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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr.

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Die deutsche welipolitik

und es genügt, darauf zu verweisen. Dagegen ist die Behauptung, daß aus
der Verstärkung der Flotte sogar Nachteile für die Landwirtschaft zu befürchte"
seien, denn doch, wenigstens an solcher Stelle, überraschend neu. Es erscheint
uus geradezu unerhört, wenn in dieser Weise in die Masse der deutschen
Landwirte etwas so absolut Unerwiesenes, Unerweisbares, objektiv Unwahres
hinausgerufen wird. Nicht nur damit also will man sich begnügen, daß man
unsern Bauern sagt, die für des Vaterlands Wohl und Bestand so unerläßlich
und so dringend nötige Flottenvermehruug geschähe nur zum Vorteile der so¬
genannten "Seeinteressenten," sondern es soll ihnen auch uoch die Ansicht bei¬
gebracht werden, sie gereiche ihnen selbst zum Nachteil. Wie könnte man sich
bei einer so ausgesprochnen agitatorischen Behandlung der Sache noch wundern,
wenn den verbündeten Regierungen endlich ernstliche Zweifel an dem guten
Willen der Reichstagsmehrheit in der Flottenfrage und an der Möglichkeit
aufstießen, mit ihr überhaupt weiter zu des Reiches Besten arbeiten zu können.
Diese Behandlung einer so ernsten großen Sache kommt schon der Stufe der
demokratischen und sozialdemokratischen Vaterlandsliebe unheimlich nahe, und
die Forderung der Maximalpräsenzzahl für Heer und Flotte vervollständigt
diesen Eindruck. Man muß entschieden verlangen, daß die ausschlaggebende
Mehrheit im Reichstag mit dieser verhängnisvollen Politik, in die sich die
Parteien schon zu tief verrannt haben, energisch bricht. Losgelöst von dem
Banne der Partei würden die einzelnen diese Mehrheit bildenden Männer
wohl fast ohne Ausnahme die Unerträglichkeit und Verwerflichkeit einer solchen
Politik anerkennen. Aber die Partei beherrscht die Einzelnen ganz und gar,
der Partei bringt der Einzelne alles zum Opfer, sogar Vernunft, Vaterlands¬
liebe nud politische Ehrlichkeit.




Die deutsche weltpolitik
k^-mis lvagner von 5

le Expansionspolitik, die alle modernen Völker treiben, hat die
Reibungsflächen zwischen ihnen so vermehrt, daß die Gefahr von
ernsten Konflikten dauernd geworden ist: wenn sie noch nicht
zum Ausbruch gekommen sind, so liegt das weniger an der Ge¬
legenheit, als an der Erkenntnis, daß bei der gegenwärtigen
Weltlage ein solches Unternehmen, wie es der Krieg mit einer modernen Welt¬
macht ist, kaum die Spesen tragen dürfte. Zumal jetzt, wo die Kvntinentalpolitik
auf der ganzen Linie zur Weltpolitik überzugehn im Begriff ist, und neu
auftauchende Staatengebilde die alten Freundschaften zu neuen Erklärungen


Die deutsche welipolitik

und es genügt, darauf zu verweisen. Dagegen ist die Behauptung, daß aus
der Verstärkung der Flotte sogar Nachteile für die Landwirtschaft zu befürchte»
seien, denn doch, wenigstens an solcher Stelle, überraschend neu. Es erscheint
uus geradezu unerhört, wenn in dieser Weise in die Masse der deutschen
Landwirte etwas so absolut Unerwiesenes, Unerweisbares, objektiv Unwahres
hinausgerufen wird. Nicht nur damit also will man sich begnügen, daß man
unsern Bauern sagt, die für des Vaterlands Wohl und Bestand so unerläßlich
und so dringend nötige Flottenvermehruug geschähe nur zum Vorteile der so¬
genannten „Seeinteressenten," sondern es soll ihnen auch uoch die Ansicht bei¬
gebracht werden, sie gereiche ihnen selbst zum Nachteil. Wie könnte man sich
bei einer so ausgesprochnen agitatorischen Behandlung der Sache noch wundern,
wenn den verbündeten Regierungen endlich ernstliche Zweifel an dem guten
Willen der Reichstagsmehrheit in der Flottenfrage und an der Möglichkeit
aufstießen, mit ihr überhaupt weiter zu des Reiches Besten arbeiten zu können.
Diese Behandlung einer so ernsten großen Sache kommt schon der Stufe der
demokratischen und sozialdemokratischen Vaterlandsliebe unheimlich nahe, und
die Forderung der Maximalpräsenzzahl für Heer und Flotte vervollständigt
diesen Eindruck. Man muß entschieden verlangen, daß die ausschlaggebende
Mehrheit im Reichstag mit dieser verhängnisvollen Politik, in die sich die
Parteien schon zu tief verrannt haben, energisch bricht. Losgelöst von dem
Banne der Partei würden die einzelnen diese Mehrheit bildenden Männer
wohl fast ohne Ausnahme die Unerträglichkeit und Verwerflichkeit einer solchen
Politik anerkennen. Aber die Partei beherrscht die Einzelnen ganz und gar,
der Partei bringt der Einzelne alles zum Opfer, sogar Vernunft, Vaterlands¬
liebe nud politische Ehrlichkeit.




