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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Auf Sizilien

nichts. Aber in diesen Wochen, wo der Prozeß Notarbartolo vor dem Schwur¬
gericht von Mailand spielte und der Sohn des Ermordeten in offner Sitzung
Palizzolo, den Abgeordneten von Palermo, als den Anstifter des Mordes und
als Mafsiosen anklagte, brachten die italienischen Zeitungen, nicht zum wenigsten
die Palermitanischen Blätter, täglich spaltenlange Berichte über die Verhand¬
lungen und Geschichten von der unheimlichen Macht der Muffla bis in die
höchsten Kreise hinauf. Später wurde mir, wenn ich nicht irre, in Syrakus,
erzählt, daß Florio, der größte Grundbesitzer der Insel, jährlich 12000 Lire
an die Maffia zahle, um unbelästigt zu bleiben. Jedenfalls ist auf Sizilien
die Maffia mächtiger als die Regierung, und es ist schwer zu sagen, wie dieser
in einer jahrtausendelangen Entwicklung Wurzelude Krebsschaden jemals geheilt
werden soll. Ein parlamentarisches Regiment wie das heutige wird es jeden¬
falls nicht vermögen. So tritt auch hierin das Fremdartige, halb Orientalische
des Landes charakteristisch hervor.

Dieses Element beschränkt sich allerdings im wesentlichen auf das westliche
Drittel der Insel. Der Osten hat zwar zweieinhalb Jahrhunderte lang unter
arabischer Herrschaft gestanden, aber niemals eine stärkere semitische Bevölkerung
gehabt, ist vielmehr namentlich an seinen Küsten der Schauplatz einer tief
eindringenden griechischen Kolonisation und Staatenbildung gewesen. Nach der
ehemals ganz hellenischen Ostküste führt heute bis Messina eine Eisenbahn¬
fahrt von fünf, bis Shrakus, der südlichsten und größte" alten Griechenstadt
Siziliens, eine solche von achtundeinhalb Stunden. Jene geht an der überaus
malerischen Nordküste hin, diese führt auf ihrer längsten Strecke durch das
Innere der Insel. Die erste Route mußte mein militärischer Gefährte leider
schon am zweiten Tage einschlagen, um in Messina den Dampfer "Re Um¬
berto" zu erreichen, der ihn nach Alexnndria bringen sollte; die zweite hatte
ich gewählt, weil ich auf die altgrichische Ostküste die meiste Zeit verwenden
und vom Innern wenigstens ungefähr ein Bild gewinnen wollte.

2. Syrakus

Die Eisenbahn führt zunächst etwa vierzig Kilometer lang an der Nord¬
küste hin durch üppig strotzende Fruchtgürten und bis über Bagheria hinaus
durch eine kaum unterbrochne Reihe von Ortschaften. Kunstlose Keltern wiesen
überall darauf hin, daß hier jeder Bauer seinen Rebensaft selbst bereitet,
darunter vor allem den dunkelroten feurigen Misilmeri. Rückwärts blieb der
Monte Pellegrinv noch lange sichtbar, voraus zeigte sich das schöne Küsten¬
gebirge von Cefalu, links dehnte sich das stahlblaue Meer, auf dem zahlreiche
Fischerbarken schaukelten, nur am nördlichen Horizont lag eine dunkle Wolken¬
bank. Eine Strecke hinter Termini (Thermä), unweit des alten Himera, wo im
Jahre 480 v. Chr. die vereinigten Mischen Griechen die Karthager bis zur
Vernichtung schlugen, biegt die Eisenbahnlinie scharf rechtwinklig nach Süden
ab in das Thal des Fiume torto hinein, und mit einem Schlage ändert sich
das Ansehen der Landschaft. Mühsam klomm der Zug, dem Flußthale folgend,


Auf Sizilien

nichts. Aber in diesen Wochen, wo der Prozeß Notarbartolo vor dem Schwur¬
gericht von Mailand spielte und der Sohn des Ermordeten in offner Sitzung
Palizzolo, den Abgeordneten von Palermo, als den Anstifter des Mordes und
als Mafsiosen anklagte, brachten die italienischen Zeitungen, nicht zum wenigsten
die Palermitanischen Blätter, täglich spaltenlange Berichte über die Verhand¬
lungen und Geschichten von der unheimlichen Macht der Muffla bis in die
höchsten Kreise hinauf. Später wurde mir, wenn ich nicht irre, in Syrakus,
erzählt, daß Florio, der größte Grundbesitzer der Insel, jährlich 12000 Lire
an die Maffia zahle, um unbelästigt zu bleiben. Jedenfalls ist auf Sizilien
die Maffia mächtiger als die Regierung, und es ist schwer zu sagen, wie dieser
in einer jahrtausendelangen Entwicklung Wurzelude Krebsschaden jemals geheilt
werden soll. Ein parlamentarisches Regiment wie das heutige wird es jeden¬
falls nicht vermögen. So tritt auch hierin das Fremdartige, halb Orientalische
des Landes charakteristisch hervor.

