Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Erinnerungen an den ungarischen Feldzug im Jahre ^3^9

Nordländer, als sich nach all den Ebnen und Steppen plötzlich vor uns diese
hohen Bergsänlen unter einem wunderbar hellen Himmel anstürmten. Hier
lag vor uns eine Ebne gleichsam eingelassen in den Rahmen hoher Berge,
die von dunkelblauen Gletschern gekrönt in diamantweißem Schnee erglänzten;
dort unermeßlich tiefe Schluchten, auf deren Grunde Ströme flössen, oder
lärmend und rauschend ein Wasserfall tausend Regenbogen von sich aussprühtc.
Das Herz wurde einem weit beim Anblick dieser wunderbaren Natur; aber zu¬
gleich that einem der Gedanke weh, daß diesem schönen Lande vom Schicksal
bestimmt sei, zum Kriegsschauplatz oder mindestens zum Vorhof eines Kriegs
und all seiner Not und Schrecken, die er im Gefolge hat, zu werden.

Unterwegs trafen wir überall aufrührerische Manifeste Kossuths, in denen
die Russen als der schwarze Tod, als leibhaftige Pest mit Sicheln und Feuer
in der Hand geschildert wurden; da ist es denn kein Wunder, daß in einem
Lande, wo die Vorstellung von uns nur auf solchen Manifesten beruhte, alles
bei unserm Erscheinen davonlief. Erst später, als sich die Bewohner von der
Unwahrheit dieser Schilderungen überzeugt hatten, und als wir alles zu be¬
zahlen anfingen, begegnete uns das Volk freundlich und voll Zuversicht und
teilte sogar seine letzte Habe mit uns.


2. Lupkow -- Die einheimische Geistlichkeit -- Die ersten Gefangnen --
Unruhen -- Hethars

Wir waren in Galizien bis Lipnik gekommen, als am 5, Juni der Flügel¬
adjutant Oberst Adlerberg den Befehl des Generalfeldmarschalls zum Vorrücken
in der Richtung auf Eperies überbrachte und zugleich mitteilte, Nur sollten uns
an die rechte Flanke der Hauptarmee anschließen. Dieser für die schnelle Ver¬
einigung des Heeres wichtige Marsch, von dem alles abhing, wurde mit er¬
staunlicher Umsicht und Präzision ausgeführt. Der Marsch ging nach Lupkow,
einem Ort an der Grenze Galiziens, den nur ein kleiner Fluß von Ungarn
trennt. Unser Stab nahm am 6, Juni in Lupkow in einem alten Schlosse
auf dem Berge Quartier. So mit einem Fuße schon in Feindesland mußten
wir vor allen Dingen genaue Erkundigungen einziehn, besonders da der Feind,
wie es hieß, in der Umgegend verborgen lag.

In Ungarn waren die Haupträdelsführer -- sozusagen Autoritäten in
ihrem Fach -- die Geistlichen, namentlich die lutherischen, zu deren Konfession
auch Kossuth gehörte. Er war die Seele aller Unternehmungen, das Haupt¬
werkzeug des Aufstauds. Bei ihrem Bildungsgrade, der höher war als der
aller andern Klassen, konnte die Geistlichkeit leicht die Herzen aller Bewohner
in Beschlag nehmen, und Kossuth, der die Wichtigkeit dieses Einflusses kannte,
benutzte ihn. Die katholische Geistlichkeit predigte den Aufstand, und in den
Kirchen wurden im Namen der Religion und Kossuths aufrührerische Manifeste
verlesen, die der Hohe Rat von Debreczin gesandt hatte. Kurz, die ganze
örtliche Verwaltung lag in den Händen der Geistlichkeit. Ich weiß nicht, wie
wir erfuhren, daß der Geistliche in Lupkow einer der eifrigsten Anhänger der


