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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Der Se. Petersburger Hof im Winter 1.799/1,800

zugleich die Großmeisterschaft über die Überbleibsel des von Napoleon nus
seinem alten Sitze Vertriebnen Malteserordens übernommen; Preußen in diese
Koalition zu ziehn war dem russischen Herrscher nicht gelungen. Die an
diese Unternehmung geknüpften Hoffnungen blieben jedoch unerfüllt. Obgleich
Suworows berühmter Feldzug nach Italien von glänzendem Erfolge gekrönt
war, vermochte Paul das durch die sogenannte zweite Koalition begründete
Verhältnis zu den Kabinetten von Wien und London nicht aufrecht zu erhalten.
Während dem trotz aller Wunderlichkeiten ritterlich denkenden Zaren ausschlie߬
lich an der Erreichung eines idealen Zwecks, der Wiederherstellung der alten
europäischen Ordnung und der Niederhaltung des revolutionären Frankreichs
gelegen war, hatten Kaiser Franz I. und dessen Minister Thugut den Krieg
gegen die Revolution wesentlich in der Absicht unternommen, die österreichische
Herrschaft über Oberitalien wieder herzustellen. Thugut wußte dem russischen
Minister plausibel zu machen, daß der angestrebte Zweck am besten durch Ver¬
legung des Kriegsschallplatzes in die Schweiz und durch einen von dort aus
unteruommnen Einfall in das östliche Frankreich erreicht werden würde. Zu
seinem Mißvergnügen mußte Suworow den Schauplatz seiner großen Erfolge
verlassen und über die Alpen gehn, das Gros der österreichischen Armee aber
wurde nach Schwaben zurückgezogen, und der nur unzureichend unterstützte
russische Feldherr eiuer überlegnen französischen Armee entgegengestellt, gegen
die sein Heer dauernd nichts auszurichten vermochte. Erbittert über dieses
'"ehr als" zweideutige Verhalten seines ausschließlich mit italienischen Er¬
werbungen beschäftigten Verbündeten beschloß Paul sich vou Österreich los¬
zusagen und im Bunde mit England, Preußen, Dänemark und Schweden den
Krieg gegen Frankreich fortzusetzen, zugleich aber "Österreichs ehrgeizige" Ab¬
sichten" Schranken zu ziehn. Da Preußen nicht zum Verzicht auf seine
Neutralität zu bestimmen war, der Versuch einer russisch-englischen Landung
in Holland mißglückte (August 1799), und England den reizbaren russischen
Herrscher durch den Rat, sich mit Österreich zu verständigen, lebhaft verstimmte,
tum auch dieser neue Plan nicht zur Ausführung. Zu weiterer und leiden¬
schaftlicherer Erbitterung gegen seine bisherigen Verbündeten aber wurde der
Kaiser aufgestachelt, als Thugut in einer Anfang Dezember 1799 dem russischem
Kabinett überreichten Note die italienischen Gebiete aufzählte, die der Kaiscr-
stant "als Entschädigungen" in Anspruch nehme, und als zugleich bekannt
wurde, daß der k. k. General Frölich die gemeinsam mit dem russischen Befehls¬
haber Woynowitsch eingeuommne Festung Ancona ausschließlich mit seine"
Truppen besetzt und die im Hafen der Stadt neben der österreichisch eil auf¬
gehißte russische Flagge entfernt habe.

Auf die durch diese Vorgänge geschaffne Lage bezieht sich die vorliegende
Denkschrift. Ihre rein politischen Ausführungen stellen wir einstweilen zurück,
um auf den von unserm Verfasser nachgewiesenen Zusammenhang eliizugehn,
Worin des Kaisers Abneigung gegen seine frühern Bundesgenossen, und ins¬
besondre gegen Österreich, mit gewissen Vorgängen innerhalb der Se. Peters-


Grenzboten II 1900 ^
Der Se. Petersburger Hof im Winter 1.799/1,800

zugleich die Großmeisterschaft über die Überbleibsel des von Napoleon nus
seinem alten Sitze Vertriebnen Malteserordens übernommen; Preußen in diese
Koalition zu ziehn war dem russischen Herrscher nicht gelungen. Die an
diese Unternehmung geknüpften Hoffnungen blieben jedoch unerfüllt. Obgleich
Suworows berühmter Feldzug nach Italien von glänzendem Erfolge gekrönt
war, vermochte Paul das durch die sogenannte zweite Koalition begründete
Verhältnis zu den Kabinetten von Wien und London nicht aufrecht zu erhalten.
Während dem trotz aller Wunderlichkeiten ritterlich denkenden Zaren ausschlie߬
lich an der Erreichung eines idealen Zwecks, der Wiederherstellung der alten
europäischen Ordnung und der Niederhaltung des revolutionären Frankreichs
gelegen war, hatten Kaiser Franz I. und dessen Minister Thugut den Krieg
gegen die Revolution wesentlich in der Absicht unternommen, die österreichische
Herrschaft über Oberitalien wieder herzustellen. Thugut wußte dem russischen
Minister plausibel zu machen, daß der angestrebte Zweck am besten durch Ver¬
legung des Kriegsschallplatzes in die Schweiz und durch einen von dort aus
unteruommnen Einfall in das östliche Frankreich erreicht werden würde. Zu
seinem Mißvergnügen mußte Suworow den Schauplatz seiner großen Erfolge
verlassen und über die Alpen gehn, das Gros der österreichischen Armee aber
wurde nach Schwaben zurückgezogen, und der nur unzureichend unterstützte
russische Feldherr eiuer überlegnen französischen Armee entgegengestellt, gegen
die sein Heer dauernd nichts auszurichten vermochte. Erbittert über dieses
'"ehr als" zweideutige Verhalten seines ausschließlich mit italienischen Er¬
werbungen beschäftigten Verbündeten beschloß Paul sich vou Österreich los¬
zusagen und im Bunde mit England, Preußen, Dänemark und Schweden den
Krieg gegen Frankreich fortzusetzen, zugleich aber „Österreichs ehrgeizige« Ab¬
sichten" Schranken zu ziehn. Da Preußen nicht zum Verzicht auf seine
Neutralität zu bestimmen war, der Versuch einer russisch-englischen Landung
in Holland mißglückte (August 1799), und England den reizbaren russischen
Herrscher durch den Rat, sich mit Österreich zu verständigen, lebhaft verstimmte,
tum auch dieser neue Plan nicht zur Ausführung. Zu weiterer und leiden¬
schaftlicherer Erbitterung gegen seine bisherigen Verbündeten aber wurde der
Kaiser aufgestachelt, als Thugut in einer Anfang Dezember 1799 dem russischem
Kabinett überreichten Note die italienischen Gebiete aufzählte, die der Kaiscr-
stant „als Entschädigungen" in Anspruch nehme, und als zugleich bekannt
wurde, daß der k. k. General Frölich die gemeinsam mit dem russischen Befehls¬
haber Woynowitsch eingeuommne Festung Ancona ausschließlich mit seine»
Truppen besetzt und die im Hafen der Stadt neben der österreichisch eil auf¬
gehißte russische Flagge entfernt habe.

