Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.Gin Tag bei Tolstoj Gewiß bauen der Geheimniskrämer und der Geheimmittelfabrikant häufig Gin Tag bei Tolstoj Line Erinnerung s war kurz nach dem Schluß des medizinischen Kongresses in Dieser Ort liegt im Gouvernement Tula, zwei Werst südlich von Moskau In unserm Wagen mischte sich noch ein russischer Arzt in die Unter¬ Sie finden unzweifelhaft, daß Rußland ein sehr barbarisches Land ist? Diese von ihm gestellte Frage habe ich mindestens ein dutzendmal in Ru߬ Wir konnten nicht umhin, uns etwas über die fast unglaublich strenge Grenzboten III 1899 77
Gin Tag bei Tolstoj Gewiß bauen der Geheimniskrämer und der Geheimmittelfabrikant häufig Gin Tag bei Tolstoj Line Erinnerung s war kurz nach dem Schluß des medizinischen Kongresses in Dieser Ort liegt im Gouvernement Tula, zwei Werst südlich von Moskau In unserm Wagen mischte sich noch ein russischer Arzt in die Unter¬ Sie finden unzweifelhaft, daß Rußland ein sehr barbarisches Land ist? Diese von ihm gestellte Frage habe ich mindestens ein dutzendmal in Ru߬ Wir konnten nicht umhin, uns etwas über die fast unglaublich strenge Grenzboten III 1899 77
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0617" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231787"/> <fw type="header" place="top"> Gin Tag bei Tolstoj</fw><lb/> <p xml:id="ID_2006"> Gewiß bauen der Geheimniskrämer und der Geheimmittelfabrikant häufig<lb/> genug auf Sebastian Brants Weisheit, daß die Welt betrogen werden will.<lb/> Steht ihr aber der Staat im Kampfe gegen die Kurpfuscherei bei, so wird der<lb/> Geheimnisteufel zahm, und erst dann wird man seinen Spenden zugestehn können,<lb/> daß sie ebenso wenig Betrug sind wie das harmlose Nichts, das zu verordnen<lb/> sich selbst der zünftige Äskulapjünger gelegentlich gezwungen sieht, ut g.1iauiä<lb/> Litt, damit der arzneiglänbige Kranke beruhigt werde und gesunde.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Gin Tag bei Tolstoj<lb/> Line Erinnerung </head><lb/> <p xml:id="ID_2007"> s war kurz nach dem Schluß des medizinischen Kongresses in<lb/> Moskau. Mit rauschenden, großartigen Festen waren die arbeits¬<lb/> reichen und für die Wissenschaft wichtigen Tage beendigt, und<lb/> nach allen Himmelsrichtungen stoben die mehr oder weniger be¬<lb/> rühmten Teilnehmer auseinander. Mit vier Männern hatte ich<lb/> besondre Freundschaft geschlossen. Der eine reiste nach Finnland,<lb/> der zweite über den Kaukasus, der dritte hinter Konstantinopel. Der vierte aber<lb/> forderte mich auf, mit ihm den Grafen Tolstoj aufzusuchen, mit dem gemeinsam<lb/> er einen Freund betrauerte, über den er dem Grafen manches mitzuteilen hatte.<lb/> Ich gestehe, daß ich dieser Aufforderung nicht ungern nachkam, und wir traten<lb/> die Reise nach Jasnaja Potamia an.</p><lb/> <p xml:id="ID_2008"> Dieser Ort liegt im Gouvernement Tula, zwei Werst südlich von Moskau<lb/> und ist nicht weit von der großen Eisenbahnlinie entfernt, die die einstige<lb/> Zarenstadt mit Sebastopol verbindet. Der Schnellzug braucht fünf Stunden,<lb/> um die Strecke von Moskau bis Tula zurückzulegen. Die Landschaft ist<lb/> weniger einförmig als in den südlichen Gegenden; die ungeheuern Getreide¬<lb/> felder wechseln wiederholt angenehm mit schönen Wäldern oder bläulichen sich<lb/> am Horizont abhebenden Hügeln.</p><lb/> <p xml:id="ID_2009"> In unserm Wagen mischte sich noch ein russischer Arzt in die Unter¬<lb/> haltung, der noch ganz von den französisch-russischen Verbrüderungsfesten in<lb/> Petersburg begeistert war.