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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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von unserm türkischen Freunde

sondern der Massen; deren Spott erst recht, wenn die Gebildeten den ihren
ans Furcht vor der Sozinldemokratie ins Herzenskämmerlein verschließen, das
i L. I- n diesem Falle mir allzu durchsichtig ist.




Von unserm türkischen Freunde

is ich kurz nach Beendigung des türkisch-griechischen Krieges mit
meinem alten würdigen Freunde Ahmed-Bey in Ak-Shehir zu¬
sammentraf, da erzählte er mir mit wichtiger, ernster Miene, daß
jetzt 5000 deutsche Familien nach Anatolien kämen, um große
Kolonien zu bilden.

"Über meinen ungläubigen Gesichtsausdruck wurde der alte Herr, der der
Patriarch einer weitverzweigten Landwirtschaft treibenden Familie ist, gegen
seine Gewohnheit ganz erzürnt, indem er mir erklärte, daß er es selbst in der
Zeitung gelesen habe, und daß der Padischah es nicht gestatte, derartige Un¬
wahrheiten zu drucken.

"Merkwürdigerweise wurde mir dieselbe Neuigkeit auch von verschiednen
andern Seiten mitgeteilt und überall in einer Weise der höchsten Zufriedenheit
"ut Genugthuung, denn, setzten sie alle hinzu, "die Deutschen sind unsre wahren
Freunde, und sie werden uns herzlich willkommen sein."

"Wie gerade die Zahl von 5000 deutschen Familien entstanden war, konnte
ich nicht ergründen, und wenn ich auch allen diesen Mitteilungen keinen Glauben
schenkte, so konnte schon das Auftauchen solcher Gerüchte zum Nachdenken Ver¬
anlassung geben.

"Ich habe in manchem der vorhergehenden Abschnitte die Schatten- nud
Lichtseiten des anatolischen landwirtschaftlichen Lebens in voller Wahrheit ge¬
schildert, und es hat mich bei dem Niederschreiben meiner Erlebnisse der Ge¬
danke nicht verlassen, einer etwaigen deutschen Kolonisierung in Anatolien einen
Dienst zu leisten.

"Der Deutsche hat durch das Aufblühen vieler Kolonien in den fernsten
Weltteilen den unbestreitbaren Beweis erbracht, daß, sofern die Verhältnisse
die Kolouisierung nur einigermaßen begünstigen, er anch vorwärts kommt und
sich den fremden Verhältnissen vortrefflich anzupassen versteht.

"Anatolien nun mit seiner spärlichen Bevölkerung, mit seinen umfangreichen
lultivierbareu Gebieten muß als ein Kolvnisationsgebiet erster Ordnung be¬
zeichnet werden; würde ich aber um meine Meinung befragt, ob es dem deutsche"
Auswandrer anzuraten sei, sich in Anatolien niederzulassen, so könnte ich diese
Frage nnr ganz bedingungsweise bejahen.


von unserm türkischen Freunde

sondern der Massen; deren Spott erst recht, wenn die Gebildeten den ihren
ans Furcht vor der Sozinldemokratie ins Herzenskämmerlein verschließen, das
i L. I- n diesem Falle mir allzu durchsichtig ist.




Von unserm türkischen Freunde

is ich kurz nach Beendigung des türkisch-griechischen Krieges mit
meinem alten würdigen Freunde Ahmed-Bey in Ak-Shehir zu¬
sammentraf, da erzählte er mir mit wichtiger, ernster Miene, daß
jetzt 5000 deutsche Familien nach Anatolien kämen, um große
Kolonien zu bilden.

„Über meinen ungläubigen Gesichtsausdruck wurde der alte Herr, der der
Patriarch einer weitverzweigten Landwirtschaft treibenden Familie ist, gegen
seine Gewohnheit ganz erzürnt, indem er mir erklärte, daß er es selbst in der
Zeitung gelesen habe, und daß der Padischah es nicht gestatte, derartige Un¬
wahrheiten zu drucken.

„Merkwürdigerweise wurde mir dieselbe Neuigkeit auch von verschiednen
andern Seiten mitgeteilt und überall in einer Weise der höchsten Zufriedenheit
»ut Genugthuung, denn, setzten sie alle hinzu, »die Deutschen sind unsre wahren
Freunde, und sie werden uns herzlich willkommen sein.«

„Wie gerade die Zahl von 5000 deutschen Familien entstanden war, konnte
ich nicht ergründen, und wenn ich auch allen diesen Mitteilungen keinen Glauben
schenkte, so konnte schon das Auftauchen solcher Gerüchte zum Nachdenken Ver¬
anlassung geben.

