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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Der Se. Petersburger Hof im Winter ^?99/^300

burger Hofsphüre stand. Eine Partei, die Rußland von jeder Beteiligung
an europäischen Händeln zurückzuhalte" wünschte, wußte ein zwischen dem
Monarchen und seiner Gemahlin obwaltendes Zerwürfnis im Interesse ihrer
koalitionsfeindlichen Politik auszunutzen. Über die Art, in der das geschah,
wird auf den nachstehenden Blättern ausführlich berichtet. Erwähnt muß nur
noch werden, daß sich des Kaisers Unwille über das Verhalten Österreichs
vornehmlich gegen den diplomatischen Vertreter dieser Macht, den kurz zuvor
in Se. Petersburg allmächtig gewesenen Grafen Cobenzl richtete, daß diesem der
Hof verboten wurde, und daß jede Anknüpfung mit dem in eine förmliche
Acht gethanen Repräsentanten des Wiener Hoff von dem Kaiser als persön¬
liche Beleidigung angesehen wurde. Unter anderm hatte der bis dahin wohl-
gelittne englische Botschafter Witworth den Versuch, Cobenzl zu rehabilitieren,
mit dem Verlust der kaiserlichen Gunst bezahlen und die russische Residenz ver¬
lassen müssen. Von Österreich wurde die verletzende Haltung des russischen
Herrschers ignoriert, Cobenzl auf seinein Posten gelassen und soweit möglich
gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Neben der Hoffnung auf eine Sinnes-
ändrung des russischen Herrschers war dafür der Umstand maßgebend, daß man
die Verlobung von Pauls Tochter Alexandra mit dem Erzherzog Palatinus
Joseph nicht rückgängig gemacht sehen wollte. In der That fand die Heirat
dieses -- schon im Jahre 1801 durch den Tod der Prinzessin getrennten --
Paares während der Periode heftigsten Zerwürfnisses der beiden Regie¬
rungen statt.

Denkschrift (1800)

Von der Natur ist dieser Monarch (Paul I.) mit gesundem Verstände, einem
guten Herzen und mit der Fähigkeit zu edelmütigen Empfindungen ausgestattet;
dreißig Jahre der Unterdrückung und der leidigen Notwendigkeit, seine Ge¬
danken und Empfindungen in sich zu verbergen, haben jedoch dazu geführt,
daß alle die Lebensäußerungen, die Paul hatte niederhalten müssen, alsbald,
nachdem er zum Zaren geworden war, mit geradezu erschreckender Heftigkeit nach
außen getreten sind. Der Tod seines Vaters hatte auf ihn einen unauslösch¬
lichen Eindruck geübt und ihn mit Angst vor seiner Mutter, der verstorbnen
Kaiserin, erfüllt. Er fürchtete, niemals auf den Thron zu gelangen und sein
Leben lang eine problematische Existenz führen zu müssen. Gegen seine nähern
Freunde hatte er sich wiederholt in diesem Sinne ausgesprochen und unter anderm
der Gräfin Rosenberg, die er auf seiner Reise hatte kennen und schützen lernen,
einmal das Folgende gesagt: "Man wird mich nicht auf den Thron gelangen
lassen, und ich rechne anch nicht darauf. Sollte das Geschick aber dennoch wollen,
daß ich Kaiser werde, so werden Sie sich über das, was Sie alsdann sehen
werden, nicht verwundern dürfen. Sie kennen mein Herz, aber Sie kennen
diese Leute (die Russen) nicht, während ich weiß, wie man mit ihnen zu ver¬
fahren hat." (Dieser Ausspruch ist mir von Herrn von Haugwitz mitgeteilt
worden, der ihn aus dem eignen Munde der Gräfin hat.)


Der Se. Petersburger Hof im Winter ^?99/^300

burger Hofsphüre stand. Eine Partei, die Rußland von jeder Beteiligung
an europäischen Händeln zurückzuhalte» wünschte, wußte ein zwischen dem
Monarchen und seiner Gemahlin obwaltendes Zerwürfnis im Interesse ihrer
koalitionsfeindlichen Politik auszunutzen. Über die Art, in der das geschah,
wird auf den nachstehenden Blättern ausführlich berichtet. Erwähnt muß nur
noch werden, daß sich des Kaisers Unwille über das Verhalten Österreichs
vornehmlich gegen den diplomatischen Vertreter dieser Macht, den kurz zuvor
in Se. Petersburg allmächtig gewesenen Grafen Cobenzl richtete, daß diesem der
Hof verboten wurde, und daß jede Anknüpfung mit dem in eine förmliche
Acht gethanen Repräsentanten des Wiener Hoff von dem Kaiser als persön¬
liche Beleidigung angesehen wurde. Unter anderm hatte der bis dahin wohl-
gelittne englische Botschafter Witworth den Versuch, Cobenzl zu rehabilitieren,
mit dem Verlust der kaiserlichen Gunst bezahlen und die russische Residenz ver¬
lassen müssen. Von Österreich wurde die verletzende Haltung des russischen
Herrschers ignoriert, Cobenzl auf seinein Posten gelassen und soweit möglich
gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Neben der Hoffnung auf eine Sinnes-
ändrung des russischen Herrschers war dafür der Umstand maßgebend, daß man
die Verlobung von Pauls Tochter Alexandra mit dem Erzherzog Palatinus
Joseph nicht rückgängig gemacht sehen wollte. In der That fand die Heirat
dieses — schon im Jahre 1801 durch den Tod der Prinzessin getrennten —
Paares während der Periode heftigsten Zerwürfnisses der beiden Regie¬
rungen statt.