Erinnerungen an den ungarischen Feldzug im Jahre ^3^9

Nordländer, als sich nach all den Ebnen und Steppen plötzlich vor uns diese
hohen Bergsänlen unter einem wunderbar hellen Himmel anstürmten. Hier
lag vor uns eine Ebne gleichsam eingelassen in den Rahmen hoher Berge,
die von dunkelblauen Gletschern gekrönt in diamantweißem Schnee erglänzten;
dort unermeßlich tiefe Schluchten, auf deren Grunde Ströme flössen, oder
lärmend und rauschend ein Wasserfall tausend Regenbogen von sich aussprühtc.
Das Herz wurde einem weit beim Anblick dieser wunderbaren Natur; aber zu¬
gleich that einem der Gedanke weh, daß diesem schönen Lande vom Schicksal
bestimmt sei, zum Kriegsschauplatz oder mindestens zum Vorhof eines Kriegs
und all seiner Not und Schrecken, die er im Gefolge hat, zu werden.

Unterwegs trafen wir überall aufrührerische Manifeste Kossuths, in denen
die Russen als der schwarze Tod, als leibhaftige Pest mit Sicheln und Feuer
in der Hand geschildert wurden; da ist es denn kein Wunder, daß in einem
Lande, wo die Vorstellung von uns nur auf solchen Manifesten beruhte, alles
bei unserm Erscheinen davonlief. Erst später, als sich die Bewohner von der
Unwahrheit dieser Schilderungen überzeugt hatten, und als wir alles zu be¬
zahlen anfingen, begegnete uns das Volk freundlich und voll Zuversicht und
teilte sogar seine letzte Habe mit uns.


2. Lupkow — Die einheimische Geistlichkeit — Die ersten Gefangnen —
Unruhen — Hethars

Wir waren in Galizien bis Lipnik gekommen, als am 5, Juni der Flügel¬
adjutant Oberst Adlerberg den Befehl des Generalfeldmarschalls zum Vorrücken
in der Richtung auf Eperies überbrachte und zugleich mitteilte, Nur sollten uns
an die rechte Flanke der Hauptarmee anschließen. Dieser für die schnelle Ver¬
einigung des Heeres wichtige Marsch, von dem alles abhing, wurde mit er¬
staunlicher Umsicht und Präzision ausgeführt. Der Marsch ging nach Lupkow,
einem Ort an der Grenze Galiziens, den nur ein kleiner Fluß von Ungarn
trennt. Unser Stab nahm am 6, Juni in Lupkow in einem alten Schlosse
auf dem Berge Quartier. So mit einem Fuße schon in Feindesland mußten
wir vor allen Dingen genaue Erkundigungen einziehn, besonders da der Feind,
wie es hieß, in der Umgegend verborgen lag.