Dieses Element beschränkt sich allerdings im wesentlichen auf das westliche
Drittel der Insel. Der Osten hat zwar zweieinhalb Jahrhunderte lang unter
arabischer Herrschaft gestanden, aber niemals eine stärkere semitische Bevölkerung
gehabt, ist vielmehr namentlich an seinen Küsten der Schauplatz einer tief
eindringenden griechischen Kolonisation und Staatenbildung gewesen. Nach der
ehemals ganz hellenischen Ostküste führt heute bis Messina eine Eisenbahn¬
fahrt von fünf, bis Shrakus, der südlichsten und größte» alten Griechenstadt
Siziliens, eine solche von achtundeinhalb Stunden. Jene geht an der überaus
malerischen Nordküste hin, diese führt auf ihrer längsten Strecke durch das
Innere der Insel. Die erste Route mußte mein militärischer Gefährte leider
schon am zweiten Tage einschlagen, um in Messina den Dampfer „Re Um¬
berto" zu erreichen, der ihn nach Alexnndria bringen sollte; die zweite hatte
ich gewählt, weil ich auf die altgrichische Ostküste die meiste Zeit verwenden
und vom Innern wenigstens ungefähr ein Bild gewinnen wollte.

2. Syrakus

Die Eisenbahn führt zunächst etwa vierzig Kilometer lang an der Nord¬
küste hin durch üppig strotzende Fruchtgürten und bis über Bagheria hinaus
durch eine kaum unterbrochne Reihe von Ortschaften. Kunstlose Keltern wiesen
überall darauf hin, daß hier jeder Bauer seinen Rebensaft selbst bereitet,
darunter vor allem den dunkelroten feurigen Misilmeri. Rückwärts blieb der
Monte Pellegrinv noch lange sichtbar, voraus zeigte sich das schöne Küsten¬
gebirge von Cefalu, links dehnte sich das stahlblaue Meer, auf dem zahlreiche
Fischerbarken schaukelten, nur am nördlichen Horizont lag eine dunkle Wolken¬
bank. Eine Strecke hinter Termini (Thermä), unweit des alten Himera, wo im
Jahre 480 v. Chr. die vereinigten Mischen Griechen die Karthager bis zur
Vernichtung schlugen, biegt die Eisenbahnlinie scharf rechtwinklig nach Süden
ab in das Thal des Fiume torto hinein, und mit einem Schlage ändert sich
das Ansehen der Landschaft. Mühsam klomm der Zug, dem Flußthale folgend,


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[0203] Auf Sizilien nichts. Aber in diesen Wochen, wo der Prozeß Notarbartolo vor dem Schwur¬ gericht von Mailand spielte und der Sohn des Ermordeten in offner Sitzung Palizzolo, den Abgeordneten von Palermo, als den Anstifter des Mordes und als Mafsiosen anklagte, brachten die italienischen Zeitungen, nicht zum wenigsten die Palermitanischen Blätter, täglich spaltenlange Berichte über die Verhand¬ lungen und Geschichten von der unheimlichen Macht der Muffla bis in die höchsten Kreise hinauf. Später wurde mir, wenn ich nicht irre, in Syrakus, erzählt, daß Florio, der größte Grundbesitzer der Insel, jährlich 12000 Lire an die Maffia zahle, um unbelästigt zu bleiben. Jedenfalls ist auf Sizilien die Maffia mächtiger als die Regierung, und es ist schwer zu sagen, wie dieser in einer jahrtausendelangen Entwicklung Wurzelude Krebsschaden jemals geheilt werden soll. Ein parlamentarisches Regiment wie das heutige wird es jeden¬ falls nicht vermögen. So tritt auch hierin das Fremdartige, halb Orientalische des Landes charakteristisch hervor. Dieses Element beschränkt sich allerdings im wesentlichen auf das westliche Drittel der Insel. Der Osten hat zwar zweieinhalb Jahrhunderte lang unter arabischer Herrschaft gestanden, aber niemals eine stärkere semitische Bevölkerung gehabt, ist vielmehr namentlich an seinen Küsten der Schauplatz einer tief eindringenden griechischen Kolonisation und Staatenbildung gewesen. Nach der ehemals ganz hellenischen Ostküste führt heute bis Messina eine Eisenbahn¬ fahrt von fünf, bis Shrakus, der südlichsten und größte» alten Griechenstadt Siziliens, eine solche von achtundeinhalb Stunden. Jene geht an der überaus malerischen Nordküste hin, diese führt auf ihrer längsten Strecke durch das Innere der Insel. Die erste Route mußte mein militärischer Gefährte leider schon am zweiten Tage einschlagen, um in Messina den Dampfer „Re Um¬ berto" zu erreichen, der ihn nach Alexnndria bringen sollte; die zweite hatte ich gewählt, weil ich auf die altgrichische Ostküste die meiste Zeit verwenden und vom Innern wenigstens ungefähr ein Bild gewinnen wollte. 2. Syrakus Die Eisenbahn führt zunächst etwa vierzig Kilometer lang an der Nord¬ küste hin durch üppig strotzende Fruchtgürten und bis über Bagheria hinaus durch eine kaum unterbrochne Reihe von Ortschaften. Kunstlose Keltern wiesen überall darauf hin, daß hier jeder Bauer seinen Rebensaft selbst bereitet, darunter vor allem den dunkelroten feurigen Misilmeri. Rückwärts blieb der Monte Pellegrinv noch lange sichtbar, voraus zeigte sich das schöne Küsten¬ gebirge von Cefalu, links dehnte sich das stahlblaue Meer, auf dem zahlreiche Fischerbarken schaukelten, nur am nördlichen Horizont lag eine dunkle Wolken¬ bank. Eine Strecke hinter Termini (Thermä), unweit des alten Himera, wo im Jahre 480 v. Chr. die vereinigten Mischen Griechen die Karthager bis zur Vernichtung schlugen, biegt die Eisenbahnlinie scharf rechtwinklig nach Süden ab in das Thal des Fiume torto hinein, und mit einem Schlage ändert sich das Ansehen der Landschaft. Mühsam klomm der Zug, dem Flußthale folgend,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/203>, abgerufen am 29.06.2024.