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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Goorg von Bunsen

druck. Ich kam von Brüssel, vollgesogen von libr"z sstlietiHUö und art vouvsau,
und fuhr nach Holland hinein. Kurz vor Dordrecht, nahe an der Bahn, lag
ein riesiges Gebäude mit einer weithin leuchtende" Inschrift. Es war eine
Fabrik von künstlichem Guano, und die Aufschrift sagte: Internationale Kunst-
mest. Ich mußte herzlich lachen, und der Leser verdenke es mir hoffentlich
A. P. nicht, daß ich ihm das bei diesem Anlaß erzählt habe.




Georg von Bunsen

>cMH.
-L^H^WWer sonderbare Titel des kürzlich erschienenen Werkes Georg von
Bunsen, ein Charakterbild aus dem Lager der Besiegten,
gezeichnet von seiner Tochter Marie von Bunsen (Berlin,
Wilhelm Hertz), erweckt insofern eine schiefe Vorstellung von seinen,
Inhalt, als der Held weder je den Anspruch erhoben hat, ein eben-
! hurtiger Gegner Bismcircks zu sein, noch auch überhaupt ein leiden¬
schaftlicher Feind des Kanzlers war. Bunsen war ein ehrenhafter, tüchtiger und
liebenswürdiger Mann von ausgebreiteter Welt- wie Lebenserfahrung und viel¬
seitigem Wissen, dem es seine unabhängige Lebensstellung erlaubte, sich ganz seiner
politischen Bürgerpflicht, wie er sie auffaßte, zu widmen, und der sein warmes
Herz bei zahlreichen energisch und zum Teile auf Kosten der eignen Gesundheit
betriebnen Wohlthätigkeits- und Wohlfahrtsbestrebungen glänzend bethätigte. Für
seine Laufbahn und für alle seine politischen Bestrebungen sind die Ansichten seines
von ihm leidenschaftlich geliebten und hoch verehrten Vaters, des Gesandten, be¬
stimmend gewesen, der die schlimmste Zeit der mit dem Muckertume verquickten
politischen Reaktion in Preußen mit den Worten bezeichnet hat: "Von Hengsten¬
bergs Studierzimmer aus, durch Gerlach, geht alles auf Verdammung und Ver¬
finsterung los; man wird diese trübe Zeit des geistreichsten Königs des Jahr¬
hunderts noch viel ärger beklagen und verurteilen als die Wöllners; alles hat
zugleich den reaktionären und politischen Charakter der Junkerpartei; nur Heuchelei
und wahrer Unglaube wird durch dieses unselige System gepflanzt, und die leiden¬
schaftlichste Reaktion vorbereitet; mit Garden und Polizei kann man ja politisch
thun, was man will -- so lange es dauert; allein die Knechtung des Geistes hat
der Deutsche nie ertragen, und sein Fluch folgt durch alle Jahrhunderte denen, die
sie gesucht haben."

Diesen Standpunkt bewahrte er während der Konfliktszeit und der darauf
folgenden Epoche, die im wesentlichen die Signatur Bismcircks trägt, und gab ihr
als Parlamentarier besonders in den Phasen der innern Politik mehr oder weniger
lebhaften Ausdruck, während deren sich der Kanzler von der liberalen Partei ab¬
zuwenden schien. Dabei war aber Bunsen viel zu vorurteilsfrei und gescheut, als
daß er sich je auf blinden Fraktionsfanatismus eingelassen hätte. Am bezeichnendsten
dafür ist, was er am 19. August 1885 einem seiner Brüder schreibt (S. 293):
"Ich verlasse die Politik aus Gesundheitsrücksichten, habe aber erklärt, daß ich mich
nötigenfalls wieder auf einer Bahre hereintragen lassen würde, wenn
sie Engen Richter herausgeworfen hätten." Und einige Monate später
schreibt er einem befreundeten Engländer: "Mehr und mehr empfand ich, daß die


Goorg von Bunsen

druck. Ich kam von Brüssel, vollgesogen von libr«z sstlietiHUö und art vouvsau,
und fuhr nach Holland hinein. Kurz vor Dordrecht, nahe an der Bahn, lag
ein riesiges Gebäude mit einer weithin leuchtende» Inschrift. Es war eine
Fabrik von künstlichem Guano, und die Aufschrift sagte: Internationale Kunst-
mest. Ich mußte herzlich lachen, und der Leser verdenke es mir hoffentlich
A. P. nicht, daß ich ihm das bei diesem Anlaß erzählt habe.




