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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Schulreform in Sicht?

gleich den Engländern und Amerikanern viel Geld für mäßige Leistungen zu
verwenden. Nun, wir werden eben an die Lösung von vorläufig näher
liegenden Kulturanfgaben gehn, hinter die die höhere geistige Arbeit zurück¬
treten muß. Wir werden suchen, die Versäumnis von Jahrhunderten einzu¬
holen, indem wir das deutsche Volk wieder an die ihm zukommende Stelle
unter den Kulturvölkern setzen. Das größere Deutschland, die deutsche Welt¬
macht sind Ziele, die nur dem eitel erscheinen können, der noch die über die
Grenzen des alten Europas längst hinaus gewachsenen Interessen Deutschlands
uicht begriffen oder sich nicht mit ihnen ausgesöhnt hat. Hier ist aber kein
Zurück mehr möglich, und wollten wir nicht über das Meer, so wären wir
gezwungen, uns zu Lande Raum zu schaffen. Buche Deutschland so, wie es
1870 war. so wäre es in wenigen Jahrzehnten ein Kleinstaat unter Welt¬
mächten. Wir müssen vorwärts! Es wird sich uur fragen, inwiefern unsre
Zukunft auf dem Wasser und inwiefern auf dem Lande liegt.




Schulreform in Sicht?

ur den 5. Mai haben der Verein deutscher Ingenieure, der deutsche
Realschulmännerverein, der Verein für lateinloses Schulwesen
und der Verein für Schulreform eine Versammlung nach Berlin
berufen, um eine Kundgebung auf Grund zweier gemeinsamer
Forderungen zu veranstalten. Sie verlangen 1. die gleichen
Berechtigungen für alle neunklassigen hohem Schulen (Gymnasien, Real¬
gymnasien und Oberrealschulen) zu wissenschaftlichen Studien und höhern
Laufbahnen; 2. den gemeinsamen lateinlosen Unterban für die drei untern
Klassen aller höhern Schulen (also auch der Realschulen). Die Herren ver¬
suchen sich insofern mit dem Nnnicu des Kaisers zu decken, als sie von einer
"nuf Wunsch des Kaisers in Aussicht genommenen Schulreform" reden. Sie
müssen ganz besondre Verbindungen haben, denn im preußischen Kultus¬
ministerium weiß man bis jetzt von keinem Reformplan, abgesehen von einer
etwaigen Erweiterung der Berechtigungen der Realgymnasien, über die das
Preußische Staatsministerium jüngst Beschluß gefaßt hat. Jedenfalls wird man
nicht nur das preußische Kultusministerium zunächst hören müssen, sondern
auch die Kultusministerien andrer deutscher Staaten, denn es ist doch gar
nicht daran zu denken, daß Preußen in diesen hochwichtigen Fragen allein
vorgehn und damit eine Spaltung des gesamten höhern Schulwesens in
Deutschland riskieren sollte. Darauf nämlich, daß sich die deutschen Mittel¬
staaten Sachsen, Bayern. Württemberg, Baden und Hessen sich ohne weiteres
von Preußen ins Schlepptau nehmen lassen und die preußische "Schulreform"


Schulreform in Sicht?

gleich den Engländern und Amerikanern viel Geld für mäßige Leistungen zu
verwenden. Nun, wir werden eben an die Lösung von vorläufig näher
liegenden Kulturanfgaben gehn, hinter die die höhere geistige Arbeit zurück¬
treten muß. Wir werden suchen, die Versäumnis von Jahrhunderten einzu¬
holen, indem wir das deutsche Volk wieder an die ihm zukommende Stelle
unter den Kulturvölkern setzen. Das größere Deutschland, die deutsche Welt¬
macht sind Ziele, die nur dem eitel erscheinen können, der noch die über die
Grenzen des alten Europas längst hinaus gewachsenen Interessen Deutschlands
uicht begriffen oder sich nicht mit ihnen ausgesöhnt hat. Hier ist aber kein
Zurück mehr möglich, und wollten wir nicht über das Meer, so wären wir
gezwungen, uns zu Lande Raum zu schaffen. Buche Deutschland so, wie es
1870 war. so wäre es in wenigen Jahrzehnten ein Kleinstaat unter Welt¬
mächten. Wir müssen vorwärts! Es wird sich uur fragen, inwiefern unsre
Zukunft auf dem Wasser und inwiefern auf dem Lande liegt.




Schulreform in Sicht?

ur den 5. Mai haben der Verein deutscher Ingenieure, der deutsche
Realschulmännerverein, der Verein für lateinloses Schulwesen
und der Verein für Schulreform eine Versammlung nach Berlin
berufen, um eine Kundgebung auf Grund zweier gemeinsamer
Forderungen zu veranstalten. Sie verlangen 1. die gleichen
Berechtigungen für alle neunklassigen hohem Schulen (Gymnasien, Real¬
gymnasien und Oberrealschulen) zu wissenschaftlichen Studien und höhern
Laufbahnen; 2. den gemeinsamen lateinlosen Unterban für die drei untern
Klassen aller höhern Schulen (also auch der Realschulen). Die Herren ver¬
suchen sich insofern mit dem Nnnicu des Kaisers zu decken, als sie von einer
„nuf Wunsch des Kaisers in Aussicht genommenen Schulreform" reden. Sie
müssen ganz besondre Verbindungen haben, denn im preußischen Kultus¬
ministerium weiß man bis jetzt von keinem Reformplan, abgesehen von einer
etwaigen Erweiterung der Berechtigungen der Realgymnasien, über die das
Preußische Staatsministerium jüngst Beschluß gefaßt hat. Jedenfalls wird man
nicht nur das preußische Kultusministerium zunächst hören müssen, sondern
auch die Kultusministerien andrer deutscher Staaten, denn es ist doch gar
nicht daran zu denken, daß Preußen in diesen hochwichtigen Fragen allein
vorgehn und damit eine Spaltung des gesamten höhern Schulwesens in
Deutschland riskieren sollte. Darauf nämlich, daß sich die deutschen Mittel¬
staaten Sachsen, Bayern. Württemberg, Baden und Hessen sich ohne weiteres
von Preußen ins Schlepptau nehmen lassen und die preußische „Schulreform"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/237>, abgerufen am 29.06.2024.