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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr.

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Lin deutsches Rnnstlerleben

Fahnen. Die Petrikirche sendet den schlanksten Turm empor, den vier Eck-
türmchen flankieren. Es kommen auch zierlich durchbrochne Türmchen auf dem
Hauptschiff vor. Aber den Eindruck des Rathauses und des Holstenthores
erreicht keiner von diesen Tempeln. Man kann an den Privathciusern lernen,
wie gut sich der Ziegelbau dem räumlich anspruchslosen Profanbau anpaßt,
der mit dem Wechsel roter und gelber Steine einen warmen, heitern Ton er¬
zielt, offne Loggien anwendet und in gebrannten Ornamenten nach Art des
Wismarer Fürstenhofs schweigt. Das berühmte Schisferhaus zeigt uns das
stimmungsvolle Düster eines Hausinnern. Um lange Tische behagliche Bänke,
die Räume durch halbhohe dunkle geschnitzte Wände geschieden. Schiffsmodelle
und erbeutete Korsarenwaffen zieren Decke und Wände.

In der Stille dieser wundervollen Stadt, von deren Wällen man auf eine
lachende Landschaft von Wiesen, Feldern, Wäldern und blitzenden Seen und
Flußschlingen hinaus- und hinabschaut, sind namhafte Menschen geboren.
Geibel steht kühn in den Mantel drapiert da, genau so, wie man ihn einst
in München dahinschreiten sah. Der Historiker Curtius ist eine seinem be¬
rühmtem Freunde und Landsmann seelenverwandte Natur gewesen: mehr
anempfindend als schöpferisch, hochgesinnt, der Phrase zu Zeiten nicht abhold,
im ganzen eine höchst wohlthuende Erscheinung. Lübeck hat auch kräftigere,
sür die hanseatische Diplomatie in alter und neuer Zeit bedeutende Männer
gestellt. Der Senator Krüger, ein mit der Schöpfung des neuen Reichs eng
verbundner langjähriger hanseatischer Gesandter in Berlin, war ein Lübecker.




Gin deutsches Künstlerleben
(Schluß)

asmann war sechsundzwanzig Jahre alt, als er im Jahre 1835
zu seiner höhern Ausbildung deu Weg ius Vaterland der Kunst
offen fand. Was er auf seiner langen und wechselvollen Reise
von Meran nach Rom alles sah, erlebte, empfand und in sich als
unverlierbares Vesitztnm aufnahm, könnte jeden "Jtalienfahrer"
unsrer Tage mit Neid erfüllen. Freilich mit dem Auge eines
Goethe konnte nur Goethe reisen. Wasmann reiste und lebte in Italien als der
kluge und feinfühlige Beobachter, wie wir ihn schon kennen gelernt haben. Ohne
Prcitensivn, ohne einseitige Parteinahme und mit der ehrlichen Absicht, zu lernen,
seine künstlerische Einsicht zu vertiefen und in Rom am Urquell alles Schönen,
Erhabnen und Ewigen Geist und Gemüt zu stärken, gab er sich den neuen


Lin deutsches Rnnstlerleben

Fahnen. Die Petrikirche sendet den schlanksten Turm empor, den vier Eck-
türmchen flankieren. Es kommen auch zierlich durchbrochne Türmchen auf dem
Hauptschiff vor. Aber den Eindruck des Rathauses und des Holstenthores
erreicht keiner von diesen Tempeln. Man kann an den Privathciusern lernen,
wie gut sich der Ziegelbau dem räumlich anspruchslosen Profanbau anpaßt,
der mit dem Wechsel roter und gelber Steine einen warmen, heitern Ton er¬
zielt, offne Loggien anwendet und in gebrannten Ornamenten nach Art des
Wismarer Fürstenhofs schweigt. Das berühmte Schisferhaus zeigt uns das
stimmungsvolle Düster eines Hausinnern. Um lange Tische behagliche Bänke,
die Räume durch halbhohe dunkle geschnitzte Wände geschieden. Schiffsmodelle
und erbeutete Korsarenwaffen zieren Decke und Wände.

