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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Santa Maria delle Colonne verwandelt wurden und jetzt der Don, der Stadt,
ein höchst seltsames Gemisch der verschiedensten Kulturelemente, das in dieser Be¬
ziehung die Palermitaner Bauten noch übertrifft! Denn die -nächtigen Monolith-
sttulen des dorischen Tempels aus dem fünften Jahrhundert v. Chr. ragen noch
zur Hälfte ihres Umfangs aus der Hauptmauer der Kirche hervor, samt Architrav
und Triglyphen, darüber steht ein arabisch-normännischer Zinnenkranz aus dem
elften oder zwölften Jahrhundert, und die Westfront prangt mit korinthischen
Säulen und gekröpftem Gebälk in, reichsten Bnrockschmuck des siebzehnten Jahr¬
hunderts. Wenig hundert Schritte führen vom Domplatz nach der berühmten
Arethusciquelle an der Westseite. Dort umgiebt die hohe Ufermauer ein nahezu
halbkreisförmiges Becken ursprünglich süßen Wassers, das freilich seit dem Ein-
. bruns des Meeres beim Erdbeben von 1170 brackig und nntrinkbar geworden
ist; aus vier Mündungen strömt das Wasser hinein, und in dichten Büschen
wuchert üppig das hohe Papyrusschilf. Von diesem ältesten Denkmal griechischer
Siedlung, das in der Sage von der Nymphe Arethusa und dem begehrliche"
Flußgott Acheloos die ferne Heimat sinnig mit der Kolonie verknüpfte, füllt
der Blick auf das merkwürdigste Denkmal des syraknsanischen Mittelalters, die
gelbbraunen Mauern des Castello Mariane auf der Südspitze, ein Viereck mit
runden Ecktürmen, so genannt nach dem byzantinischen Feldherrn Georg
Maniakes, der kurz vor 1040 Sizilien zum letztenmale für die Griechen er¬
oberte. Angesichts des offnen Meeres auf der einen, des Großen Hafens auf
der andern Seite angelegt beherrschte es die Einfahrt völlig. Auf der breite"
Wasserflüche flimmerte der Glanz der Mittagssonne, als wir nach der Villa
Politi zurückführen.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Zur Lage in China.

Das chinesische Reich ist in der letzten Zeit oft der
kranke Mann Ostasiens genannt worden. Diese Bezeichnniig hat weniger ob e ve
Berechtigung, als man auf den ersten Blick glauben stille. S e ist vielmehr hau^-
sachlich eine subjektive Auslassung vom Standpunkte der Westlander aus. Lage es
in der Macht der Pekinger Negierung. die Fremden alle miteinander zu ver¬
treiben, sie würde dies lieber heute als morgen thun, daran ist gar nicht zu
Zweifeln. Dann aber könnte das alte Reich der Mitte noch ganz gut eunge Jahr¬
hunderte weiter bestehn. Mit den Augen der Europäer auge ehen wurde d,Z
allerdings mehr ein Vegetieren als ein Leben sein, aber die Möglichkeit selbst ist
schwerlich zu bestreiten. . ^ , "

^ Bet der Beurteilung dieser Verhältnisse dürfen wir niemals außer acht lassen.
d"ß die Anwesenheit der westlichen Barbaren im himmlischen Reiche der clMesischeu
Regierung immer gleichmäßig verhaßt gewesen ist. Hieran hat sich selt sechzig
Jahren nichts geändert. Unter der gutsitzenden Maske äußerlicher Freundlichkeit


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Santa Maria delle Colonne verwandelt wurden und jetzt der Don, der Stadt,
ein höchst seltsames Gemisch der verschiedensten Kulturelemente, das in dieser Be¬
ziehung die Palermitaner Bauten noch übertrifft! Denn die -nächtigen Monolith-
sttulen des dorischen Tempels aus dem fünften Jahrhundert v. Chr. ragen noch
zur Hälfte ihres Umfangs aus der Hauptmauer der Kirche hervor, samt Architrav
und Triglyphen, darüber steht ein arabisch-normännischer Zinnenkranz aus dem
elften oder zwölften Jahrhundert, und die Westfront prangt mit korinthischen
Säulen und gekröpftem Gebälk in, reichsten Bnrockschmuck des siebzehnten Jahr¬
hunderts. Wenig hundert Schritte führen vom Domplatz nach der berühmten
Arethusciquelle an der Westseite. Dort umgiebt die hohe Ufermauer ein nahezu
halbkreisförmiges Becken ursprünglich süßen Wassers, das freilich seit dem Ein-
. bruns des Meeres beim Erdbeben von 1170 brackig und nntrinkbar geworden
ist; aus vier Mündungen strömt das Wasser hinein, und in dichten Büschen
wuchert üppig das hohe Papyrusschilf. Von diesem ältesten Denkmal griechischer
Siedlung, das in der Sage von der Nymphe Arethusa und dem begehrliche»
Flußgott Acheloos die ferne Heimat sinnig mit der Kolonie verknüpfte, füllt
der Blick auf das merkwürdigste Denkmal des syraknsanischen Mittelalters, die
gelbbraunen Mauern des Castello Mariane auf der Südspitze, ein Viereck mit
runden Ecktürmen, so genannt nach dem byzantinischen Feldherrn Georg
Maniakes, der kurz vor 1040 Sizilien zum letztenmale für die Griechen er¬
oberte. Angesichts des offnen Meeres auf der einen, des Großen Hafens auf
der andern Seite angelegt beherrschte es die Einfahrt völlig. Auf der breite»
Wasserflüche flimmerte der Glanz der Mittagssonne, als wir nach der Villa
Politi zurückführen.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Zur Lage in China.