Die deutsche weltpolitik
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le Expansionspolitik, die alle modernen Völker treiben, hat die
Reibungsflächen zwischen ihnen so vermehrt, daß die Gefahr von
ernsten Konflikten dauernd geworden ist: wenn sie noch nicht
zum Ausbruch gekommen sind, so liegt das weniger an der Ge¬
legenheit, als an der Erkenntnis, daß bei der gegenwärtigen
Weltlage ein solches Unternehmen, wie es der Krieg mit einer modernen Welt¬
macht ist, kaum die Spesen tragen dürfte. Zumal jetzt, wo die Kvntinentalpolitik
auf der ganzen Linie zur Weltpolitik überzugehn im Begriff ist, und neu
auftauchende Staatengebilde die alten Freundschaften zu neuen Erklärungen


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[0127] Die deutsche welipolitik und es genügt, darauf zu verweisen. Dagegen ist die Behauptung, daß aus der Verstärkung der Flotte sogar Nachteile für die Landwirtschaft zu befürchte» seien, denn doch, wenigstens an solcher Stelle, überraschend neu. Es erscheint uus geradezu unerhört, wenn in dieser Weise in die Masse der deutschen Landwirte etwas so absolut Unerwiesenes, Unerweisbares, objektiv Unwahres hinausgerufen wird. Nicht nur damit also will man sich begnügen, daß man unsern Bauern sagt, die für des Vaterlands Wohl und Bestand so unerläßlich und so dringend nötige Flottenvermehruug geschähe nur zum Vorteile der so¬ genannten „Seeinteressenten," sondern es soll ihnen auch uoch die Ansicht bei¬ gebracht werden, sie gereiche ihnen selbst zum Nachteil. Wie könnte man sich bei einer so ausgesprochnen agitatorischen Behandlung der Sache noch wundern, wenn den verbündeten Regierungen endlich ernstliche Zweifel an dem guten Willen der Reichstagsmehrheit in der Flottenfrage und an der Möglichkeit aufstießen, mit ihr überhaupt weiter zu des Reiches Besten arbeiten zu können. Diese Behandlung einer so ernsten großen Sache kommt schon der Stufe der demokratischen und sozialdemokratischen Vaterlandsliebe unheimlich nahe, und die Forderung der Maximalpräsenzzahl für Heer und Flotte vervollständigt diesen Eindruck. Man muß entschieden verlangen, daß die ausschlaggebende Mehrheit im Reichstag mit dieser verhängnisvollen Politik, in die sich die Parteien schon zu tief verrannt haben, energisch bricht. Losgelöst von dem Banne der Partei würden die einzelnen diese Mehrheit bildenden Männer wohl fast ohne Ausnahme die Unerträglichkeit und Verwerflichkeit einer solchen Politik anerkennen. Aber die Partei beherrscht die Einzelnen ganz und gar, der Partei bringt der Einzelne alles zum Opfer, sogar Vernunft, Vaterlands¬ liebe nud politische Ehrlichkeit. Die deutsche weltpolitik k^-mis lvagner von 5 le Expansionspolitik, die alle modernen Völker treiben, hat die Reibungsflächen zwischen ihnen so vermehrt, daß die Gefahr von ernsten Konflikten dauernd geworden ist: wenn sie noch nicht zum Ausbruch gekommen sind, so liegt das weniger an der Ge¬ legenheit, als an der Erkenntnis, daß bei der gegenwärtigen Weltlage ein solches Unternehmen, wie es der Krieg mit einer modernen Welt¬ macht ist, kaum die Spesen tragen dürfte. Zumal jetzt, wo die Kvntinentalpolitik auf der ganzen Linie zur Weltpolitik überzugehn im Begriff ist, und neu auftauchende Staatengebilde die alten Freundschaften zu neuen Erklärungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_290410/127>, abgerufen am 29.06.2024.