Georg von Bunsen

>cMH.
-L^H^WWer sonderbare Titel des kürzlich erschienenen Werkes Georg von
Bunsen, ein Charakterbild aus dem Lager der Besiegten,
gezeichnet von seiner Tochter Marie von Bunsen (Berlin,
Wilhelm Hertz), erweckt insofern eine schiefe Vorstellung von seinen,
Inhalt, als der Held weder je den Anspruch erhoben hat, ein eben-
! hurtiger Gegner Bismcircks zu sein, noch auch überhaupt ein leiden¬
schaftlicher Feind des Kanzlers war. Bunsen war ein ehrenhafter, tüchtiger und
liebenswürdiger Mann von ausgebreiteter Welt- wie Lebenserfahrung und viel¬
seitigem Wissen, dem es seine unabhängige Lebensstellung erlaubte, sich ganz seiner
politischen Bürgerpflicht, wie er sie auffaßte, zu widmen, und der sein warmes
Herz bei zahlreichen energisch und zum Teile auf Kosten der eignen Gesundheit
betriebnen Wohlthätigkeits- und Wohlfahrtsbestrebungen glänzend bethätigte. Für
seine Laufbahn und für alle seine politischen Bestrebungen sind die Ansichten seines
von ihm leidenschaftlich geliebten und hoch verehrten Vaters, des Gesandten, be¬
stimmend gewesen, der die schlimmste Zeit der mit dem Muckertume verquickten
politischen Reaktion in Preußen mit den Worten bezeichnet hat: „Von Hengsten¬
bergs Studierzimmer aus, durch Gerlach, geht alles auf Verdammung und Ver¬
finsterung los; man wird diese trübe Zeit des geistreichsten Königs des Jahr¬
hunderts noch viel ärger beklagen und verurteilen als die Wöllners; alles hat
zugleich den reaktionären und politischen Charakter der Junkerpartei; nur Heuchelei
und wahrer Unglaube wird durch dieses unselige System gepflanzt, und die leiden¬
schaftlichste Reaktion vorbereitet; mit Garden und Polizei kann man ja politisch
thun, was man will — so lange es dauert; allein die Knechtung des Geistes hat
der Deutsche nie ertragen, und sein Fluch folgt durch alle Jahrhunderte denen, die
sie gesucht haben."

Diesen Standpunkt bewahrte er während der Konfliktszeit und der darauf
folgenden Epoche, die im wesentlichen die Signatur Bismcircks trägt, und gab ihr
als Parlamentarier besonders in den Phasen der innern Politik mehr oder weniger
lebhaften Ausdruck, während deren sich der Kanzler von der liberalen Partei ab¬
zuwenden schien. Dabei war aber Bunsen viel zu vorurteilsfrei und gescheut, als
daß er sich je auf blinden Fraktionsfanatismus eingelassen hätte. Am bezeichnendsten
dafür ist, was er am 19. August 1885 einem seiner Brüder schreibt (S. 293):
„Ich verlasse die Politik aus Gesundheitsrücksichten, habe aber erklärt, daß ich mich
nötigenfalls wieder auf einer Bahre hereintragen lassen würde, wenn
sie Engen Richter herausgeworfen hätten." Und einige Monate später
schreibt er einem befreundeten Engländer: „Mehr und mehr empfand ich, daß die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/262>, abgerufen am 29.06.2024.