In Ungarn waren die Haupträdelsführer — sozusagen Autoritäten in
ihrem Fach — die Geistlichen, namentlich die lutherischen, zu deren Konfession
auch Kossuth gehörte. Er war die Seele aller Unternehmungen, das Haupt¬
werkzeug des Aufstauds. Bei ihrem Bildungsgrade, der höher war als der
aller andern Klassen, konnte die Geistlichkeit leicht die Herzen aller Bewohner
in Beschlag nehmen, und Kossuth, der die Wichtigkeit dieses Einflusses kannte,
benutzte ihn. Die katholische Geistlichkeit predigte den Aufstand, und in den
Kirchen wurden im Namen der Religion und Kossuths aufrührerische Manifeste
verlesen, die der Hohe Rat von Debreczin gesandt hatte. Kurz, die ganze
örtliche Verwaltung lag in den Händen der Geistlichkeit. Ich weiß nicht, wie
wir erfuhren, daß der Geistliche in Lupkow einer der eifrigsten Anhänger der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0045" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/290456"/>
            <fw type="header" place="top"> Erinnerungen an den ungarischen Feldzug im Jahre ^3^9</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_94" prev="#ID_93"> Nordländer, als sich nach all den Ebnen und Steppen plötzlich vor uns diese<lb/>
hohen Bergsänlen unter einem wunderbar hellen Himmel anstürmten. Hier<lb/>
lag vor uns eine Ebne gleichsam eingelassen in den Rahmen hoher Berge,<lb/>
die von dunkelblauen Gletschern gekrönt in diamantweißem Schnee erglänzten;<lb/>
dort unermeßlich tiefe Schluchten, auf deren Grunde Ströme flössen, oder<lb/>
lärmend und rauschend ein Wasserfall tausend Regenbogen von sich aussprühtc.<lb/>
Das Herz wurde einem weit beim Anblick dieser wunderbaren Natur; aber zu¬<lb/>
gleich that einem der Gedanke weh, daß diesem schönen Lande vom Schicksal<lb/>
bestimmt sei, zum Kriegsschauplatz oder mindestens zum Vorhof eines Kriegs<lb/>
und all seiner Not und Schrecken, die er im Gefolge hat, zu werden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_95"> Unterwegs trafen wir überall aufrührerische Manifeste Kossuths, in denen<lb/>
die Russen als der schwarze Tod, als leibhaftige Pest mit Sicheln und Feuer<lb/>
in der Hand geschildert wurden; da ist es denn kein Wunder, daß in einem<lb/>
Lande, wo die Vorstellung von uns nur auf solchen Manifesten beruhte, alles<lb/>
bei unserm Erscheinen davonlief. Erst später, als sich die Bewohner von der<lb/>
Unwahrheit dieser Schilderungen überzeugt hatten, und als wir alles zu be¬<lb/>
zahlen anfingen, begegnete uns das Volk freundlich und voll Zuversicht und<lb/>
teilte sogar seine letzte Habe mit uns.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> 2. Lupkow &#x2014; Die einheimische Geistlichkeit &#x2014; Die ersten Gefangnen &#x2014;<lb/>
Unruhen &#x2014; Hethars</head><lb/>
            <p xml:id="ID_96"> Wir waren in Galizien bis Lipnik gekommen, als am 5, Juni der Flügel¬<lb/>
adjutant Oberst Adlerberg den Befehl des Generalfeldmarschalls zum Vorrücken<lb/>
in der Richtung auf Eperies überbrachte und zugleich mitteilte, Nur sollten uns<lb/>
an die rechte Flanke der Hauptarmee anschließen. Dieser für die schnelle Ver¬<lb/>
einigung des Heeres wichtige Marsch, von dem alles abhing, wurde mit er¬<lb/>
staunlicher Umsicht und Präzision ausgeführt. Der Marsch ging nach Lupkow,<lb/>
einem Ort an der Grenze Galiziens, den nur ein kleiner Fluß von Ungarn<lb/>
trennt. Unser Stab nahm am 6, Juni in Lupkow in einem alten Schlosse<lb/>
auf dem Berge Quartier. So mit einem Fuße schon in Feindesland mußten<lb/>
wir vor allen Dingen genaue Erkundigungen einziehn, besonders da der Feind,<lb/>
wie es hieß, in der Umgegend verborgen lag.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_97" next="#ID_98"> In Ungarn waren die Haupträdelsführer &#x2014; sozusagen Autoritäten in<lb/>
ihrem Fach &#x2014; die Geistlichen, namentlich die lutherischen, zu deren Konfession<lb/>
auch Kossuth gehörte. Er war die Seele aller Unternehmungen, das Haupt¬<lb/>
