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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Biographische Litteratur

enthauptet. Bis Smedercvv war nichts, was den Türken hätte widerstehn
können." Erst 1815 wieder wagten die Serbe" unter Milosch Obrenowitsch
eine neue und diesmal endlich erfolgreiche Erhebung.

(Schluß folgt)




Biographische Litteratur

emoiren eines Menschen, dessen Leben einen tiefern Inhalt gehabt
hat, sind für mich immer ein großer Genuß, wogegen Hilty in
seinem Büchlein "Lesen und Reden" die Selbstbiographie für
entbehrliche und unnütze Lektüre erklärt. In meinem Widerspruch
bestärkt mich ein im Heimatlande des verehrten Mannes er¬
schienenes kleines Memoirenwerk, das in seiner ganzen äußern Art einzig an¬
sprechend ist und als Lektüre Nutzen stiften kann: Dr. L. Svnderegger in
seiner Selbstbiographie und seinen Briefen, herausgegeben von Dr. Elias Haffter
(Frauenfeld, Huber). Sonderegger (1825 bis 1896) war ein angesehener Arzt
und Hygieniker, zuletzt in Sankt Gallen, vielleicht unter den praktischen Ärzten
der Schweiz der angesehenste. Mäßig bemittelt und nicht einmal mit einer
festen Gesundheit begabt, verdankte er seine großen Erfolge zunächst einem
selbstauferlegten Gesetze der strengsten Pflichterfüllung, gewiß aber auch dem
freundlichen und vertrauenerweckenden Gemüt, das ans jeder Seite dieses Buchs
zu uns spricht. Unter den Briefen an leidende Freunde sind manche, z. B.
ein ganzes Bündel an eine kranke Pfarrerfamilie, die sich unmittelbar zu
einer weitern seelendiätetischen Verwendung eignen würden. Außerdem war
Sonderegger von einer für unser Zeitalter beinahe wohl als Ausnahme au¬
ssehenden Bescheidenheit. Er, der selbständige wissenschaftliche Interessen ver¬
folgt und sie über alles andre stellt, sieht den Universitätsprofessor, der das
berufsmäßig thun muß und immer thun kann, fast wie ein Wesen höherer
Ordnung an, ohne daß ihm doch ein Gefühl des Neith und die Frage dabei
kommt, warum nicht ihn das Leben ebenso geführt habe, ebenso hoch und wahr¬
scheinlich weniger mühevoll! Solche Menschen sind dazu berufen, glücklich zu
sei", und das ist der Haupteindruck des Buchs: hier lebt und spricht ein glück¬
licher Mensch. Auf das einfache Lebensbild, aus dem die Schilderung des
Wiener Aufstands lebhaft hervortritt -- Svnderegger studierte damals in Wien --,
folgt el" kurzer Abschnitt: "Meine Bilanz," der so anhebt: "Ich habe sehr
^ick Glück erlebt, und fast alles ohne mein Verdienst. Ich war glücklich als
Arzt, allerdings nicht durch das, was ich, sondern durch das, was andre ge-
^istet. Ich habe in dein mit großer Mühe erworbnen und behaupteten Par-
terrcsitz des ärztlichen Berufs ein erhebendes Schauspiel des Kulturlebens, ja


Biographische Litteratur

enthauptet. Bis Smedercvv war nichts, was den Türken hätte widerstehn
können." Erst 1815 wieder wagten die Serbe» unter Milosch Obrenowitsch
eine neue und diesmal endlich erfolgreiche Erhebung.

(Schluß folgt)