„Ich habe in manchem der vorhergehenden Abschnitte die Schatten- nud
Lichtseiten des anatolischen landwirtschaftlichen Lebens in voller Wahrheit ge¬
schildert, und es hat mich bei dem Niederschreiben meiner Erlebnisse der Ge¬
danke nicht verlassen, einer etwaigen deutschen Kolonisierung in Anatolien einen
Dienst zu leisten.

„Der Deutsche hat durch das Aufblühen vieler Kolonien in den fernsten
Weltteilen den unbestreitbaren Beweis erbracht, daß, sofern die Verhältnisse
die Kolouisierung nur einigermaßen begünstigen, er anch vorwärts kommt und
sich den fremden Verhältnissen vortrefflich anzupassen versteht.

„Anatolien nun mit seiner spärlichen Bevölkerung, mit seinen umfangreichen
lultivierbareu Gebieten muß als ein Kolvnisationsgebiet erster Ordnung be¬
zeichnet werden; würde ich aber um meine Meinung befragt, ob es dem deutsche»
Auswandrer anzuraten sei, sich in Anatolien niederzulassen, so könnte ich diese
Frage nnr ganz bedingungsweise bejahen.


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[0462] von unserm türkischen Freunde sondern der Massen; deren Spott erst recht, wenn die Gebildeten den ihren ans Furcht vor der Sozinldemokratie ins Herzenskämmerlein verschließen, das i L. I- n diesem Falle mir allzu durchsichtig ist. Von unserm türkischen Freunde is ich kurz nach Beendigung des türkisch-griechischen Krieges mit meinem alten würdigen Freunde Ahmed-Bey in Ak-Shehir zu¬ sammentraf, da erzählte er mir mit wichtiger, ernster Miene, daß jetzt 5000 deutsche Familien nach Anatolien kämen, um große Kolonien zu bilden. „Über meinen ungläubigen Gesichtsausdruck wurde der alte Herr, der der Patriarch einer weitverzweigten Landwirtschaft treibenden Familie ist, gegen seine Gewohnheit ganz erzürnt, indem er mir erklärte, daß er es selbst in der Zeitung gelesen habe, und daß der Padischah es nicht gestatte, derartige Un¬ wahrheiten zu drucken. „Merkwürdigerweise wurde mir dieselbe Neuigkeit auch von verschiednen andern Seiten mitgeteilt und überall in einer Weise der höchsten Zufriedenheit »ut Genugthuung, denn, setzten sie alle hinzu, »die Deutschen sind unsre wahren Freunde, und sie werden uns herzlich willkommen sein.« „Wie gerade die Zahl von 5000 deutschen Familien entstanden war, konnte ich nicht ergründen, und wenn ich auch allen diesen Mitteilungen keinen Glauben schenkte, so konnte schon das Auftauchen solcher Gerüchte zum Nachdenken Ver¬ anlassung geben. „Ich habe in manchem der vorhergehenden Abschnitte die Schatten- nud Lichtseiten des anatolischen landwirtschaftlichen Lebens in voller Wahrheit ge¬ schildert, und es hat mich bei dem Niederschreiben meiner Erlebnisse der Ge¬ danke nicht verlassen, einer etwaigen deutschen Kolonisierung in Anatolien einen Dienst zu leisten. „Der Deutsche hat durch das Aufblühen vieler Kolonien in den fernsten Weltteilen den unbestreitbaren Beweis erbracht, daß, sofern die Verhältnisse die Kolouisierung nur einigermaßen begünstigen, er anch vorwärts kommt und sich den fremden Verhältnissen vortrefflich anzupassen versteht. „Anatolien nun mit seiner spärlichen Bevölkerung, mit seinen umfangreichen lultivierbareu Gebieten muß als ein Kolvnisationsgebiet erster Ordnung be¬ zeichnet werden; würde ich aber um meine Meinung befragt, ob es dem deutsche» Auswandrer anzuraten sei, sich in Anatolien niederzulassen, so könnte ich diese Frage nnr ganz bedingungsweise bejahen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/462>, abgerufen am 27.06.2024.