Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.tokoll auszugsweise ausgefertigt werden, so sind in die Ausfertigung außer solchen Als wir das lasen, kam uns die Bemerkung eiues Urwalds ins Gedächtnis, Aber die Sache hat ueben ihrer herzlich dummen anch ihre sehr ernste Seite. Allerlei Gedichtetes. Unlängst schrieb mir jemand: "Was soll uns eigentlich tokoll auszugsweise ausgefertigt werden, so sind in die Ausfertigung außer solchen Als wir das lasen, kam uns die Bemerkung eiues Urwalds ins Gedächtnis, Aber die Sache hat ueben ihrer herzlich dummen anch ihre sehr ernste Seite. Allerlei Gedichtetes. Unlängst schrieb mir jemand: „Was soll uns eigentlich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0231" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230663"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_736" prev="#ID_735"> tokoll auszugsweise ausgefertigt werden, so sind in die Ausfertigung außer solchen<lb/> Teilen des Protokolls und der Anlagen, welche die Beobachtung der Förmlichkeiten<lb/> nachweisen, diejenigen Teile aufzunehmen, welche den Gegenstand betreffen, auf den<lb/> sich der Auszug beziehen soll. — Hätte der Herr Geheimrat wenigstens gesagt,<lb/> die Ausfertigung müsse außer dem betreffenden Teil die Förmlichkeiten enthalten.<lb/> Aber nein! und mau kann ihm nur die Bescheidenheit in der Begründung dieser<lb/> Bestimmung zu gute halten, wo er sagt, daß sie einer nähern Begründung nicht<lb/> bedürfen werde.</p><lb/> <p xml:id="ID_737"> Als wir das lasen, kam uns die Bemerkung eiues Urwalds ins Gedächtnis,<lb/> der in seinem langen Vortrage von dem Vorsitzenden mit deu Worten unterbrochen<lb/> wurde: „Aber, Herr Anwalt, lassen Sie dem Gericht doch auch etwas zu denken<lb/> übrig." Er erwiderte darauf: „Ich bin andrer Ansicht, Herr Vorsitzender, man<lb/> muß dem Gericht möglichst wenig zu denken übrig lassen."</p><lb/> <p xml:id="ID_738"> Aber die Sache hat ueben ihrer herzlich dummen anch ihre sehr ernste Seite.<lb/> Wo soll das hinaus? Will man alles regeln, dann nimmt man dem Richter das<lb/> beste, was er hat, die Fähigkeit, neues Recht zu finden. Man macht ihn ängstlich;<lb/> er wird beim Fehlen vou gesetzlichen Bestimmungen nicht mehr neues Recht schaffen,<lb/> sondern sich ans das Fehlen berufen. Er steht dann nicht mehr — man wird<lb/> verstehn, wie das gemeint ist — über dem Gesetz, er ist sein Sklave. Und davor<lb/> möge Gott den deutschen Richterstand bewahren!</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Allerlei Gedichtetes.</head> <p xml:id="ID_739" next="#ID_740"> Unlängst schrieb mir jemand: „Was soll uns eigentlich<lb/> neue Lyrik noch sage»? jedenfalls ein ganzer Band ist mir zuviel." Ja, mir auch,<lb/> aber deu Dichtern nicht, wie es scheint, und so kommen sie immer wieder aufs<lb/> neue und bringen auch neues, wie sie meinen. Ich greife einen sehr kostbar aus¬<lb/> gestatteten Band heraus, mit einem klingenden Titel, es muß etwas schon aner¬<lb/> kanntes sein. Gewiß, der Name ist mir bekannt, einer der Glücklichen, die es nicht<lb/> „nötig" haben. Ich blättre an und lese hinein — ganz nett manches, darüber<lb/> ließe sich ein freundliches Wort sagen. Leider aber ist dem Bande ein Auszug<lb/> beigegeben ans Besprechungen früherer Dichtungen dieser Verfasserin, denn eine<lb/> solche