Biographische Litteratur

emoiren eines Menschen, dessen Leben einen tiefern Inhalt gehabt
hat, sind für mich immer ein großer Genuß, wogegen Hilty in
seinem Büchlein „Lesen und Reden" die Selbstbiographie für
entbehrliche und unnütze Lektüre erklärt. In meinem Widerspruch
bestärkt mich ein im Heimatlande des verehrten Mannes er¬
schienenes kleines Memoirenwerk, das in seiner ganzen äußern Art einzig an¬
sprechend ist und als Lektüre Nutzen stiften kann: Dr. L. Svnderegger in
seiner Selbstbiographie und seinen Briefen, herausgegeben von Dr. Elias Haffter
(Frauenfeld, Huber). Sonderegger (1825 bis 1896) war ein angesehener Arzt
und Hygieniker, zuletzt in Sankt Gallen, vielleicht unter den praktischen Ärzten
der Schweiz der angesehenste. Mäßig bemittelt und nicht einmal mit einer
festen Gesundheit begabt, verdankte er seine großen Erfolge zunächst einem
selbstauferlegten Gesetze der strengsten Pflichterfüllung, gewiß aber auch dem
freundlichen und vertrauenerweckenden Gemüt, das ans jeder Seite dieses Buchs
zu uns spricht. Unter den Briefen an leidende Freunde sind manche, z. B.
ein ganzes Bündel an eine kranke Pfarrerfamilie, die sich unmittelbar zu
einer weitern seelendiätetischen Verwendung eignen würden. Außerdem war
Sonderegger von einer für unser Zeitalter beinahe wohl als Ausnahme au¬
ssehenden Bescheidenheit. Er, der selbständige wissenschaftliche Interessen ver¬
folgt und sie über alles andre stellt, sieht den Universitätsprofessor, der das
berufsmäßig thun muß und immer thun kann, fast wie ein Wesen höherer
Ordnung an, ohne daß ihm doch ein Gefühl des Neith und die Frage dabei
kommt, warum nicht ihn das Leben ebenso geführt habe, ebenso hoch und wahr¬
scheinlich weniger mühevoll! Solche Menschen sind dazu berufen, glücklich zu
sei», und das ist der Haupteindruck des Buchs: hier lebt und spricht ein glück¬
licher Mensch. Auf das einfache Lebensbild, aus dem die Schilderung des
Wiener Aufstands lebhaft hervortritt — Svnderegger studierte damals in Wien —,
folgt el» kurzer Abschnitt: „Meine Bilanz," der so anhebt: „Ich habe sehr
^ick Glück erlebt, und fast alles ohne mein Verdienst. Ich war glücklich als
Arzt, allerdings nicht durch das, was ich, sondern durch das, was andre ge-
^istet. Ich habe in dein mit großer Mühe erworbnen und behaupteten Par-
terrcsitz des ärztlichen Berufs ein erhebendes Schauspiel des Kulturlebens, ja


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[0245] Biographische Litteratur enthauptet. Bis Smedercvv war nichts, was den Türken hätte widerstehn können." Erst 1815 wieder wagten die Serbe» unter Milosch Obrenowitsch eine neue und diesmal endlich erfolgreiche Erhebung. (Schluß folgt) Biographische Litteratur emoiren eines Menschen, dessen Leben einen tiefern Inhalt gehabt hat, sind für mich immer ein großer Genuß, wogegen Hilty in seinem Büchlein „Lesen und Reden" die Selbstbiographie für entbehrliche und unnütze Lektüre erklärt. In meinem Widerspruch bestärkt mich ein im Heimatlande des verehrten Mannes er¬ schienenes kleines Memoirenwerk, das in seiner ganzen äußern Art einzig an¬ sprechend ist und als Lektüre Nutzen stiften kann: Dr. L. Svnderegger in seiner Selbstbiographie und seinen Briefen, herausgegeben von Dr. Elias Haffter (Frauenfeld, Huber). Sonderegger (1825 bis 1896) war ein angesehener Arzt und Hygieniker, zuletzt in Sankt Gallen, vielleicht unter den praktischen Ärzten der Schweiz der angesehenste. Mäßig bemittelt und nicht einmal mit einer festen Gesundheit begabt, verdankte er seine großen Erfolge zunächst einem selbstauferlegten Gesetze der strengsten Pflichterfüllung, gewiß aber auch dem freundlichen und vertrauenerweckenden Gemüt, das ans jeder Seite dieses Buchs zu uns spricht. Unter den Briefen an leidende Freunde sind manche, z. B. ein ganzes Bündel an eine kranke Pfarrerfamilie, die sich unmittelbar zu einer weitern seelendiätetischen Verwendung eignen würden. Außerdem war Sonderegger von einer für unser Zeitalter beinahe wohl als Ausnahme au¬ ssehenden Bescheidenheit. Er, der selbständige wissenschaftliche Interessen ver¬ folgt und sie über alles andre stellt, sieht den Universitätsprofessor, der das berufsmäßig thun muß und immer thun kann, fast wie ein Wesen höherer Ordnung an, ohne daß ihm doch ein Gefühl des Neith und die Frage dabei kommt, warum nicht ihn das Leben ebenso geführt habe, ebenso hoch und wahr¬ scheinlich weniger mühevoll! Solche Menschen sind dazu berufen, glücklich zu sei», und das ist der Haupteindruck des Buchs: hier lebt und spricht ein glück¬ licher Mensch. Auf das einfache Lebensbild, aus dem die Schilderung des Wiener Aufstands lebhaft hervortritt — Svnderegger studierte damals in Wien —, folgt el» kurzer Abschnitt: „Meine Bilanz," der so anhebt: „Ich habe sehr ^ick Glück erlebt, und fast alles ohne mein Verdienst. Ich war glücklich als Arzt, allerdings nicht durch das, was ich, sondern durch das, was andre ge- ^istet. Ich habe in dein mit großer Mühe erworbnen und behaupteten Par- terrcsitz des ärztlichen Berufs ein erhebendes Schauspiel des Kulturlebens, ja

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/245>, abgerufen am 05.12.2024.