt aber rasch der Heimat zustreben wollte, deshalb mit demselben Dampfer zu fahren gedachte. Da dieser erst am nächsten Nachmittag abgehn sollte, so blieb für Messina genügende Zeit. Messina hat durch Nnturgewnlt und Menschenhand mehr gelitten als die meisten andern Städte Siziliens. Erdbeben haben die Stadt noch in den letzten Jahrhunderten, 1783 und 1894, schwer geschädigt, Seuchen noch 1740 und 1854 sie entvölkert, und da sie seit ihrer Gründung um 730 v. Chr. an der Kreuzung zweier der «Unwichtigsten Verkehrsstraßen lag, so haben alle Eroberer, die vou Italien herüberkamen, znerst Messina in ihre Gewalt ge¬ bracht, 282 die Mmnertiner, 264 die Römer, 1061 n. Chr. die Normannen, 1194 die Hohenstaufen. Daher ist in dieser Stadt, die zu den ältesten der Insel gehört, von antiken Werken gar nichts mehr übrig, und aus dem Mittel-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/504>, abgerufen am 29.06.2024.