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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Die deutsche Weltpolitik

nicht nur die nicht ackerbautreibenden Kreise versorgen, sondern auch Korn aus¬
führen können. Diese Ausfuhr betrug allein ans Westsibirien in den letzten
Jahren 3'/.j bis 4 Millionen Zentner an Sommerweizen, Es ist klar, daß sich bei
weiteren Fortschreiten der Kolvnisiernng die zur Ausfuhr gelangenden Getreide-
mcngen vervielfältigen müssen, und daß sie sehr bald anch den Weg auf den
europäischen Getreidemarkt finden werden. Denn die sibirische Bahn durch¬
schneidet gerade den Teil Sibiriens, der eine Kornkammer zu werden verspricht
und alle Aussicht hat, in nächster Zeit durch Zufuhrbahneu nud Ausnutzung
der vorhandnen Wasserwege anch über das Eismeer sür den Weltverkehr er¬
schlossen zu werden. Das europäische Rußland bedarf der Vorräte Sibiriens
trotz aller Hnngersnöte nicht, der chinesische Markt wird aber wegen der großer"
Transportschwierigkeiten und geringern Kanfkraft weniger Anziehung auf das
westsibirische Korn ausübe". Die Getreideprodnktion Sibiriens berechtigt also
zu der Hoffnung auf eine wirtschaftliche Erstarrung Rußlands; sie bringt viel¬
leicht für unsre Landwirtschaft eine ernste Gefahr. In zweiter Linie hat die
Kultur der Faser- und Ölpflanzen sowie des Tabaks eine bedeutende Zukunft.

(Schluß folgt)




Die deutsche Weltpolitik
von Hans Wagner 3

cum das Deutsche Reich durch eine kräftige Weltpvlitik der
heimischen Industrie weite Absatzgebiete schafft und dadurch ihre
Ausbreitung fördert, so übernimmt es damit zugleich die Ver¬
pflichtung, die Schäden und Auswüchse fern zu halten, die ein
Jndustrialismus, der wild wachsen darf, mit sich bringt: nämlich
das Anschwellen der lvirtschaftlicheil Macht in den Händen einzelner und das
Hiuabdrücken zahlreicher Existenzen in die Notlage oder in die wirtschaftliche
Abhängigkeit mit allen ihren physischen und moralischen Nachteilen. Wie der
Industriestaat wegen des Charakters des Weltmarkts den Kampf zwischen den
heimischen Produzenten und Konsumenten verschärft, unter dem vor allem die
Lebensutittelproduzenteu leiden, so bringt er anch den verschärften Gegensatz
zwischen Unternehmern und Arbeitern. Auch in dieser letzten Hinsicht muß der
Staat vermitteln, soll, wie in jenem Kampfe die Weltmarktstellung Deutsch¬
lands, in diesem die Weltmachtstellung Bestand haben.

Der Weltmarkt arbeitet mit Massen, im Gegensatz zu dem Kleinhandel der
Binnenmärkte. Es ist daher natürlich, daß das Großgcwerbe, der Großhandel


Die deutsche Weltpolitik

nicht nur die nicht ackerbautreibenden Kreise versorgen, sondern auch Korn aus¬
führen können. Diese Ausfuhr betrug allein ans Westsibirien in den letzten
Jahren 3'/.j bis 4 Millionen Zentner an Sommerweizen, Es ist klar, daß sich bei
weiteren Fortschreiten der Kolvnisiernng die zur Ausfuhr gelangenden Getreide-
mcngen vervielfältigen müssen, und daß sie sehr bald anch den Weg auf den
europäischen Getreidemarkt finden werden. Denn die sibirische Bahn durch¬
schneidet gerade den Teil Sibiriens, der eine Kornkammer zu werden verspricht
und alle Aussicht hat, in nächster Zeit durch Zufuhrbahneu nud Ausnutzung
der vorhandnen Wasserwege anch über das Eismeer sür den Weltverkehr er¬
schlossen zu werden. Das europäische Rußland bedarf der Vorräte Sibiriens
trotz aller Hnngersnöte nicht, der chinesische Markt wird aber wegen der großer»
Transportschwierigkeiten und geringern Kanfkraft weniger Anziehung auf das
westsibirische Korn ausübe». Die Getreideprodnktion Sibiriens berechtigt also
zu der Hoffnung auf eine wirtschaftliche Erstarrung Rußlands; sie bringt viel¬
leicht für unsre Landwirtschaft eine ernste Gefahr. In zweiter Linie hat die
Kultur der Faser- und Ölpflanzen sowie des Tabaks eine bedeutende Zukunft.

(Schluß folgt)




Die deutsche Weltpolitik
von Hans Wagner 3

cum das Deutsche Reich durch eine kräftige Weltpvlitik der
heimischen Industrie weite Absatzgebiete schafft und dadurch ihre
Ausbreitung fördert, so übernimmt es damit zugleich die Ver¬
pflichtung, die Schäden und Auswüchse fern zu halten, die ein
Jndustrialismus, der wild wachsen darf, mit sich bringt: nämlich
das Anschwellen der lvirtschaftlicheil Macht in den Händen einzelner und das
Hiuabdrücken zahlreicher Existenzen in die Notlage oder in die wirtschaftliche
Abhängigkeit mit allen ihren physischen und moralischen Nachteilen. Wie der
Industriestaat wegen des Charakters des Weltmarkts den Kampf zwischen den
heimischen Produzenten und Konsumenten verschärft, unter dem vor allem die
Lebensutittelproduzenteu leiden, so bringt er anch den verschärften Gegensatz
zwischen Unternehmern und Arbeitern. Auch in dieser letzten Hinsicht muß der
Staat vermitteln, soll, wie in jenem Kampfe die Weltmarktstellung Deutsch¬
lands, in diesem die Weltmachtstellung Bestand haben.

Der Weltmarkt arbeitet mit Massen, im Gegensatz zu dem Kleinhandel der
Binnenmärkte. Es ist daher natürlich, daß das Großgcwerbe, der Großhandel


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[0436] Die deutsche Weltpolitik nicht nur die nicht ackerbautreibenden Kreise versorgen, sondern auch Korn aus¬ führen können. Diese Ausfuhr betrug allein ans Westsibirien in den letzten Jahren 3'/.j bis 4 Millionen Zentner an Sommerweizen, Es ist klar, daß sich bei weiteren Fortschreiten der Kolvnisiernng die zur Ausfuhr gelangenden Getreide- mcngen vervielfältigen müssen, und daß sie sehr bald anch den Weg auf den europäischen Getreidemarkt finden werden. Denn die sibirische Bahn durch¬ schneidet gerade den Teil Sibiriens, der eine Kornkammer zu werden verspricht und alle Aussicht hat, in nächster Zeit durch Zufuhrbahneu nud Ausnutzung der vorhandnen Wasserwege anch über das Eismeer sür den Weltverkehr er¬ schlossen zu werden. Das europäische Rußland bedarf der Vorräte Sibiriens trotz aller Hnngersnöte nicht, der chinesische Markt wird aber wegen der großer» Transportschwierigkeiten und geringern Kanfkraft weniger Anziehung auf das westsibirische Korn ausübe». Die Getreideprodnktion Sibiriens berechtigt also zu der Hoffnung auf eine wirtschaftliche Erstarrung Rußlands; sie bringt viel¬ leicht für unsre Landwirtschaft eine ernste Gefahr. In zweiter Linie hat die Kultur der Faser- und Ölpflanzen sowie des Tabaks eine bedeutende Zukunft. (Schluß folgt) Die deutsche Weltpolitik von Hans Wagner 3 cum das Deutsche Reich durch eine kräftige Weltpvlitik der heimischen Industrie weite Absatzgebiete schafft und dadurch ihre Ausbreitung fördert, so übernimmt es damit zugleich die Ver¬ pflichtung, die Schäden und Auswüchse fern zu halten, die ein Jndustrialismus, der wild wachsen darf, mit sich bringt: nämlich das Anschwellen der lvirtschaftlicheil Macht in den Händen einzelner und das Hiuabdrücken zahlreicher Existenzen in die Notlage oder in die wirtschaftliche Abhängigkeit mit allen ihren physischen und moralischen Nachteilen. Wie der Industriestaat wegen des Charakters des Weltmarkts den Kampf zwischen den heimischen Produzenten und Konsumenten verschärft, unter dem vor allem die Lebensutittelproduzenteu leiden, so bringt er anch den verschärften Gegensatz zwischen Unternehmern und Arbeitern. Auch in dieser letzten Hinsicht muß der Staat vermitteln, soll, wie in jenem Kampfe die Weltmarktstellung Deutsch¬ lands, in diesem die Weltmachtstellung Bestand haben. Der Weltmarkt arbeitet mit Massen, im Gegensatz zu dem Kleinhandel der Binnenmärkte. Es ist daher natürlich, daß das Großgcwerbe, der Großhandel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/436>, abgerufen am 27.06.2024.