Auf die durch diese Vorgänge geschaffne Lage bezieht sich die vorliegende
Denkschrift. Ihre rein politischen Ausführungen stellen wir einstweilen zurück,
um auf den von unserm Verfasser nachgewiesenen Zusammenhang eliizugehn,
Worin des Kaisers Abneigung gegen seine frühern Bundesgenossen, und ins¬
besondre gegen Österreich, mit gewissen Vorgängen innerhalb der Se. Peters-


Grenzboten II 1900 ^
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[0281] Der Se. Petersburger Hof im Winter 1.799/1,800 zugleich die Großmeisterschaft über die Überbleibsel des von Napoleon nus seinem alten Sitze Vertriebnen Malteserordens übernommen; Preußen in diese Koalition zu ziehn war dem russischen Herrscher nicht gelungen. Die an diese Unternehmung geknüpften Hoffnungen blieben jedoch unerfüllt. Obgleich Suworows berühmter Feldzug nach Italien von glänzendem Erfolge gekrönt war, vermochte Paul das durch die sogenannte zweite Koalition begründete Verhältnis zu den Kabinetten von Wien und London nicht aufrecht zu erhalten. Während dem trotz aller Wunderlichkeiten ritterlich denkenden Zaren ausschlie߬ lich an der Erreichung eines idealen Zwecks, der Wiederherstellung der alten europäischen Ordnung und der Niederhaltung des revolutionären Frankreichs gelegen war, hatten Kaiser Franz I. und dessen Minister Thugut den Krieg gegen die Revolution wesentlich in der Absicht unternommen, die österreichische Herrschaft über Oberitalien wieder herzustellen. Thugut wußte dem russischen Minister plausibel zu machen, daß der angestrebte Zweck am besten durch Ver¬ legung des Kriegsschallplatzes in die Schweiz und durch einen von dort aus unteruommnen Einfall in das östliche Frankreich erreicht werden würde. Zu seinem Mißvergnügen mußte Suworow den Schauplatz seiner großen Erfolge verlassen und über die Alpen gehn, das Gros der österreichischen Armee aber wurde nach Schwaben zurückgezogen, und der nur unzureichend unterstützte russische Feldherr eiuer überlegnen französischen Armee entgegengestellt, gegen die sein Heer dauernd nichts auszurichten vermochte. Erbittert über dieses '"ehr als" zweideutige Verhalten seines ausschließlich mit italienischen Er¬ werbungen beschäftigten Verbündeten beschloß Paul sich vou Österreich los¬ zusagen und im Bunde mit England, Preußen, Dänemark und Schweden den Krieg gegen Frankreich fortzusetzen, zugleich aber „Österreichs ehrgeizige« Ab¬ sichten" Schranken zu ziehn. Da Preußen nicht zum Verzicht auf seine Neutralität zu bestimmen war, der Versuch einer russisch-englischen Landung in Holland mißglückte (August 1799), und England den reizbaren russischen Herrscher durch den Rat, sich mit Österreich zu verständigen, lebhaft verstimmte, tum auch dieser neue Plan nicht zur Ausführung. Zu weiterer und leiden¬ schaftlicherer Erbitterung gegen seine bisherigen Verbündeten aber wurde der Kaiser aufgestachelt, als Thugut in einer Anfang Dezember 1799 dem russischem Kabinett überreichten Note die italienischen Gebiete aufzählte, die der Kaiscr- stant „als Entschädigungen" in Anspruch nehme, und als zugleich bekannt wurde, daß der k. k. General Frölich die gemeinsam mit dem russischen Befehls¬ haber Woynowitsch eingeuommne Festung Ancona ausschließlich mit seine» Truppen besetzt und die im Hafen der Stadt neben der österreichisch eil auf¬ gehißte russische Flagge entfernt habe. Auf die durch diese Vorgänge geschaffne Lage bezieht sich die vorliegende Denkschrift. Ihre rein politischen Ausführungen stellen wir einstweilen zurück, um auf den von unserm Verfasser nachgewiesenen Zusammenhang eliizugehn, Worin des Kaisers Abneigung gegen seine frühern Bundesgenossen, und ins¬ besondre gegen Österreich, mit gewissen Vorgängen innerhalb der Se. Peters- Grenzboten II 1900 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/281>, abgerufen am 01.07.2024.