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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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(Line Gntlassungsrede
von Veto Uaemmel

ohne besondre Bewegung kann ich diesen Jahrgang der
entlassen, den,, es ist der erste, den ich aufgenommen
UL^M habe, und der nnr unter meinem Nektarate die Schule durch
gemacht hat, was keinen, meiner beiden lebten Vorgänger von
sagen verrinnt U'ar^ Aber U'cum ich liente die kleine
Schar betrachte, so erscheint sie mir wie eine Truppe, die von einem langen
mühseligen Marsche und aus scharfen Gefechten in die Quartiere einrückt. Denn
von den zweiundsechzig Sextanern, die mir zu Ostern 1891 den Handschlag
leisteten, sehe ich hier nur noch sechzehn, wenig mehr als den vierten Teil; die
übrigen sind unterwegs abgekommen, zurückgeblieben, abgegangen, einer ist auch
früher ans Ziel gelangt, und der Ersatz durch spätern Zuwachs unterwegs hat
bei weitem nicht genügt, die Lücken zu füllen. Noch sehe ich manche von Ihnen
vor mir als Knaben in kurzen Höschen, wie sie sich bei der Anmeldung halb
scheu, halb neugierig im Rektorzimmer umschauten und dann mit einer mehr
oder weniger gelungner Verbeugung empfahlen, und ich habe auch den tapfern
Jungen nicht vergessen, der dann als Quintaner, aus einer tiefen Kopfwunde
blutend, die er sich beim Umhertollen auf dem Spielplatze geholt hatte, am
Waffertrog stand und auf meine Anweisung: "Geh jetzt nach Hause und laß
dich verbinden," sofort entgegnete: "Aber ich darf doch morgen wieder in die
Schule kommen?" Die Wunde ist längst vernarbt, auch die Höschen sind ge¬
wachsen, und als Jünglinge in würdigem Schwarz sitzen die heute vor mir,
die vor neun Jahren hier an dieser Stelle als Knaben in die Schule auf¬
genommen wurden. Und sie sind auch innerlich gewachsen und reif geworden,
selbständig ihren Lebensberuf zu wählen und sich für ihn nach ihrer Weise vor¬
zubereiten.

Auch die Zeiten haben sich geändert. Damals standen wir noch unter
dem Drucke der Entlassung Fürst Bismarcks und sahen trübe zweifelnd in eine
ungewisse Zukunft, die uns weder frohe Hoffnungen noch ein großes Ideal
zu bieten schien. Heute haben wir wieder ein solches Ideal und die Zu¬
versicht, daß wir es unter der weitschauenden und energischen Führung unsers
Kaisers erreichen werden, wenn anders die Nation sich ihm nicht versagt. Daß
sie das nicht thut, daß sie sich dem großen Augenblicke gegenüber nicht als




(Line Gntlassungsrede
von Veto Uaemmel

ohne besondre Bewegung kann ich diesen Jahrgang der
entlassen, den,, es ist der erste, den ich aufgenommen
UL^M habe, und der nnr unter meinem Nektarate die Schule durch
gemacht hat, was keinen, meiner beiden lebten Vorgänger von
sagen verrinnt U'ar^ Aber U'cum ich liente die kleine
Schar betrachte, so erscheint sie mir wie eine Truppe, die von einem langen
mühseligen Marsche und aus scharfen Gefechten in die Quartiere einrückt. Denn
von den zweiundsechzig Sextanern, die mir zu Ostern 1891 den Handschlag
leisteten, sehe ich hier nur noch sechzehn, wenig mehr als den vierten Teil; die
übrigen sind unterwegs abgekommen, zurückgeblieben, abgegangen, einer ist auch
früher ans Ziel gelangt, und der Ersatz durch spätern Zuwachs unterwegs hat
bei weitem nicht genügt, die Lücken zu füllen. Noch sehe ich manche von Ihnen
vor mir als Knaben in kurzen Höschen, wie sie sich bei der Anmeldung halb
scheu, halb neugierig im Rektorzimmer umschauten und dann mit einer mehr
oder weniger gelungner Verbeugung empfahlen, und ich habe auch den tapfern
Jungen nicht vergessen, der dann als Quintaner, aus einer tiefen Kopfwunde
blutend, die er sich beim Umhertollen auf dem Spielplatze geholt hatte, am
Waffertrog stand und auf meine Anweisung: „Geh jetzt nach Hause und laß
dich verbinden," sofort entgegnete: „Aber ich darf doch morgen wieder in die
Schule kommen?" Die Wunde ist längst vernarbt, auch die Höschen sind ge¬
wachsen, und als Jünglinge in würdigem Schwarz sitzen die heute vor mir,
die vor neun Jahren hier an dieser Stelle als Knaben in die Schule auf¬
genommen wurden. Und sie sind auch innerlich gewachsen und reif geworden,
selbständig ihren Lebensberuf zu wählen und sich für ihn nach ihrer Weise vor¬
zubereiten.