werkzeug des Aufstauds. Bei ihrem Bildungsgrade, der höher war als der<lb/>
aller andern Klassen, konnte die Geistlichkeit leicht die Herzen aller Bewohner<lb/>
in Beschlag nehmen, und Kossuth, der die Wichtigkeit dieses Einflusses kannte,<lb/>
benutzte ihn. Die katholische Geistlichkeit predigte den Aufstand, und in den<lb/>
Kirchen wurden im Namen der Religion und Kossuths aufrührerische Manifeste<lb/>
verlesen, die der Hohe Rat von Debreczin gesandt hatte. Kurz, die ganze<lb/>
örtliche Verwaltung lag in den Händen der Geistlichkeit. Ich weiß nicht, wie<lb/>
wir erfuhren, daß der Geistliche in Lupkow einer der eifrigsten Anhänger der</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0045] Erinnerungen an den ungarischen Feldzug im Jahre ^3^9 Nordländer, als sich nach all den Ebnen und Steppen plötzlich vor uns diese hohen Bergsänlen unter einem wunderbar hellen Himmel anstürmten. Hier lag vor uns eine Ebne gleichsam eingelassen in den Rahmen hoher Berge, die von dunkelblauen Gletschern gekrönt in diamantweißem Schnee erglänzten; dort unermeßlich tiefe Schluchten, auf deren Grunde Ströme flössen, oder lärmend und rauschend ein Wasserfall tausend Regenbogen von sich aussprühtc. Das Herz wurde einem weit beim Anblick dieser wunderbaren Natur; aber zu¬ gleich that einem der Gedanke weh, daß diesem schönen Lande vom Schicksal bestimmt sei, zum Kriegsschauplatz oder mindestens zum Vorhof eines Kriegs und all seiner Not und Schrecken, die er im Gefolge hat, zu werden. Unterwegs trafen wir überall aufrührerische Manifeste Kossuths, in denen die Russen als der schwarze Tod, als leibhaftige Pest mit Sicheln und Feuer in der Hand geschildert wurden; da ist es denn kein Wunder, daß in einem Lande, wo die Vorstellung von uns nur auf solchen Manifesten beruhte, alles bei unserm Erscheinen davonlief. Erst später, als sich die Bewohner von der Unwahrheit dieser Schilderungen überzeugt hatten, und als wir alles zu be¬ zahlen anfingen, begegnete uns das Volk freundlich und voll Zuversicht und teilte sogar seine letzte Habe mit uns. 2. Lupkow — Die einheimische Geistlichkeit — Die ersten Gefangnen — Unruhen — Hethars Wir waren in Galizien bis Lipnik gekommen, als am 5, Juni der Flügel¬ adjutant Oberst Adlerberg den Befehl des Generalfeldmarschalls zum Vorrücken in der Richtung auf Eperies überbrachte und zugleich mitteilte, Nur sollten uns an die rechte Flanke der Hauptarmee anschließen. Dieser für die schnelle Ver¬ einigung des Heeres wichtige Marsch, von dem alles abhing, wurde mit er¬ staunlicher Umsicht und Präzision ausgeführt. Der Marsch ging nach Lupkow, einem Ort an der Grenze Galiziens, den nur ein kleiner Fluß von Ungarn trennt. Unser Stab nahm am 6, Juni in Lupkow in einem alten Schlosse auf dem Berge Quartier. So mit einem Fuße schon in Feindesland mußten wir vor allen Dingen genaue Erkundigungen einziehn, besonders da der Feind, wie es hieß, in der Umgegend verborgen lag. In Ungarn waren die Haupträdelsführer — sozusagen Autoritäten in ihrem Fach — die Geistlichen, namentlich die lutherischen, zu deren Konfession auch Kossuth gehörte. Er war die Seele aller Unternehmungen, das Haupt¬ werkzeug des Aufstauds. Bei ihrem Bildungsgrade, der höher war als der aller andern Klassen, konnte die Geistlichkeit leicht die Herzen aller Bewohner in Beschlag nehmen, und Kossuth, der die Wichtigkeit dieses Einflusses kannte, benutzte ihn. Die katholische Geistlichkeit predigte den Aufstand, und in den Kirchen wurden im Namen der Religion und Kossuths aufrührerische Manifeste verlesen, die der Hohe Rat von Debreczin gesandt hatte. Kurz, die ganze örtliche Verwaltung lag in den Händen der Geistlichkeit. Ich weiß nicht, wie wir erfuhren, daß der Geistliche in Lupkow einer der eifrigsten Anhänger der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/45
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/45>, abgerufen am 29.06.2024.