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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Erinnerungen an den ungarischen Feldzug im Jahre ^3^9

bleiben. Der Abend vereinte alle in angenehmer Unterhaltung: die Gräfin
liebte Musik, Talente tauchten auf, und Konzerte kamen zu stände. Zuweilen
wurde sogar getanzt, und hier lernte ich den schönen ungarischen Tanz
"Csardas" kennen, den die Ungarinnen so graziös auszuführen verstehn.
Gulai wurde zu unsern Onamxs Mz^Sö; alle Welt amüsierte sich, schwärmte
und belustigte sich. Oft wurde einem freilich schwer ums Herz bei dem Ge¬
danken, wie lange das noch dauern würde. Die Stunde des Verhängnisses
brach denn auch bald herein. Eines Abends, als sich alles zu irgend einer
Feier im Saal versammelt hatte, ertönte plötzlich der Ruf: Die Österreicher
kommen! und der ganze Schwarm lief furchtsam und verzweifelt auseinander.
Die Kriegsgefangnen stürzten zum General Anrep, dem nichts andres übrig
blieb, als sie zu ernähren, sich in ihr Los zu fügen. Die Ursache des Grams
und Kummers, der so plötzlich der allgemeinen Fröhlichkeit ein Ende machte,
war die Ankunft des österreichischen Generals Montenuovv, eines Sohnes von
Maria Luise, der mit einem Regiment gesandt war, um die Ungarn gefangen
zu nehmen. Wir hatten das erwartet, aber nicht so bald und nicht ohne jede
vorherige Benachrichtigung. Man kann sich die schwierige Lage General Anreps
ausmalen, der so freundlich und teilnahmvoll unsre Kriegsgefangnen getröstet
und beruhigt hatte. Es gab vielleicht Augenblicke, wo diese uns anklagten;
aber die vornehm Denkenden unter ihnen verstanden uns sehr bald, und nicht
ein Wort des Vorwurfs oder der Unzufriedenheit kam über ihre Lippen; im
Gegenteil: sie dankten unserm General aufrichtig und herzlich für sein freund¬
liches Verhalten und sagten, sie würden dessen immer eingedenk bleiben. Tags
darauf befahl Montenuovo die Generale und Offiziere -- denen, wie ich er¬
wähnt, Graf Rüdiger den Degen gelassen hatte -- zu entwaffnen und bat den
General Anrep, zur Entgegennahme der Degen und zur Aufstellung eines Ver¬
zeichnisses der Kriegsgefangnen seinen Adjutanten zu entsenden. Ich war so
frei, Seine Exzellenz um Befreiung von dieser Aufgabe zu bitten und einen
österreichischen Offizier dazu vorzuschlagen. Das geschah. Für diese traurige,
letzte Zeremonie war ein Zimmer im untern Stock bestimmt; dort saß der
Offizier; die Gefangnen aber traten nicht ein, sondern warfen ihre Säbel durchs
Fenster und trafen ihn dergestalt, daß er schließlich von Wunden und Blut
bedeckt zusammenbrach.

Die Gefangnen, die am nächsten mit mir bekannt geworden waren, kamen
noch in der Nacht zu mir, um sich zu verabschieden, und ich, der das Los
der Ärmsten ahnte, drückte sie fest ans Herz.


6. Schlußwort

Ohne Zweifel wurde jeder brave Russe von gerechtem Ärger erfüllt, als
bald nach der Beendigung des Feldzugs das Urteil der Österreicher über unsre
Vermittlung in der ungarischen Affaire bekannt wurde. In der That war es
sehr schmerzlich, hören zu müssen, wie sie versicherten, wir seien ihre Söldner --
wo der in diesem Feldzuge von uns erworbne Ruhm so viel teures Blut und


Erinnerungen an den ungarischen Feldzug im Jahre ^3^9

bleiben. Der Abend vereinte alle in angenehmer Unterhaltung: die Gräfin
liebte Musik, Talente tauchten auf, und Konzerte kamen zu stände. Zuweilen
wurde sogar getanzt, und hier lernte ich den schönen ungarischen Tanz
„Csardas" kennen, den die Ungarinnen so graziös auszuführen verstehn.
Gulai wurde zu unsern Onamxs Mz^Sö; alle Welt amüsierte sich, schwärmte
und belustigte sich. Oft wurde einem freilich schwer ums Herz bei dem Ge¬
danken, wie lange das noch dauern würde. Die Stunde des Verhängnisses
brach denn auch bald herein. Eines Abends, als sich alles zu irgend einer
Feier im Saal versammelt hatte, ertönte plötzlich der Ruf: Die Österreicher
kommen! und der ganze Schwarm lief furchtsam und verzweifelt auseinander.
Die Kriegsgefangnen stürzten zum General Anrep, dem nichts andres übrig
blieb, als sie zu ernähren, sich in ihr Los zu fügen. Die Ursache des Grams
und Kummers, der so plötzlich der allgemeinen Fröhlichkeit ein Ende machte,
war die Ankunft des österreichischen Generals Montenuovv, eines Sohnes von
Maria Luise, der mit einem Regiment gesandt war, um die Ungarn gefangen
zu nehmen. Wir hatten das erwartet, aber nicht so bald und nicht ohne jede
vorherige Benachrichtigung. Man kann sich die schwierige Lage General Anreps
ausmalen, der so freundlich und teilnahmvoll unsre Kriegsgefangnen getröstet
und beruhigt hatte. Es gab vielleicht Augenblicke, wo diese uns anklagten;
aber die vornehm Denkenden unter ihnen verstanden uns sehr bald, und nicht
ein Wort des Vorwurfs oder der Unzufriedenheit kam über ihre Lippen; im
Gegenteil: sie dankten unserm General aufrichtig und herzlich für sein freund¬
liches Verhalten und sagten, sie würden dessen immer eingedenk bleiben. Tags
darauf befahl Montenuovo die Generale und Offiziere — denen, wie ich er¬
wähnt, Graf Rüdiger den Degen gelassen hatte — zu entwaffnen und bat den
General Anrep, zur Entgegennahme der Degen und zur Aufstellung eines Ver¬
zeichnisses der Kriegsgefangnen seinen Adjutanten zu entsenden. Ich war so
frei, Seine Exzellenz um Befreiung von dieser Aufgabe zu bitten und einen
österreichischen Offizier dazu vorzuschlagen. Das geschah. Für diese traurige,
letzte Zeremonie war ein Zimmer im untern Stock bestimmt; dort saß der
Offizier; die Gefangnen aber traten nicht ein, sondern warfen ihre Säbel durchs
Fenster und trafen ihn dergestalt, daß er schließlich von Wunden und Blut
bedeckt zusammenbrach.

Die Gefangnen, die am nächsten mit mir bekannt geworden waren, kamen
noch in der Nacht zu mir, um sich zu verabschieden, und ich, der das Los
der Ärmsten ahnte, drückte sie fest ans Herz.


6. Schlußwort

Ohne Zweifel wurde jeder brave Russe von gerechtem Ärger erfüllt, als
bald nach der Beendigung des Feldzugs das Urteil der Österreicher über unsre
Vermittlung in der ungarischen Affaire bekannt wurde. In der That war es
sehr schmerzlich, hören zu müssen, wie sie versicherten, wir seien ihre Söldner —
wo der in diesem Feldzuge von uns erworbne Ruhm so viel teures Blut und


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[0187] Erinnerungen an den ungarischen Feldzug im Jahre ^3^9 bleiben. Der Abend vereinte alle in angenehmer Unterhaltung: die Gräfin liebte Musik, Talente tauchten auf, und Konzerte kamen zu stände. Zuweilen wurde sogar getanzt, und hier lernte ich den schönen ungarischen Tanz „Csardas" kennen, den die Ungarinnen so graziös auszuführen verstehn. Gulai wurde zu unsern Onamxs Mz^Sö; alle Welt amüsierte sich, schwärmte und belustigte sich. Oft wurde einem freilich schwer ums Herz bei dem Ge¬ danken, wie lange das noch dauern würde. Die Stunde des Verhängnisses brach denn auch bald herein. Eines Abends, als sich alles zu irgend einer Feier im Saal versammelt hatte, ertönte plötzlich der Ruf: Die Österreicher kommen! und der ganze Schwarm lief furchtsam und verzweifelt auseinander. Die Kriegsgefangnen stürzten zum General Anrep, dem nichts andres übrig blieb, als sie zu ernähren, sich in ihr Los zu fügen. Die Ursache des Grams und Kummers, der so plötzlich der allgemeinen Fröhlichkeit ein Ende machte, war die Ankunft des österreichischen Generals Montenuovv, eines Sohnes von Maria Luise, der mit einem Regiment gesandt war, um die Ungarn gefangen zu nehmen. Wir hatten das erwartet, aber nicht so bald und nicht ohne jede vorherige Benachrichtigung. Man kann sich die schwierige Lage General Anreps ausmalen, der so freundlich und teilnahmvoll unsre Kriegsgefangnen getröstet und beruhigt hatte. Es gab vielleicht Augenblicke, wo diese uns anklagten; aber die vornehm Denkenden unter ihnen verstanden uns sehr bald, und nicht ein Wort des Vorwurfs oder der Unzufriedenheit kam über ihre Lippen; im Gegenteil: sie dankten unserm General aufrichtig und herzlich für sein freund¬ liches Verhalten und sagten, sie würden dessen immer eingedenk bleiben. Tags darauf befahl Montenuovo die Generale und Offiziere — denen, wie ich er¬ wähnt, Graf Rüdiger den Degen gelassen hatte — zu entwaffnen und bat den General Anrep, zur Entgegennahme der Degen und zur Aufstellung eines Ver¬ zeichnisses der Kriegsgefangnen seinen Adjutanten zu entsenden. Ich war so frei, Seine Exzellenz um Befreiung von dieser Aufgabe zu bitten und einen österreichischen Offizier dazu vorzuschlagen. Das geschah. Für diese traurige, letzte Zeremonie war ein Zimmer im untern Stock bestimmt; dort saß der Offizier; die Gefangnen aber traten nicht ein, sondern warfen ihre Säbel durchs Fenster und trafen ihn dergestalt, daß er schließlich von Wunden und Blut bedeckt zusammenbrach. Die Gefangnen, die am nächsten mit mir bekannt geworden waren, kamen noch in der Nacht zu mir, um sich zu verabschieden, und ich, der das Los der Ärmsten ahnte, drückte sie fest ans Herz. 6. Schlußwort Ohne Zweifel wurde jeder brave Russe von gerechtem Ärger erfüllt, als bald nach der Beendigung des Feldzugs das Urteil der Österreicher über unsre Vermittlung in der ungarischen Affaire bekannt wurde. In der That war es sehr schmerzlich, hören zu müssen, wie sie versicherten, wir seien ihre Söldner — wo der in diesem Feldzuge von uns erworbne Ruhm so viel teures Blut und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/187>, abgerufen am 28.09.2024.