In der Stille dieser wundervollen Stadt, von deren Wällen man auf eine
lachende Landschaft von Wiesen, Feldern, Wäldern und blitzenden Seen und
Flußschlingen hinaus- und hinabschaut, sind namhafte Menschen geboren.
Geibel steht kühn in den Mantel drapiert da, genau so, wie man ihn einst
in München dahinschreiten sah. Der Historiker Curtius ist eine seinem be¬
rühmtem Freunde und Landsmann seelenverwandte Natur gewesen: mehr
anempfindend als schöpferisch, hochgesinnt, der Phrase zu Zeiten nicht abhold,
im ganzen eine höchst wohlthuende Erscheinung. Lübeck hat auch kräftigere,
sür die hanseatische Diplomatie in alter und neuer Zeit bedeutende Männer
gestellt. Der Senator Krüger, ein mit der Schöpfung des neuen Reichs eng
verbundner langjähriger hanseatischer Gesandter in Berlin, war ein Lübecker.




Gin deutsches Künstlerleben
(Schluß)

asmann war sechsundzwanzig Jahre alt, als er im Jahre 1835
zu seiner höhern Ausbildung deu Weg ius Vaterland der Kunst
offen fand. Was er auf seiner langen und wechselvollen Reise
von Meran nach Rom alles sah, erlebte, empfand und in sich als
unverlierbares Vesitztnm aufnahm, könnte jeden „Jtalienfahrer"
unsrer Tage mit Neid erfüllen. Freilich mit dem Auge eines
Goethe konnte nur Goethe reisen. Wasmann reiste und lebte in Italien als der
kluge und feinfühlige Beobachter, wie wir ihn schon kennen gelernt haben. Ohne
Prcitensivn, ohne einseitige Parteinahme und mit der ehrlichen Absicht, zu lernen,
seine künstlerische Einsicht zu vertiefen und in Rom am Urquell alles Schönen,
Erhabnen und Ewigen Geist und Gemüt zu stärken, gab er sich den neuen


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[0524] Lin deutsches Rnnstlerleben Fahnen. Die Petrikirche sendet den schlanksten Turm empor, den vier Eck- türmchen flankieren. Es kommen auch zierlich durchbrochne Türmchen auf dem Hauptschiff vor. Aber den Eindruck des Rathauses und des Holstenthores erreicht keiner von diesen Tempeln. Man kann an den Privathciusern lernen, wie gut sich der Ziegelbau dem räumlich anspruchslosen Profanbau anpaßt, der mit dem Wechsel roter und gelber Steine einen warmen, heitern Ton er¬ zielt, offne Loggien anwendet und in gebrannten Ornamenten nach Art des Wismarer Fürstenhofs schweigt. Das berühmte Schisferhaus zeigt uns das stimmungsvolle Düster eines Hausinnern. Um lange Tische behagliche Bänke, die Räume durch halbhohe dunkle geschnitzte Wände geschieden. Schiffsmodelle und erbeutete Korsarenwaffen zieren Decke und Wände. In der Stille dieser wundervollen Stadt, von deren Wällen man auf eine lachende Landschaft von Wiesen, Feldern, Wäldern und blitzenden Seen und Flußschlingen hinaus- und hinabschaut, sind namhafte Menschen geboren. Geibel steht kühn in den Mantel drapiert da, genau so, wie man ihn einst in München dahinschreiten sah. Der Historiker Curtius ist eine seinem be¬ rühmtem Freunde und Landsmann seelenverwandte Natur gewesen: mehr anempfindend als schöpferisch, hochgesinnt, der Phrase zu Zeiten nicht abhold, im ganzen eine höchst wohlthuende Erscheinung. Lübeck hat auch kräftigere, sür die hanseatische Diplomatie in alter und neuer Zeit bedeutende Männer gestellt. Der Senator Krüger, ein mit der Schöpfung des neuen Reichs eng verbundner langjähriger hanseatischer Gesandter in Berlin, war ein Lübecker. Gin deutsches Künstlerleben (Schluß) asmann war sechsundzwanzig Jahre alt, als er im Jahre 1835 zu seiner höhern Ausbildung deu Weg ius Vaterland der Kunst offen fand. Was er auf seiner langen und wechselvollen Reise von Meran nach Rom alles sah, erlebte, empfand und in sich als unverlierbares Vesitztnm aufnahm, könnte jeden „Jtalienfahrer" unsrer Tage mit Neid erfüllen. Freilich mit dem Auge eines Goethe konnte nur Goethe reisen. Wasmann reiste und lebte in Italien als der kluge und feinfühlige Beobachter, wie wir ihn schon kennen gelernt haben. Ohne Prcitensivn, ohne einseitige Parteinahme und mit der ehrlichen Absicht, zu lernen, seine künstlerische Einsicht zu vertiefen und in Rom am Urquell alles Schönen, Erhabnen und Ewigen Geist und Gemüt zu stärken, gab er sich den neuen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231169/524>, abgerufen am 15.01.2025.