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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Unser Landvolk und die Airche

dann auch in der Praxis die schiedsrichterliche (also endgiltige) Erledigung
von Planbeschwerden den Kreisverordneten Wohl kaum je anvertraut, und von
der gesetzlichen Befugnis der Beteiligten, die Erledigung einer ganzen "Aus¬
einandersetzung" den Kreisverordueten (unter Vorsitz des Landrath) statt dein
Kommissar zu übertragen, wird meines Wissens niemals Gebrauch gemacht.
Auch das beteiligte Publikum scheint demnach dein Risiko eines solchen
Schiedsgerichts den regelrechten Gang des Verfahrens bei der General¬
kommission mit seinem geordneten Jnstanzcnzuge vorzuziehn, trotz aller wirk¬
lichen oder angeblichen Mißstände. Und aus demselben Grunde möchte ich,
wenn sich der Gedanke einer starkem Heranziehung des Laienelements verwirk¬
lichen sollte, mindestens vor dem Vorschlage des Aufsatzes in Ur. 5 eindring¬
lichst warnen, die Streitigkeiten in Zusammenlegungssachen durch "ein Schieds¬
gericht von Fachleuten," das begriffmäßig eine weitere Instanz ausschließt,
entscheiden zu lassen.*)

Es ist ja möglich, daß in den Landesteilen, in denen das Zusnmmen-
legungswesen noch eine Zukunft hat, die heutige Organisation der Landwirt¬
schaft in Vereinen und Kammern es auch erleichtern wird, unter den praktischen
Landwirten wirklich befähigte Männer in genügender Zahl zu finden, die zu¬
gleich opferwillig genug wären, sich in die Materie durch eingehende Studien
hineinzuarbeiten und ihr, nur aus Gemeinsinn, einen namhaften Teil ihrer
Zeit und Kraft zu widmen. Solange das aber nicht gesichert ist, besteht die
ernste Gefahr, daß die den Generalkommissivnen für die Zusammenlegungen
zuzuordnenden Laien nur eine Dekoration, wenn nicht gar die Sündenböcke ab¬
geben, auf die schwache Beamte die Verantwortung für alle Fehler und Mi߬
griffe vor den Augen der Welt bequem abschieben könnten.




Unser Landvolk und die Kirche
(Schluß)

"geheuchelte Frömmigkeit kommt in allen Lebensaltern vor. Alte
Leute suchen sich wohl selbst einen Text aus, über den der
Pfarrer bei ihrer Beerdigung predigen soll, oder ein Lied, das
dann gesungen werden soll. Aber auch bei jüngern Leuten findet
man öfters überraschende Proben eines frommen Sinnes. Da
spart sich ein Junge von fünfzehn Jahren von seinem geringen Lohn zehn
Mark und schenkt seinem Bruder zur Hochzeit einen wunderschönen Hanssegen:



*) Der Hinweis auf Bayern ist nicht beweiskräftig. Dort fehlt es an genügender Er¬
fahrung; der Erfolg des vor etwa sechzehn Jahren in Kraft getretner Gesetzes beschränkt sich
bis jetzt auf die Zusammenlegung von etwa 28000 Hektaren.
Unser Landvolk und die Airche

dann auch in der Praxis die schiedsrichterliche (also endgiltige) Erledigung
von Planbeschwerden den Kreisverordneten Wohl kaum je anvertraut, und von
der gesetzlichen Befugnis der Beteiligten, die Erledigung einer ganzen „Aus¬
einandersetzung" den Kreisverordueten (unter Vorsitz des Landrath) statt dein
Kommissar zu übertragen, wird meines Wissens niemals Gebrauch gemacht.
Auch das beteiligte Publikum scheint demnach dein Risiko eines solchen
Schiedsgerichts den regelrechten Gang des Verfahrens bei der General¬
kommission mit seinem geordneten Jnstanzcnzuge vorzuziehn, trotz aller wirk¬
lichen oder angeblichen Mißstände. Und aus demselben Grunde möchte ich,
wenn sich der Gedanke einer starkem Heranziehung des Laienelements verwirk¬
lichen sollte, mindestens vor dem Vorschlage des Aufsatzes in Ur. 5 eindring¬
lichst warnen, die Streitigkeiten in Zusammenlegungssachen durch „ein Schieds¬
gericht von Fachleuten," das begriffmäßig eine weitere Instanz ausschließt,
entscheiden zu lassen.*)

Es ist ja möglich, daß in den Landesteilen, in denen das Zusnmmen-
legungswesen noch eine Zukunft hat, die heutige Organisation der Landwirt¬
schaft in Vereinen und Kammern es auch erleichtern wird, unter den praktischen
Landwirten wirklich befähigte Männer in genügender Zahl zu finden, die zu¬
gleich opferwillig genug wären, sich in die Materie durch eingehende Studien
hineinzuarbeiten und ihr, nur aus Gemeinsinn, einen namhaften Teil ihrer
Zeit und Kraft zu widmen. Solange das aber nicht gesichert ist, besteht die
ernste Gefahr, daß die den Generalkommissivnen für die Zusammenlegungen
zuzuordnenden Laien nur eine Dekoration, wenn nicht gar die Sündenböcke ab¬
geben, auf die schwache Beamte die Verantwortung für alle Fehler und Mi߬
griffe vor den Augen der Welt bequem abschieben könnten.




