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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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hätte ihm also sehr nahe gelegen, Vermutungen über das Wesen der Seele
auszusprechen. Mit der kurzen Bemerkung am Schluß: "Und der Wert des
Traums für die Kenntnis der Zukunft? Daran ist natürlich nicht zu denken,"
scheint er alles Metaphysische entschieden abwehren zu wollen. Wenn Nur nun
aber auch die als Traumbilder auftauchenden Zuknnftsahnnngen und die
Prophetentrüumc, die in großartigster Weise auf die Weltgeschichte eingewirkt
haben, dahin gestellt sein lassen, so bleibt immer noch die Telepathie als nicht
wegzubringende metaphysische Thatsache, denn die Fälle, wo einer von dem
Schicksal, besonders vom Tode, eines in der Ferne weilenden teuern Ange-
hörigen im Traume Kunde erhält, sind doch allzuhäufig, als daß sie weg¬
geleugnet werden konnten.




Herbstbilder aus Italien
von Gelo Aaemml (Fortsetzung)

inige Tage später führte uns der Schnellzug dieselbe Strecke
weiter südwärts. Dieselbe Straße war vor 1.370 Jahren der
heilige Benediktns gezogen, als er Subiaco verließ, als be¬
scheidner Pilger zu Fuß, von den drei Raben geleitet, die er
zu füttern pflegte, lind an jedem Scheidewege von zwei Engeln
erwartet, die ihm die richtige Straße nach Monte Cassino wiesen; so erzählt
etwa 280 Jahre danach sein Ordensbruder Paulus Diaconus. Ob er auf
die Schönheit der Landschaft geachtet haben wird? Wohl schwerlich. Und doch
ist sie überaus malerisch. Sobald das Albanergebirge verschwunden ist, tauchen
zur Rechten die zackigen Linien der Volskerberge ans, zur Linken die östlichen
Teile des Sabinergebirgs. Fast menschenleer erscheint dazwischen das breite
Thal des Sacco, der alte Heer- und Völkerweg nach dein Süden, denn
weitab von der großen Straße und Eisenbahn liegen meist die altersgrauen
Städte auf ihren Höhen: rechts segni "ud Ceeeana, links Anagni, Feren-
tino, Frosinone, das zugleich die Station für das uralte Alatri (Aletrium) ist.
Bei Cepmno, wo der Sacco in den grünen Liris i^Garigliano) mündet, über¬
schreitet die Bahn diesen alten Grenzfluß zwischen Latium und Ccunpanien
und tritt bei Roccaseeea dicht an das Gebirge heran, das hier als kahle,
schroffe Felswand die Thalebne des Garigliano begrenzt. Von hier steigt man
am Liris nach Arpinum hinauf, der Bcrghcimat Ciceros, und wenige Stunden
weiter liegt rechts Aquino, die Heimat des großen Scholastikers Thomas. Zur
Linken aber zeigt sich bald ein massiver, steiler, fast ganz isolierter Kegel, und
auf seinem Gipfel, 519 Meter über dem Meere, etwa 470 Meter über der


Herbstliildcr aus Italien

hätte ihm also sehr nahe gelegen, Vermutungen über das Wesen der Seele
auszusprechen. Mit der kurzen Bemerkung am Schluß: „Und der Wert des
Traums für die Kenntnis der Zukunft? Daran ist natürlich nicht zu denken,"
scheint er alles Metaphysische entschieden abwehren zu wollen. Wenn Nur nun
aber auch die als Traumbilder auftauchenden Zuknnftsahnnngen und die
Prophetentrüumc, die in großartigster Weise auf die Weltgeschichte eingewirkt
haben, dahin gestellt sein lassen, so bleibt immer noch die Telepathie als nicht
wegzubringende metaphysische Thatsache, denn die Fälle, wo einer von dem
Schicksal, besonders vom Tode, eines in der Ferne weilenden teuern Ange-
hörigen im Traume Kunde erhält, sind doch allzuhäufig, als daß sie weg¬
geleugnet werden konnten.