Denkschrift (1800)

Von der Natur ist dieser Monarch (Paul I.) mit gesundem Verstände, einem
guten Herzen und mit der Fähigkeit zu edelmütigen Empfindungen ausgestattet;
dreißig Jahre der Unterdrückung und der leidigen Notwendigkeit, seine Ge¬
danken und Empfindungen in sich zu verbergen, haben jedoch dazu geführt,
daß alle die Lebensäußerungen, die Paul hatte niederhalten müssen, alsbald,
nachdem er zum Zaren geworden war, mit geradezu erschreckender Heftigkeit nach
außen getreten sind. Der Tod seines Vaters hatte auf ihn einen unauslösch¬
lichen Eindruck geübt und ihn mit Angst vor seiner Mutter, der verstorbnen
Kaiserin, erfüllt. Er fürchtete, niemals auf den Thron zu gelangen und sein
Leben lang eine problematische Existenz führen zu müssen. Gegen seine nähern
Freunde hatte er sich wiederholt in diesem Sinne ausgesprochen und unter anderm
der Gräfin Rosenberg, die er auf seiner Reise hatte kennen und schützen lernen,
einmal das Folgende gesagt: „Man wird mich nicht auf den Thron gelangen
lassen, und ich rechne anch nicht darauf. Sollte das Geschick aber dennoch wollen,
daß ich Kaiser werde, so werden Sie sich über das, was Sie alsdann sehen
werden, nicht verwundern dürfen. Sie kennen mein Herz, aber Sie kennen
diese Leute (die Russen) nicht, während ich weiß, wie man mit ihnen zu ver¬
fahren hat." (Dieser Ausspruch ist mir von Herrn von Haugwitz mitgeteilt
worden, der ihn aus dem eignen Munde der Gräfin hat.)


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[0282] Der Se. Petersburger Hof im Winter ^?99/^300 burger Hofsphüre stand. Eine Partei, die Rußland von jeder Beteiligung an europäischen Händeln zurückzuhalte» wünschte, wußte ein zwischen dem Monarchen und seiner Gemahlin obwaltendes Zerwürfnis im Interesse ihrer koalitionsfeindlichen Politik auszunutzen. Über die Art, in der das geschah, wird auf den nachstehenden Blättern ausführlich berichtet. Erwähnt muß nur noch werden, daß sich des Kaisers Unwille über das Verhalten Österreichs vornehmlich gegen den diplomatischen Vertreter dieser Macht, den kurz zuvor in Se. Petersburg allmächtig gewesenen Grafen Cobenzl richtete, daß diesem der Hof verboten wurde, und daß jede Anknüpfung mit dem in eine förmliche Acht gethanen Repräsentanten des Wiener Hoff von dem Kaiser als persön¬ liche Beleidigung angesehen wurde. Unter anderm hatte der bis dahin wohl- gelittne englische Botschafter Witworth den Versuch, Cobenzl zu rehabilitieren, mit dem Verlust der kaiserlichen Gunst bezahlen und die russische Residenz ver¬ lassen müssen. Von Österreich wurde die verletzende Haltung des russischen Herrschers ignoriert, Cobenzl auf seinein Posten gelassen und soweit möglich gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Neben der Hoffnung auf eine Sinnes- ändrung des russischen Herrschers war dafür der Umstand maßgebend, daß man die Verlobung von Pauls Tochter Alexandra mit dem Erzherzog Palatinus Joseph nicht rückgängig gemacht sehen wollte. In der That fand die Heirat dieses — schon im Jahre 1801 durch den Tod der Prinzessin getrennten — Paares während der Periode heftigsten Zerwürfnisses der beiden Regie¬ rungen statt. Denkschrift (1800) Von der Natur ist dieser Monarch (Paul I.) mit gesundem Verstände, einem guten Herzen und mit der Fähigkeit zu edelmütigen Empfindungen ausgestattet; dreißig Jahre der Unterdrückung und der leidigen Notwendigkeit, seine Ge¬ danken und Empfindungen in sich zu verbergen, haben jedoch dazu geführt, daß alle die Lebensäußerungen, die Paul hatte niederhalten müssen, alsbald, nachdem er zum Zaren geworden war, mit geradezu erschreckender Heftigkeit nach außen getreten sind. Der Tod seines Vaters hatte auf ihn einen unauslösch¬ lichen Eindruck geübt und ihn mit Angst vor seiner Mutter, der verstorbnen Kaiserin, erfüllt. Er fürchtete, niemals auf den Thron zu gelangen und sein Leben lang eine problematische Existenz führen zu müssen. Gegen seine nähern Freunde hatte er sich wiederholt in diesem Sinne ausgesprochen und unter anderm der Gräfin Rosenberg, die er auf seiner Reise hatte kennen und schützen lernen, einmal das Folgende gesagt: „Man wird mich nicht auf den Thron gelangen lassen, und ich rechne anch nicht darauf. Sollte das Geschick aber dennoch wollen, daß ich Kaiser werde, so werden Sie sich über das, was Sie alsdann sehen werden, nicht verwundern dürfen. Sie kennen mein Herz, aber Sie kennen diese Leute (die Russen) nicht, während ich weiß, wie man mit ihnen zu ver¬ fahren hat." (Dieser Ausspruch ist mir von Herrn von Haugwitz mitgeteilt worden, der ihn aus dem eignen Munde der Gräfin hat.)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/282>, abgerufen am 29.06.2024.