Unser Landvolk und die Kirche
(Schluß)

«geheuchelte Frömmigkeit kommt in allen Lebensaltern vor. Alte
Leute suchen sich wohl selbst einen Text aus, über den der
Pfarrer bei ihrer Beerdigung predigen soll, oder ein Lied, das
dann gesungen werden soll. Aber auch bei jüngern Leuten findet
man öfters überraschende Proben eines frommen Sinnes. Da
spart sich ein Junge von fünfzehn Jahren von seinem geringen Lohn zehn
Mark und schenkt seinem Bruder zur Hochzeit einen wunderschönen Hanssegen:



*) Der Hinweis auf Bayern ist nicht beweiskräftig. Dort fehlt es an genügender Er¬
fahrung; der Erfolg des vor etwa sechzehn Jahren in Kraft getretner Gesetzes beschränkt sich
bis jetzt auf die Zusammenlegung von etwa 28000 Hektaren.
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[0538] Unser Landvolk und die Airche dann auch in der Praxis die schiedsrichterliche (also endgiltige) Erledigung von Planbeschwerden den Kreisverordneten Wohl kaum je anvertraut, und von der gesetzlichen Befugnis der Beteiligten, die Erledigung einer ganzen „Aus¬ einandersetzung" den Kreisverordueten (unter Vorsitz des Landrath) statt dein Kommissar zu übertragen, wird meines Wissens niemals Gebrauch gemacht. Auch das beteiligte Publikum scheint demnach dein Risiko eines solchen Schiedsgerichts den regelrechten Gang des Verfahrens bei der General¬ kommission mit seinem geordneten Jnstanzcnzuge vorzuziehn, trotz aller wirk¬ lichen oder angeblichen Mißstände. Und aus demselben Grunde möchte ich, wenn sich der Gedanke einer starkem Heranziehung des Laienelements verwirk¬ lichen sollte, mindestens vor dem Vorschlage des Aufsatzes in Ur. 5 eindring¬ lichst warnen, die Streitigkeiten in Zusammenlegungssachen durch „ein Schieds¬ gericht von Fachleuten," das begriffmäßig eine weitere Instanz ausschließt, entscheiden zu lassen.*) Es ist ja möglich, daß in den Landesteilen, in denen das Zusnmmen- legungswesen noch eine Zukunft hat, die heutige Organisation der Landwirt¬ schaft in Vereinen und Kammern es auch erleichtern wird, unter den praktischen Landwirten wirklich befähigte Männer in genügender Zahl zu finden, die zu¬ gleich opferwillig genug wären, sich in die Materie durch eingehende Studien hineinzuarbeiten und ihr, nur aus Gemeinsinn, einen namhaften Teil ihrer Zeit und Kraft zu widmen. Solange das aber nicht gesichert ist, besteht die ernste Gefahr, daß die den Generalkommissivnen für die Zusammenlegungen zuzuordnenden Laien nur eine Dekoration, wenn nicht gar die Sündenböcke ab¬ geben, auf die schwache Beamte die Verantwortung für alle Fehler und Mi߬ griffe vor den Augen der Welt bequem abschieben könnten. Unser Landvolk und die Kirche (Schluß) «geheuchelte Frömmigkeit kommt in allen Lebensaltern vor. Alte Leute suchen sich wohl selbst einen Text aus, über den der Pfarrer bei ihrer Beerdigung predigen soll, oder ein Lied, das dann gesungen werden soll. Aber auch bei jüngern Leuten findet man öfters überraschende Proben eines frommen Sinnes. Da spart sich ein Junge von fünfzehn Jahren von seinem geringen Lohn zehn Mark und schenkt seinem Bruder zur Hochzeit einen wunderschönen Hanssegen: *) Der Hinweis auf Bayern ist nicht beweiskräftig. Dort fehlt es an genügender Er¬ fahrung; der Erfolg des vor etwa sechzehn Jahren in Kraft getretner Gesetzes beschränkt sich bis jetzt auf die Zusammenlegung von etwa 28000 Hektaren.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/538>, abgerufen am 27.06.2024.