Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.Hein lviec? Betrachter", wie Heim es war, nur, daß Harm sich Zeit lasse. Aber uns, denen Wir täuschen uns nicht, wenn wir annehme", daß diesem Summen eine Ge¬ 9 Es war im zweite" Jahrzehnt unsers alternden Jahrhunderts, als die über Der damalige Besitzer vom Holm, der alte Detlev Kühl, den nnn schon lange die Die Erlaubnis zu de" laugen Hosen wurde dem Alten schließlich halb abge¬ Hein lviec? Betrachter», wie Heim es war, nur, daß Harm sich Zeit lasse. Aber uns, denen Wir täuschen uns nicht, wenn wir annehme», daß diesem Summen eine Ge¬ 9 Es war im zweite» Jahrzehnt unsers alternden Jahrhunderts, als die über Der damalige Besitzer vom Holm, der alte Detlev Kühl, den nnn schon lange die Die Erlaubnis zu de» laugen Hosen wurde dem Alten schließlich halb abge¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0507" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230939"/> <fw type="header" place="top"> Hein lviec?</fw><lb/> <p xml:id="ID_1719" prev="#ID_1718"> Betrachter», wie Heim es war, nur, daß Harm sich Zeit lasse. Aber uns, denen<lb/> die Herzen unsrer Helden aufgeschlagne Bücher sind, sind jene Kräuselwellen der<lb/> Wiederschein lieber Erinnerungen — Erinnerungen im Herzen des Herrn vom<lb/> Holm, goldne Klänge des Glücks, die er in stillem Gedenken über die Fntterdiele<lb/> trägt. Er hielt den Kopf etwas rechts geneigt, wie immer, und sah von hinten so<lb/> trocken aus wie immer. Aber wenn wir ihn überholen und ihm ins Gesicht sehen,<lb/> so gewahren wir ein Lächeln wie jungen Frühlingstag auf seinem Gesicht — ja von<lb/> dem vielgenannten „Kattengcmg" her, dessen gähnende Finsternis unsre geheimsten<lb/> Gedanken verbirgt, glauben, wir in der Gegend der Dickmilchtonne ein fast fröhliches<lb/> Summen zu vernehmen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1720"> Wir täuschen uns nicht, wenn wir annehme», daß diesem Summen eine Ge¬<lb/> dächtnisfeier zu Grunde liegt, die die Seele des wackern Harm in Schwingung<lb/> versetzt. Und dies fast zu einer Art von Gesang gewandelte Summen und alles<lb/> das, was damit zusammenhängt, gehört zu unsrer Erznhlnng. Wir wolle» in<lb/> eine»! eigens dazu ausgewählten Kapitel dem wunderlichen Gebaren unsers Harm<lb/> und der Geschichte dieses Gebarens nachgehn.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> 9</head><lb/> <p xml:id="ID_1721"> Es war im zweite» Jahrzehnt unsers alternden Jahrhunderts, als die über<lb/> den Erdball dahingegangne» Stürme im Dorfe xost, testum eine kleine Revo¬<lb/> lution in der Kleiderordnung nach sich zogen. Bis dahin hatte sich die Kniehose<lb/> noch immer siegreich behauptet, nnn aber wollte die lange Hose l^anseulotts) ihres<lb/> Sieges, der dem alten Europa so viel Blut gekostet hatte, froh werde». Die<lb/> Alten blieben bei ihren Kniehosen mit den Silberschnallen, bei ihre» gleichmäßig<lb/> rund umher gestrickte», farbigen Wollweste» mit de» großen Nundhüteu; die<lb/> Jungen aber waren Anhäiiger der lmigen Hosen, der Westen mit dem Rückenteil<lb/> aus Batist und der nüchternen Mütze». Man sagt immer, daß das Gute schließlich<lb/> durchdringt. Da nnn den langen Hosen und den Mützen der Sieg geblieben ist,<lb/> da ferner nach der Lehre der Optimisten das Gute und Wahre stets durchdringt,<lb/> so darf man, wenngleich es auch streitig ist, wohl annehme», daß sie der alte»<lb/> Tracht gegenüber einen Fortschritt an Schönheit und an praktischer Brauchbarkeit<lb/> darstellen. Wir »vollen uns indessen in diesen Kleiderstreit nicht mischen, sondern<lb/> alles dahingestellt sein lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1722"> Der damalige Besitzer vom Holm, der alte Detlev Kühl, den nnn schon lange die<lb/> Erde deckt, hielt tapfer an der alten Tracht fest und sah es auch nicht gern, daß die<lb/> Jugend sich hiervon losmachte. Die Kniehose, der Rundhut und — was ich ganz<lb/> vergesse» habe, hervorzuheben — vor allen Dingen das lang getragne, wallende<lb/> Haar waren ihm so heilig, wie die Shmbvle seines religiösen Bekenntnisses. Er<lb/> hatte nur eiuen einzigen Sohn — Harm. Und dieser war im Gru»de seines Herzens<lb/> ein Neuerer, eine Art Absalon. Wahrscheinlich hätte er es aber kau»? gewagt, den<lb/> Kampf auf eigne Hand aufzunehmen, wenn nicht seine Mutter im geheimen nicht<lb/> weniger der Neuerung angehangen hätte, als ihr revolutionssüchtiger Harm.</p><lb/> <p xml:id="ID_1723" next="#ID_1724"> Die Erlaubnis zu de» laugen Hosen wurde dem Alten schließlich halb abge¬<lb/> trotzt, halb abgeschmeichelt; an den langen Haaren aber hielt der Vater beharrlich<lb/> fest. Da verschworen sich Mutter und Sohn, eigenmächtig vorzngehn. Das lange<lb/> Haar fiel unter dem Schermesser von Jürgen Weber, der eigentlich Jürgen Bollert<lb/> hieß, sich mit Hühneraugenschneiden, »ut dem Stütze» der Haare und dergleichen<lb/> befaßte, im übrigen aber ein biedrer Leineuweber war. Nach dem Ratschluß der Mutter<lb/> sollte Harm, der, in der Regel mit Feldarbeiten beschäftigt, seinen? Vater eigentlich</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0507]
Hein lviec?