Das chinesische Reich ist in der letzten Zeit oft der
kranke Mann Ostasiens genannt worden. Diese Bezeichnniig hat weniger ob e ve
Berechtigung, als man auf den ersten Blick glauben stille. S e ist vielmehr hau^-
sachlich eine subjektive Auslassung vom Standpunkte der Westlander aus. Lage es
in der Macht der Pekinger Negierung. die Fremden alle miteinander zu ver¬
treiben, sie würde dies lieber heute als morgen thun, daran ist gar nicht zu
Zweifeln. Dann aber könnte das alte Reich der Mitte noch ganz gut eunge Jahr¬
hunderte weiter bestehn. Mit den Augen der Europäer auge ehen wurde d,Z
allerdings mehr ein Vegetieren als ein Leben sein, aber die Möglichkeit selbst ist
schwerlich zu bestreiten. . ^ , „

^ Bet der Beurteilung dieser Verhältnisse dürfen wir niemals außer acht lassen.
d"ß die Anwesenheit der westlichen Barbaren im himmlischen Reiche der clMesischeu
Regierung immer gleichmäßig verhaßt gewesen ist. Hieran hat sich selt sechzig
Jahren nichts geändert. Unter der gutsitzenden Maske äußerlicher Freundlichkeit


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[0309] Maßgebliches und Unmaßgebliches Santa Maria delle Colonne verwandelt wurden und jetzt der Don, der Stadt, ein höchst seltsames Gemisch der verschiedensten Kulturelemente, das in dieser Be¬ ziehung die Palermitaner Bauten noch übertrifft! Denn die -nächtigen Monolith- sttulen des dorischen Tempels aus dem fünften Jahrhundert v. Chr. ragen noch zur Hälfte ihres Umfangs aus der Hauptmauer der Kirche hervor, samt Architrav und Triglyphen, darüber steht ein arabisch-normännischer Zinnenkranz aus dem elften oder zwölften Jahrhundert, und die Westfront prangt mit korinthischen Säulen und gekröpftem Gebälk in, reichsten Bnrockschmuck des siebzehnten Jahr¬ hunderts. Wenig hundert Schritte führen vom Domplatz nach der berühmten Arethusciquelle an der Westseite. Dort umgiebt die hohe Ufermauer ein nahezu halbkreisförmiges Becken ursprünglich süßen Wassers, das freilich seit dem Ein- . bruns des Meeres beim Erdbeben von 1170 brackig und nntrinkbar geworden ist; aus vier Mündungen strömt das Wasser hinein, und in dichten Büschen wuchert üppig das hohe Papyrusschilf. Von diesem ältesten Denkmal griechischer Siedlung, das in der Sage von der Nymphe Arethusa und dem begehrliche» Flußgott Acheloos die ferne Heimat sinnig mit der Kolonie verknüpfte, füllt der Blick auf das merkwürdigste Denkmal des syraknsanischen Mittelalters, die gelbbraunen Mauern des Castello Mariane auf der Südspitze, ein Viereck mit runden Ecktürmen, so genannt nach dem byzantinischen Feldherrn Georg Maniakes, der kurz vor 1040 Sizilien zum letztenmale für die Griechen er¬ oberte. Angesichts des offnen Meeres auf der einen, des Großen Hafens auf der andern Seite angelegt beherrschte es die Einfahrt völlig. Auf der breite» Wasserflüche flimmerte der Glanz der Mittagssonne, als wir nach der Villa Politi zurückführen. (Fortsetzung folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches Zur Lage in China. Das chinesische Reich ist in der letzten Zeit oft der kranke Mann Ostasiens genannt worden. Diese Bezeichnniig hat weniger ob e ve Berechtigung, als man auf den ersten Blick glauben stille. S e ist vielmehr hau^- sachlich eine subjektive Auslassung vom Standpunkte der Westlander aus. Lage es in der Macht der Pekinger Negierung. die Fremden alle miteinander zu ver¬ treiben, sie würde dies lieber heute als morgen thun, daran ist gar nicht zu Zweifeln. Dann aber könnte das alte Reich der Mitte noch ganz gut eunge Jahr¬ hunderte weiter bestehn. Mit den Augen der Europäer auge ehen wurde d,Z allerdings mehr ein Vegetieren als ein Leben sein, aber die Möglichkeit selbst ist schwerlich zu bestreiten. . ^ , „ ^ Bet der Beurteilung dieser Verhältnisse dürfen wir niemals außer acht lassen. d"ß die Anwesenheit der westlichen Barbaren im himmlischen Reiche der clMesischeu Regierung immer gleichmäßig verhaßt gewesen ist. Hieran hat sich selt sechzig Jahren nichts geändert. Unter der gutsitzenden Maske äußerlicher Freundlichkeit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/309>, abgerufen am 29.06.2024.