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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Wie mein Hans Vhm Minister wurde

Hütte, Es hieß, Ofen und Pest seien von den Ungarn verlassen, eine starke
Abteilung lüge an der Theiß in Szolnok und Miklos, und Kossuth sei mit
seinem Anhang nach Szegedin geeilt. Die Bewohner waren durch unser
freundliches Verhalten ermutigt worden; sie kehrten in ihre Häuser zurück und
nahmen unsre Truppen gern auf. Das war besonders auffallend in Miskolcz,
einer Stadt mit zahlreichen Einwohnern, in der sich ein großer Teil des Adels
aufhielt. Das Volk, durch den Krieg erschöpft, ohne Geld und ohne Obrigkeit,
war sehr erfreut über die bevorstehende Umänderung und sprach mit Vergnügen
von der Einnahme Debreczins durch unsre Truppen. Alle, oder wenigstens
die Mehrzahl der Bewohner, begriffen endlich ihre Lage und sehnten nnr ein
baldiges Ende herbei. In Miskolcz wurde dem Generalfeldmarschall eine
Deputation vorgestellt, die die russischen Waffen rühmte und möglichst strenge
Maßregeln zur Beruhigung des Landes zu treffen bat. Zutrauen bestand nur
zu den Russen; denn wenn auch durch das ganze Land Kossuths Proklamationen
gingen, die das Volk Mann für Mann zum Aufstande gegen uns aufforderten,
so war hiermit auch die ganze Thätigkeit der ungarischen Negierung erschöpft.
In den erwähnten Proklamationen wurde dem ganzen Volke mitgeteilt, daß
Ungarn auf irgend welche Unterstützung von keiner Seite zu rechnen habe;
man müsse allein kämpfen und das Vaterland durch eigne Kraft retten. Zur
Erhöhung der Begeisterung des Volkes wurden besondre Gebete verfaßt; außer¬
dem schrieben die Zeitungen von Grausamkeiten der Russen gegen die Be¬
wohner des Landes und die Gefangnen; aber all diese Aufrufe und Nachrichten
brachten keinen Eindruck hervor, weil sich das Volk selbst durch Anschauung
vom Gegenteil überzeugte. Allgemeine Niedergeschlagenheit folgte auf die
voraufgegangnen glänzenden Träume der Patrioten; Kossuth war vou seinem
Ruhmesaltar herabgestürzt. Insgeheim bestand noch Hoffnung auf die Armee
Görgeis und die Südarmee; aber die letzten Mißerfolge, die auch diese Ab¬
teilung betroffen hatten, trugen noch mehr zur allgemeinen Enttäuschung bei,

(Fortsetzung folgt)




Wie mein Hans Ohm Minister wurde
Timm Uröger von
Erstes Kapitel

odn Morgn, sagte jemand, der bei dem Verlehntsmann (Altenteiler)
Jasper Thun in die Stube trat. Das war mein Hans Ohm, der
Dorsschneider von Fallingborstel und Umgegend, Früher hatte er
sich mit Detlev Reese in die Ehre und in den Verdienst teilen müssen;
seitdeni man aber den Meister Detlev nach dem Kirchhof gebracht
hatte (und das war vor vier Wochen geschehen), war er der alleinige,
der einzige Kleidertuustler. Zu Jasper Thun kam er zum erstenmal.


Grenzboten II 1900 v
Wie mein Hans Vhm Minister wurde

Hütte, Es hieß, Ofen und Pest seien von den Ungarn verlassen, eine starke
Abteilung lüge an der Theiß in Szolnok und Miklos, und Kossuth sei mit
seinem Anhang nach Szegedin geeilt. Die Bewohner waren durch unser
freundliches Verhalten ermutigt worden; sie kehrten in ihre Häuser zurück und
nahmen unsre Truppen gern auf. Das war besonders auffallend in Miskolcz,
einer Stadt mit zahlreichen Einwohnern, in der sich ein großer Teil des Adels
aufhielt. Das Volk, durch den Krieg erschöpft, ohne Geld und ohne Obrigkeit,
war sehr erfreut über die bevorstehende Umänderung und sprach mit Vergnügen
von der Einnahme Debreczins durch unsre Truppen. Alle, oder wenigstens
die Mehrzahl der Bewohner, begriffen endlich ihre Lage und sehnten nnr ein
baldiges Ende herbei. In Miskolcz wurde dem Generalfeldmarschall eine
Deputation vorgestellt, die die russischen Waffen rühmte und möglichst strenge
Maßregeln zur Beruhigung des Landes zu treffen bat. Zutrauen bestand nur
zu den Russen; denn wenn auch durch das ganze Land Kossuths Proklamationen
gingen, die das Volk Mann für Mann zum Aufstande gegen uns aufforderten,
so war hiermit auch die ganze Thätigkeit der ungarischen Negierung erschöpft.
In den erwähnten Proklamationen wurde dem ganzen Volke mitgeteilt, daß
Ungarn auf irgend welche Unterstützung von keiner Seite zu rechnen habe;
man müsse allein kämpfen und das Vaterland durch eigne Kraft retten. Zur
Erhöhung der Begeisterung des Volkes wurden besondre Gebete verfaßt; außer¬
dem schrieben die Zeitungen von Grausamkeiten der Russen gegen die Be¬
wohner des Landes und die Gefangnen; aber all diese Aufrufe und Nachrichten
brachten keinen Eindruck hervor, weil sich das Volk selbst durch Anschauung
vom Gegenteil überzeugte. Allgemeine Niedergeschlagenheit folgte auf die
voraufgegangnen glänzenden Träume der Patrioten; Kossuth war vou seinem
Ruhmesaltar herabgestürzt. Insgeheim bestand noch Hoffnung auf die Armee
Görgeis und die Südarmee; aber die letzten Mißerfolge, die auch diese Ab¬
teilung betroffen hatten, trugen noch mehr zur allgemeinen Enttäuschung bei,

(Fortsetzung folgt)




Wie mein Hans Ohm Minister wurde
Timm Uröger von
Erstes Kapitel

odn Morgn, sagte jemand, der bei dem Verlehntsmann (Altenteiler)
Jasper Thun in die Stube trat. Das war mein Hans Ohm, der
Dorsschneider von Fallingborstel und Umgegend, Früher hatte er
sich mit Detlev Reese in die Ehre und in den Verdienst teilen müssen;
seitdeni man aber den Meister Detlev nach dem Kirchhof gebracht
hatte (und das war vor vier Wochen geschehen), war er der alleinige,
der einzige Kleidertuustler. Zu Jasper Thun kam er zum erstenmal.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/49>, abgerufen am 29.06.2024.