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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Erinnerungen an den ungarischen Feldzug im Jahre ^8HH

Truppen des dritten Korps unter dem Grafen Rüdiger aus Plavniza eintrafen;
so genau waren die Marschrouten vorher bestimmt. Der Graf Hütte, von
Neumarkt direkt auf Kaschau marschierend, noch einen Tag eher eintreffen
können, aber es war ihm vorgeschrieben, Lnpkow zu berühren und einen Tag
im Gebirge zu verweilen, eben in der Absicht, daß alle zugleich in Eperies
eintrafen. Als der Generalfeldmarschall an der Spitze seiner Truppen in
weißer Mütze zu Pferde den Grafen Rüdiger erblickte, sprengte er im Galopp
auf ihn zu, und beide umarmten sich herzlich. Der Einmarsch der Truppen
in Eperies war wirklich ein prächtiges Schauspiel. Die Kunde von dem
Scharmützel bei Hethars war schon hierher gedrungen und hatte auf die Ge¬
müter offenbar günstig gewirkt. Es war ein herrlicher Tag, alle Fenster
standen auf, Damen in prächtigen Kleidern winkten aus den Fenstern, warfen
Blumen von oben herab auf den Feldmarschall, und andre streuten Blumen
auf der Straße. Die Häuser waren mit Teppichen geschmückt, und die Straßen
wimmelten von Volk. Eperies zeichnete sich besonders durch seine festlichen
Empfänge ans, wie denn uns unserm Rückwege die Festlichkeiten noch gro߬
artiger waren, als diesesmal. Man sagte uns übrigens, daß die Stadt
genau so auch die Österreicher und die Ungarn empfangen hätte und nnr da¬
durch unbeschädigt geblieben sei. Meistens hingen in den Städten und Orten,
durch die die Truppen kamen, Flaggen aus: für uns weiße, für die Öster¬
reicher gelb und schwarze und für die Ungarn grün und rote; und jedes Haus
hatte so drei Flaggen in Bereitschaft, die je nach Bedarf aufgezogen wurden.
In Eperies kam es dadurch zu einem ergötzlichen Zwischenfall. Die Ungarn
zogen zum einen Ende der Stadt heraus, während wir am andern ein¬
marschierten, und auf dem Nathausturm hatte man die rot und grüne Flagge
nbzuuehmen vergessen oder nicht die Zeit dazu gehabt. Ich bemerkte das und
teilte es dem Stadtkommandanten mit. Der erschrak nicht schlecht, lief wie
der Wind zum Rathaus, zog eigenhändig eine weiße Flagge auf und bat mich
um Entschuldigung.

In Eperies blieben wir, bis sich die übrigen Truppen versammelt hatten.
Sie marschierten einen ganzen Tag und eine ganze Nacht vorüber, und die
Einwohner wunderten sich über die Stärke unsrer Armee, die gegen 100000 Mann
betragen mochte.

Aus Eperies zogen wir am 14. Juni nach Kaschau, wo eine Wiederholung
des Eperieser Empfangs stattfand. Der Feind hatte alles im Stich gelassen,
und oft übernachteten wir in Häusern, an deren Thüren die von ungarischen
Wachtmeistern mit Rotstift geschriclmen Inschriften der Regimenter: Visocki,
Bethlen usw. noch nicht ausgelöscht waren. Am 18. Juni erreichten wir Forro,
und am 23. Juni rückten wir ans Mistolez vor, wo schon das Hauptquartier der
Armee lag; die Truppen, die uicht bis an die Stadt gelangten, gingen bei dein
Dorfe Solcz in Biwak. Hier erhielten wir die Nachricht, daß unter den Ungarn
schon große Verwirrung herrsche, und daß das Erscheinen der Russen im Herzen
Ungarns schon starken Zweifel an Kossuths gelungner Thaten hervorgerufen


Erinnerungen an den ungarischen Feldzug im Jahre ^8HH

Truppen des dritten Korps unter dem Grafen Rüdiger aus Plavniza eintrafen;
so genau waren die Marschrouten vorher bestimmt. Der Graf Hütte, von
Neumarkt direkt auf Kaschau marschierend, noch einen Tag eher eintreffen
können, aber es war ihm vorgeschrieben, Lnpkow zu berühren und einen Tag
im Gebirge zu verweilen, eben in der Absicht, daß alle zugleich in Eperies
eintrafen. Als der Generalfeldmarschall an der Spitze seiner Truppen in
weißer Mütze zu Pferde den Grafen Rüdiger erblickte, sprengte er im Galopp
auf ihn zu, und beide umarmten sich herzlich. Der Einmarsch der Truppen
in Eperies war wirklich ein prächtiges Schauspiel. Die Kunde von dem
Scharmützel bei Hethars war schon hierher gedrungen und hatte auf die Ge¬
müter offenbar günstig gewirkt. Es war ein herrlicher Tag, alle Fenster
standen auf, Damen in prächtigen Kleidern winkten aus den Fenstern, warfen
Blumen von oben herab auf den Feldmarschall, und andre streuten Blumen
auf der Straße. Die Häuser waren mit Teppichen geschmückt, und die Straßen
wimmelten von Volk. Eperies zeichnete sich besonders durch seine festlichen
Empfänge ans, wie denn uns unserm Rückwege die Festlichkeiten noch gro߬
artiger waren, als diesesmal. Man sagte uns übrigens, daß die Stadt
genau so auch die Österreicher und die Ungarn empfangen hätte und nnr da¬
durch unbeschädigt geblieben sei. Meistens hingen in den Städten und Orten,
durch die die Truppen kamen, Flaggen aus: für uns weiße, für die Öster¬
reicher gelb und schwarze und für die Ungarn grün und rote; und jedes Haus
hatte so drei Flaggen in Bereitschaft, die je nach Bedarf aufgezogen wurden.
In Eperies kam es dadurch zu einem ergötzlichen Zwischenfall. Die Ungarn
zogen zum einen Ende der Stadt heraus, während wir am andern ein¬
marschierten, und auf dem Nathausturm hatte man die rot und grüne Flagge
nbzuuehmen vergessen oder nicht die Zeit dazu gehabt. Ich bemerkte das und
teilte es dem Stadtkommandanten mit. Der erschrak nicht schlecht, lief wie
der Wind zum Rathaus, zog eigenhändig eine weiße Flagge auf und bat mich
um Entschuldigung.

In Eperies blieben wir, bis sich die übrigen Truppen versammelt hatten.
Sie marschierten einen ganzen Tag und eine ganze Nacht vorüber, und die
Einwohner wunderten sich über die Stärke unsrer Armee, die gegen 100000 Mann
betragen mochte.

Aus Eperies zogen wir am 14. Juni nach Kaschau, wo eine Wiederholung
des Eperieser Empfangs stattfand. Der Feind hatte alles im Stich gelassen,
und oft übernachteten wir in Häusern, an deren Thüren die von ungarischen
Wachtmeistern mit Rotstift geschriclmen Inschriften der Regimenter: Visocki,
Bethlen usw. noch nicht ausgelöscht waren. Am 18. Juni erreichten wir Forro,
und am 23. Juni rückten wir ans Mistolez vor, wo schon das Hauptquartier der
Armee lag; die Truppen, die uicht bis an die Stadt gelangten, gingen bei dein
Dorfe Solcz in Biwak. Hier erhielten wir die Nachricht, daß unter den Ungarn
schon große Verwirrung herrsche, und daß das Erscheinen der Russen im Herzen
Ungarns schon starken Zweifel an Kossuths gelungner Thaten hervorgerufen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/48>, abgerufen am 01.07.2024.