Herbstbilder aus Italien
von Gelo Aaemml (Fortsetzung)

inige Tage später führte uns der Schnellzug dieselbe Strecke
weiter südwärts. Dieselbe Straße war vor 1.370 Jahren der
heilige Benediktns gezogen, als er Subiaco verließ, als be¬
scheidner Pilger zu Fuß, von den drei Raben geleitet, die er
zu füttern pflegte, lind an jedem Scheidewege von zwei Engeln
erwartet, die ihm die richtige Straße nach Monte Cassino wiesen; so erzählt
etwa 280 Jahre danach sein Ordensbruder Paulus Diaconus. Ob er auf
die Schönheit der Landschaft geachtet haben wird? Wohl schwerlich. Und doch
ist sie überaus malerisch. Sobald das Albanergebirge verschwunden ist, tauchen
zur Rechten die zackigen Linien der Volskerberge ans, zur Linken die östlichen
Teile des Sabinergebirgs. Fast menschenleer erscheint dazwischen das breite
Thal des Sacco, der alte Heer- und Völkerweg nach dein Süden, denn
weitab von der großen Straße und Eisenbahn liegen meist die altersgrauen
Städte auf ihren Höhen: rechts segni »ud Ceeeana, links Anagni, Feren-
tino, Frosinone, das zugleich die Station für das uralte Alatri (Aletrium) ist.
Bei Cepmno, wo der Sacco in den grünen Liris i^Garigliano) mündet, über¬
schreitet die Bahn diesen alten Grenzfluß zwischen Latium und Ccunpanien
und tritt bei Roccaseeea dicht an das Gebirge heran, das hier als kahle,
schroffe Felswand die Thalebne des Garigliano begrenzt. Von hier steigt man
am Liris nach Arpinum hinauf, der Bcrghcimat Ciceros, und wenige Stunden
weiter liegt rechts Aquino, die Heimat des großen Scholastikers Thomas. Zur
Linken aber zeigt sich bald ein massiver, steiler, fast ganz isolierter Kegel, und
auf seinem Gipfel, 519 Meter über dem Meere, etwa 470 Meter über der


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[0556] Herbstliildcr aus Italien hätte ihm also sehr nahe gelegen, Vermutungen über das Wesen der Seele auszusprechen. Mit der kurzen Bemerkung am Schluß: „Und der Wert des Traums für die Kenntnis der Zukunft? Daran ist natürlich nicht zu denken," scheint er alles Metaphysische entschieden abwehren zu wollen. Wenn Nur nun aber auch die als Traumbilder auftauchenden Zuknnftsahnnngen und die Prophetentrüumc, die in großartigster Weise auf die Weltgeschichte eingewirkt haben, dahin gestellt sein lassen, so bleibt immer noch die Telepathie als nicht wegzubringende metaphysische Thatsache, denn die Fälle, wo einer von dem Schicksal, besonders vom Tode, eines in der Ferne weilenden teuern Ange- hörigen im Traume Kunde erhält, sind doch allzuhäufig, als daß sie weg¬ geleugnet werden konnten. Herbstbilder aus Italien von Gelo Aaemml (Fortsetzung) inige Tage später führte uns der Schnellzug dieselbe Strecke weiter südwärts. Dieselbe Straße war vor 1.370 Jahren der heilige Benediktns gezogen, als er Subiaco verließ, als be¬ scheidner Pilger zu Fuß, von den drei Raben geleitet, die er zu füttern pflegte, lind an jedem Scheidewege von zwei Engeln erwartet, die ihm die richtige Straße nach Monte Cassino wiesen; so erzählt etwa 280 Jahre danach sein Ordensbruder Paulus Diaconus. Ob er auf die Schönheit der Landschaft geachtet haben wird? Wohl schwerlich. Und doch ist sie überaus malerisch. Sobald das Albanergebirge verschwunden ist, tauchen zur Rechten die zackigen Linien der Volskerberge ans, zur Linken die östlichen Teile des Sabinergebirgs. Fast menschenleer erscheint dazwischen das breite Thal des Sacco, der alte Heer- und Völkerweg nach dein Süden, denn weitab von der großen Straße und Eisenbahn liegen meist die altersgrauen Städte auf ihren Höhen: rechts segni »ud Ceeeana, links Anagni, Feren- tino, Frosinone, das zugleich die Station für das uralte Alatri (Aletrium) ist. Bei Cepmno, wo der Sacco in den grünen Liris i^Garigliano) mündet, über¬ schreitet die Bahn diesen alten Grenzfluß zwischen Latium und Ccunpanien und tritt bei Roccaseeea dicht an das Gebirge heran, das hier als kahle, schroffe Felswand die Thalebne des Garigliano begrenzt. Von hier steigt man am Liris nach Arpinum hinauf, der Bcrghcimat Ciceros, und wenige Stunden weiter liegt rechts Aquino, die Heimat des großen Scholastikers Thomas. Zur Linken aber zeigt sich bald ein massiver, steiler, fast ganz isolierter Kegel, und auf seinem Gipfel, 519 Meter über dem Meere, etwa 470 Meter über der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/556>, abgerufen am 05.12.2024.