Betrachter», wie Heim es war, nur, daß Harm sich Zeit lasse. Aber uns, denen
die Herzen unsrer Helden aufgeschlagne Bücher sind, sind jene Kräuselwellen der
Wiederschein lieber Erinnerungen — Erinnerungen im Herzen des Herrn vom
Holm, goldne Klänge des Glücks, die er in stillem Gedenken über die Fntterdiele
trägt. Er hielt den Kopf etwas rechts geneigt, wie immer, und sah von hinten so
trocken aus wie immer. Aber wenn wir ihn überholen und ihm ins Gesicht sehen,
so gewahren wir ein Lächeln wie jungen Frühlingstag auf seinem Gesicht — ja von
dem vielgenannten „Kattengcmg" her, dessen gähnende Finsternis unsre geheimsten
Gedanken verbirgt, glauben, wir in der Gegend der Dickmilchtonne ein fast fröhliches
Summen zu vernehmen.
Wir täuschen uns nicht, wenn wir annehme», daß diesem Summen eine Ge¬
dächtnisfeier zu Grunde liegt, die die Seele des wackern Harm in Schwingung
versetzt. Und dies fast zu einer Art von Gesang gewandelte Summen und alles
das, was damit zusammenhängt, gehört zu unsrer Erznhlnng. Wir wolle» in
eine»! eigens dazu ausgewählten Kapitel dem wunderlichen Gebaren unsers Harm
und der Geschichte dieses Gebarens nachgehn.
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Es war im zweite» Jahrzehnt unsers alternden Jahrhunderts, als die über
den Erdball dahingegangne» Stürme im Dorfe xost, testum eine kleine Revo¬
lution in der Kleiderordnung nach sich zogen. Bis dahin hatte sich die Kniehose
noch immer siegreich behauptet, nnn aber wollte die lange Hose l^anseulotts) ihres
Sieges, der dem alten Europa so viel Blut gekostet hatte, froh werde». Die
Alten blieben bei ihren Kniehosen mit den Silberschnallen, bei ihre» gleichmäßig
rund umher gestrickte», farbigen Wollweste» mit de» großen Nundhüteu; die
Jungen aber waren Anhäiiger der lmigen Hosen, der Westen mit dem Rückenteil
aus Batist und der nüchternen Mütze». Man sagt immer, daß das Gute schließlich
durchdringt. Da nnn den langen Hosen und den Mützen der Sieg geblieben ist,
da ferner nach der Lehre der Optimisten das Gute und Wahre stets durchdringt,
so darf man, wenngleich es auch streitig ist, wohl annehme», daß sie der alte»
Tracht gegenüber einen Fortschritt an Schönheit und an praktischer Brauchbarkeit
darstellen. Wir »vollen uns indessen in diesen Kleiderstreit nicht mischen, sondern
alles dahingestellt sein lassen.
Der damalige Besitzer vom Holm, der alte Detlev Kühl, den nnn schon lange die
Erde deckt, hielt tapfer an der alten Tracht fest und sah es auch nicht gern, daß die
Jugend sich hiervon losmachte. Die Kniehose, der Rundhut und — was ich ganz
vergesse» habe, hervorzuheben — vor allen Dingen das lang getragne, wallende
Haar waren ihm so heilig, wie die Shmbvle seines religiösen Bekenntnisses. Er
hatte nur eiuen einzigen Sohn — Harm. Und dieser war im Gru»de seines Herzens
ein Neuerer, eine Art Absalon. Wahrscheinlich hätte er es aber kau»? gewagt, den
Kampf auf eigne Hand aufzunehmen, wenn nicht seine Mutter im geheimen nicht
weniger der Neuerung angehangen hätte, als ihr revolutionssüchtiger Harm.
Die Erlaubnis zu de» laugen Hosen wurde dem Alten schließlich halb abge¬
trotzt, halb abgeschmeichelt; an den langen Haaren aber hielt der Vater beharrlich
fest. Da verschworen sich Mutter und Sohn, eigenmächtig vorzngehn. Das lange
Haar fiel unter dem Schermesser von Jürgen Weber, der eigentlich Jürgen Bollert
hieß, sich mit Hühneraugenschneiden, »ut dem Stütze» der Haare und dergleichen
befaßte, im übrigen aber ein biedrer Leineuweber war. Nach dem Ratschluß der Mutter
sollte Harm, der, in der Regel mit Feldarbeiten beschäftigt, seinen? Vater eigentlich
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