</p><lb/> <p xml:id="ID_2010"> Sie finden unzweifelhaft, daß Rußland ein sehr barbarisches Land ist?</p><lb/> <p xml:id="ID_2011"> Diese von ihm gestellte Frage habe ich mindestens ein dutzendmal in Ru߬<lb/> land gehört. Es scheint, als wenn die dortigen Bewohner einigermaßen be¬<lb/> sorgt um den Eindruck wären, den ihr Land auf die verhältnismäßig wenigen<lb/> dort reisenden Leute macht.</p><lb/> <p xml:id="ID_2012"> Wir konnten nicht umhin, uns etwas über die fast unglaublich strenge<lb/> Art lustig zu machen, mit der die hohe russische Polizeiverwaltung jeden<lb/> Fremden bewacht und beobachtet. So schlimm sind wir in Deutschland denn<lb/> doch nicht daran, fügte ich hinzu.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1899 77</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0617]
Gin Tag bei Tolstoj
Gewiß bauen der Geheimniskrämer und der Geheimmittelfabrikant häufig
genug auf Sebastian Brants Weisheit, daß die Welt betrogen werden will.
Steht ihr aber der Staat im Kampfe gegen die Kurpfuscherei bei, so wird der
Geheimnisteufel zahm, und erst dann wird man seinen Spenden zugestehn können,
daß sie ebenso wenig Betrug sind wie das harmlose Nichts, das zu verordnen
sich selbst der zünftige Äskulapjünger gelegentlich gezwungen sieht, ut g.1iauiä
Litt, damit der arzneiglänbige Kranke beruhigt werde und gesunde.
Gin Tag bei Tolstoj
Line Erinnerung
s war kurz nach dem Schluß des medizinischen Kongresses in
Moskau. Mit rauschenden, großartigen Festen waren die arbeits¬
reichen und für die Wissenschaft wichtigen Tage beendigt, und
nach allen Himmelsrichtungen stoben die mehr oder weniger be¬
rühmten Teilnehmer auseinander. Mit vier Männern hatte ich
besondre Freundschaft geschlossen. Der eine reiste nach Finnland,
der zweite über den Kaukasus, der dritte hinter Konstantinopel. Der vierte aber
forderte mich auf, mit ihm den Grafen Tolstoj aufzusuchen, mit dem gemeinsam
er einen Freund betrauerte, über den er dem Grafen manches mitzuteilen hatte.
Ich gestehe, daß ich dieser Aufforderung nicht ungern nachkam, und wir traten
die Reise nach Jasnaja Potamia an.
Dieser Ort liegt im Gouvernement Tula, zwei Werst südlich von Moskau
und ist nicht weit von der großen Eisenbahnlinie entfernt, die die einstige
Zarenstadt mit Sebastopol verbindet. Der Schnellzug braucht fünf Stunden,
um die Strecke von Moskau bis Tula zurückzulegen. Die Landschaft ist
weniger einförmig als in den südlichen Gegenden; die ungeheuern Getreide¬
felder wechseln wiederholt angenehm mit schönen Wäldern oder bläulichen sich
am Horizont abhebenden Hügeln.
In unserm Wagen mischte sich noch ein russischer Arzt in die Unter¬
haltung, der noch ganz von den französisch-russischen Verbrüderungsfesten in
Petersburg begeistert war.
Sie finden unzweifelhaft, daß Rußland ein sehr barbarisches Land ist?
Diese von ihm gestellte Frage habe ich mindestens ein dutzendmal in Ru߬
land gehört. Es scheint, als wenn die dortigen Bewohner einigermaßen be¬
sorgt um den Eindruck wären, den ihr Land auf die verhältnismäßig wenigen
dort reisenden Leute macht.
Wir konnten nicht umhin, uns etwas über die fast unglaublich strenge
Art lustig zu machen, mit der die hohe russische Polizeiverwaltung jeden
Fremden bewacht und beobachtet. So schlimm sind wir in Deutschland denn
doch nicht daran, fügte ich hinzu.
Grenzboten III 1899 77
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |