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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Der Sinn dos (Lhristentnins

dieses Rückgangs der Bevölkerung von einer weitern kolonialen Ausdehnung
absehen solle. Was nützt es, fragt er, den kolonialen Besitz immer zu ver¬
mehren, wenn wir ansier stände sind, die nötigen Kolonisten zu liefern, die
K v. w. olonien zu kultivieren und nutzbringend zu machen?




Der Sinn des Christentums

u dem Aufsatze in Heft 3 und 4 üb
er Hills ist erwähnt worden,
das; dieser Wcgzeiger zum Glück den Zweifel daran für erlaubt
erklärt, ob das verwässerte und verblaßte Christentum, das wir
heute haben, ursprünglich beabsichtigt gewesen sei. Hätte er seinen
Blick zugleich auf die Zeiten gerichtet, wo, um in seiner Sprache
zu reden, die Christenheit Gott ganz andre Dinge angeboten hat, als die er
will: Gezänk um Glaubensbekenntnisse, Kreuzzüge, Geißelungen, Ablaßgelder,
Ketzer- und Hexenverbrennnngen, so würde ihm der Zweifel "och berechtigter
erschiene" sein. Dieser Zweifel bedeutet aber doch nichts geringeres, als daß
man vermuten dürfe, die Erlösung sei mißlungen, und die Weltschöpfung, deren
Vollendung die Erlösung sein soll, sei ein verpfuschtes Werk. Und da muß
nnn ich, das Weltkind, dem Christen Hilty gegenüber bekennen, daß ich diesen
Zweifel nicht teile, sondern die Schöpfung wie die Erlösung für gelungen
halte. Die Menschen bieten Gott fortwährend etwas andres an, als was
dieser im Neuen Testament fordert, oder verschließen vor dessen Verkündigung
beide Ohren, weil diese Forderungen für die Mehrzahl unerfüllbar sind, während
jedermann imstande ist, Gebete herunterzusagcn, Geld für mancherlei Zwecke
zu spenden und Andersgläubige zu verfolgen. Hegt man die Überzeugung, daß
diese Forderungen nur für die Auserwählten gelten, und daß die Mehrzahl
so leben soll, wie sie eben lebt, dann ist die Absicht des Stifters der Kirche
erfüllt. Dem Glauben gegenüber, Gott habe durch Christus die ganze Mensch¬
heit in eine Gemeinde der Heiligen umschaffen wollen, ist der Spott voll be¬
rechtigt, den der Vorwärts alljährlich über die Friedensbotschaft des Weihnachts¬
engels ausgießt, oder vielmehr über die Leute, die vorgeben, an diese Botschaft
zu glnnben, während jetzt, neunzehnhundert Jahre nach der Verkündigung dieser
Botschaft, die Lösung dieser Leute ist: Mehr Panzerschiffe, mehr Kanonen und:
Nieder mit den Konkurrenten.") Von dem Ziele, das die Kirche aufstellt, ist
die Menschheit heute mindestens ebenso weit entfernt wie zu der Zeit des Kaisers



*) Der Bulgatatext: in körr" psx Kommibus dooao voluntatis, giebt zum Spott überhaupt
keinen Anlaß, denn daß es einzelne Menschen giebt, die durch Christus den innern Frieden er¬
langen und auch äußerlich Frieden halten, kann kein Sozialdemokrat leugnen; dagegen ist das
in tsi-rg, für sich allein einfach nicht wahr, und das freilich durch alle griechischen Codices
bezeugte -oso---" (für ^So-""!?) ein sinnloses und grammatisch unmögliches Anhängsel.
Der Sinn dos (Lhristentnins

dieses Rückgangs der Bevölkerung von einer weitern kolonialen Ausdehnung
absehen solle. Was nützt es, fragt er, den kolonialen Besitz immer zu ver¬
mehren, wenn wir ansier stände sind, die nötigen Kolonisten zu liefern, die
K v. w. olonien zu kultivieren und nutzbringend zu machen?




Der Sinn des Christentums

u dem Aufsatze in Heft 3 und 4 üb
er Hills ist erwähnt worden,
das; dieser Wcgzeiger zum Glück den Zweifel daran für erlaubt
erklärt, ob das verwässerte und verblaßte Christentum, das wir
heute haben, ursprünglich beabsichtigt gewesen sei. Hätte er seinen
Blick zugleich auf die Zeiten gerichtet, wo, um in seiner Sprache
zu reden, die Christenheit Gott ganz andre Dinge angeboten hat, als die er
will: Gezänk um Glaubensbekenntnisse, Kreuzzüge, Geißelungen, Ablaßgelder,
Ketzer- und Hexenverbrennnngen, so würde ihm der Zweifel »och berechtigter
erschiene» sein. Dieser Zweifel bedeutet aber doch nichts geringeres, als daß
man vermuten dürfe, die Erlösung sei mißlungen, und die Weltschöpfung, deren
Vollendung die Erlösung sein soll, sei ein verpfuschtes Werk. Und da muß
nnn ich, das Weltkind, dem Christen Hilty gegenüber bekennen, daß ich diesen
Zweifel nicht teile, sondern die Schöpfung wie die Erlösung für gelungen
halte. Die Menschen bieten Gott fortwährend etwas andres an, als was
dieser im Neuen Testament fordert, oder verschließen vor dessen Verkündigung
beide Ohren, weil diese Forderungen für die Mehrzahl unerfüllbar sind, während
jedermann imstande ist, Gebete herunterzusagcn, Geld für mancherlei Zwecke
zu spenden und Andersgläubige zu verfolgen. Hegt man die Überzeugung, daß
diese Forderungen nur für die Auserwählten gelten, und daß die Mehrzahl
so leben soll, wie sie eben lebt, dann ist die Absicht des Stifters der Kirche
erfüllt. Dem Glauben gegenüber, Gott habe durch Christus die ganze Mensch¬
heit in eine Gemeinde der Heiligen umschaffen wollen, ist der Spott voll be¬
rechtigt, den der Vorwärts alljährlich über die Friedensbotschaft des Weihnachts¬
engels ausgießt, oder vielmehr über die Leute, die vorgeben, an diese Botschaft
zu glnnben, während jetzt, neunzehnhundert Jahre nach der Verkündigung dieser
Botschaft, die Lösung dieser Leute ist: Mehr Panzerschiffe, mehr Kanonen und:
Nieder mit den Konkurrenten.") Von dem Ziele, das die Kirche aufstellt, ist
die Menschheit heute mindestens ebenso weit entfernt wie zu der Zeit des Kaisers