Auch die Zeiten haben sich geändert. Damals standen wir noch unter
dem Drucke der Entlassung Fürst Bismarcks und sahen trübe zweifelnd in eine
ungewisse Zukunft, die uns weder frohe Hoffnungen noch ein großes Ideal
zu bieten schien. Heute haben wir wieder ein solches Ideal und die Zu¬
versicht, daß wir es unter der weitschauenden und energischen Führung unsers
Kaisers erreichen werden, wenn anders die Nation sich ihm nicht versagt. Daß
sie das nicht thut, daß sie sich dem großen Augenblicke gegenüber nicht als


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[0021] [Abbildung] (Line Gntlassungsrede von Veto Uaemmel ohne besondre Bewegung kann ich diesen Jahrgang der entlassen, den,, es ist der erste, den ich aufgenommen UL^M habe, und der nnr unter meinem Nektarate die Schule durch gemacht hat, was keinen, meiner beiden lebten Vorgänger von sagen verrinnt U'ar^ Aber U'cum ich liente die kleine Schar betrachte, so erscheint sie mir wie eine Truppe, die von einem langen mühseligen Marsche und aus scharfen Gefechten in die Quartiere einrückt. Denn von den zweiundsechzig Sextanern, die mir zu Ostern 1891 den Handschlag leisteten, sehe ich hier nur noch sechzehn, wenig mehr als den vierten Teil; die übrigen sind unterwegs abgekommen, zurückgeblieben, abgegangen, einer ist auch früher ans Ziel gelangt, und der Ersatz durch spätern Zuwachs unterwegs hat bei weitem nicht genügt, die Lücken zu füllen. Noch sehe ich manche von Ihnen vor mir als Knaben in kurzen Höschen, wie sie sich bei der Anmeldung halb scheu, halb neugierig im Rektorzimmer umschauten und dann mit einer mehr oder weniger gelungner Verbeugung empfahlen, und ich habe auch den tapfern Jungen nicht vergessen, der dann als Quintaner, aus einer tiefen Kopfwunde blutend, die er sich beim Umhertollen auf dem Spielplatze geholt hatte, am Waffertrog stand und auf meine Anweisung: „Geh jetzt nach Hause und laß dich verbinden," sofort entgegnete: „Aber ich darf doch morgen wieder in die Schule kommen?" Die Wunde ist längst vernarbt, auch die Höschen sind ge¬ wachsen, und als Jünglinge in würdigem Schwarz sitzen die heute vor mir, die vor neun Jahren hier an dieser Stelle als Knaben in die Schule auf¬ genommen wurden. Und sie sind auch innerlich gewachsen und reif geworden, selbständig ihren Lebensberuf zu wählen und sich für ihn nach ihrer Weise vor¬ zubereiten. Auch die Zeiten haben sich geändert. Damals standen wir noch unter dem Drucke der Entlassung Fürst Bismarcks und sahen trübe zweifelnd in eine ungewisse Zukunft, die uns weder frohe Hoffnungen noch ein großes Ideal zu bieten schien. Heute haben wir wieder ein solches Ideal und die Zu¬ versicht, daß wir es unter der weitschauenden und energischen Führung unsers Kaisers erreichen werden, wenn anders die Nation sich ihm nicht versagt. Daß sie das nicht thut, daß sie sich dem großen Augenblicke gegenüber nicht als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/21>, abgerufen am 29.06.2024.