*) Der Bulgatatext: in körr» psx Kommibus dooao voluntatis, giebt zum Spott überhaupt
keinen Anlaß, denn daß es einzelne Menschen giebt, die durch Christus den innern Frieden er¬
langen und auch äußerlich Frieden halten, kann kein Sozialdemokrat leugnen; dagegen ist das
in tsi-rg, für sich allein einfach nicht wahr, und das freilich durch alle griechischen Codices
bezeugte -oso---« (für ^So-»«!?) ein sinnloses und grammatisch unmögliches Anhängsel.
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[0388] Der Sinn dos (Lhristentnins dieses Rückgangs der Bevölkerung von einer weitern kolonialen Ausdehnung absehen solle. Was nützt es, fragt er, den kolonialen Besitz immer zu ver¬ mehren, wenn wir ansier stände sind, die nötigen Kolonisten zu liefern, die K v. w. olonien zu kultivieren und nutzbringend zu machen? Der Sinn des Christentums u dem Aufsatze in Heft 3 und 4 üb er Hills ist erwähnt worden, das; dieser Wcgzeiger zum Glück den Zweifel daran für erlaubt erklärt, ob das verwässerte und verblaßte Christentum, das wir heute haben, ursprünglich beabsichtigt gewesen sei. Hätte er seinen Blick zugleich auf die Zeiten gerichtet, wo, um in seiner Sprache zu reden, die Christenheit Gott ganz andre Dinge angeboten hat, als die er will: Gezänk um Glaubensbekenntnisse, Kreuzzüge, Geißelungen, Ablaßgelder, Ketzer- und Hexenverbrennnngen, so würde ihm der Zweifel »och berechtigter erschiene» sein. Dieser Zweifel bedeutet aber doch nichts geringeres, als daß man vermuten dürfe, die Erlösung sei mißlungen, und die Weltschöpfung, deren Vollendung die Erlösung sein soll, sei ein verpfuschtes Werk. Und da muß nnn ich, das Weltkind, dem Christen Hilty gegenüber bekennen, daß ich diesen Zweifel nicht teile, sondern die Schöpfung wie die Erlösung für gelungen halte. Die Menschen bieten Gott fortwährend etwas andres an, als was dieser im Neuen Testament fordert, oder verschließen vor dessen Verkündigung beide Ohren, weil diese Forderungen für die Mehrzahl unerfüllbar sind, während jedermann imstande ist, Gebete herunterzusagcn, Geld für mancherlei Zwecke zu spenden und Andersgläubige zu verfolgen. Hegt man die Überzeugung, daß diese Forderungen nur für die Auserwählten gelten, und daß die Mehrzahl so leben soll, wie sie eben lebt, dann ist die Absicht des Stifters der Kirche erfüllt. Dem Glauben gegenüber, Gott habe durch Christus die ganze Mensch¬ heit in eine Gemeinde der Heiligen umschaffen wollen, ist der Spott voll be¬ rechtigt, den der Vorwärts alljährlich über die Friedensbotschaft des Weihnachts¬ engels ausgießt, oder vielmehr über die Leute, die vorgeben, an diese Botschaft zu glnnben, während jetzt, neunzehnhundert Jahre nach der Verkündigung dieser Botschaft, die Lösung dieser Leute ist: Mehr Panzerschiffe, mehr Kanonen und: Nieder mit den Konkurrenten.") Von dem Ziele, das die Kirche aufstellt, ist die Menschheit heute mindestens ebenso weit entfernt wie zu der Zeit des Kaisers *) Der Bulgatatext: in körr» psx Kommibus dooao voluntatis, giebt zum Spott überhaupt keinen Anlaß, denn daß es einzelne Menschen giebt, die durch Christus den innern Frieden er¬ langen und auch äußerlich Frieden halten, kann kein Sozialdemokrat leugnen; dagegen ist das in tsi-rg, für sich allein einfach nicht wahr, und das freilich durch alle griechischen Codices bezeugte -oso---« (für ^So-»«!?) ein sinnloses und grammatisch unmögliches Anhängsel.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/388>, abgerufen am 27.06.2024.