ist es; darin wird ihr bezeugt, daß in ihr der Genius der Zeit „voll und<lb/> ganz" Gestalt angenommen habe, daß sie ein großes und reiches Talent, ja heute<lb/> wohl das bedentendste und eine der interessantesten Erscheinungen im deutschen<lb/> Dichterwalde sei, und noch sehr, sehr vieles andre. Beschämt ob meines guten<lb/> Willens lege ich den elegante» Band auf die Seite. Da könnte ich doch uicht<lb/> mitkommen, deu» so hoch kann ich nicht singen. Diese Unsterbliche braucht meine»<lb/> bescheidne» Griffel nicht mehr. Also weiter! Gedichte vou Anna Ritter (Leipzig,<lb/> Liebeskind), ein zartes Bändchen, viel anspruchsloser, einladender, indessen es bleibt<lb/> immer ein „ganzer" Band, würde mein Korrespondent sagen. Es sind alles kurze<lb/> Gedichte, nur angeschlagne Töne, wie es in der Gefühlslyrik sein soll, sehr viel<lb/> Wehmut, zerbrochnes Lebensglück in den verschiedensten Formen, trauernde, grab-<lb/> wärts gehende Selbstbetrachtung. Offenbar ist das kein erdichtetes Leid, sondern es ist<lb/> viel Erlebnis darin, und man wird sich gern dadurch bewege» lasse». Aber auch eine<lb/> andre, schelmische, epigrammatische Weise steht der Verfasserin entschieden gut: „Ge¬<lb/> tränkte Unschuld," „Größenwahn." Auch das Ernste gelingt ihr gut als bloßer Natur¬<lb/> klang ohne Seclenquälerei z. B. in einem einfache» Zwölfzeiler mit dem Schluß:<lb/> Ich steh in meinem Garten, als sollt ich wen erwarten, und geh doch niemand an.<lb/> Dann aber geht wieder die Phrase mit ihr durch: „?in Ada Negri," wo jede<lb/> einzelne Zeile eine Hyperbel enthält und mindestens einen Anschlag zu viel hat. —</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0231]
tokoll auszugsweise ausgefertigt werden, so sind in die Ausfertigung außer solchen
Teilen des Protokolls und der Anlagen, welche die Beobachtung der Förmlichkeiten
nachweisen, diejenigen Teile aufzunehmen, welche den Gegenstand betreffen, auf den
sich der Auszug beziehen soll. — Hätte der Herr Geheimrat wenigstens gesagt,
die Ausfertigung müsse außer dem betreffenden Teil die Förmlichkeiten enthalten.
Aber nein! und mau kann ihm nur die Bescheidenheit in der Begründung dieser
Bestimmung zu gute halten, wo er sagt, daß sie einer nähern Begründung nicht
bedürfen werde.
Als wir das lasen, kam uns die Bemerkung eiues Urwalds ins Gedächtnis,
der in seinem langen Vortrage von dem Vorsitzenden mit deu Worten unterbrochen
wurde: „Aber, Herr Anwalt, lassen Sie dem Gericht doch auch etwas zu denken
übrig." Er erwiderte darauf: „Ich bin andrer Ansicht, Herr Vorsitzender, man
muß dem Gericht möglichst wenig zu denken übrig lassen."
Aber die Sache hat ueben ihrer herzlich dummen anch ihre sehr ernste Seite.
Wo soll das hinaus? Will man alles regeln, dann nimmt man dem Richter das
beste, was er hat, die Fähigkeit, neues Recht zu finden. Man macht ihn ängstlich;
er wird beim Fehlen vou gesetzlichen Bestimmungen nicht mehr neues Recht schaffen,
sondern sich ans das Fehlen berufen. Er steht dann nicht mehr — man wird
verstehn, wie das gemeint ist — über dem Gesetz, er ist sein Sklave. Und davor
möge Gott den deutschen Richterstand bewahren!
Allerlei Gedichtetes. Unlängst schrieb mir jemand: „Was soll uns eigentlich
neue Lyrik noch sage»? jedenfalls ein ganzer Band ist mir zuviel." Ja, mir auch,
aber deu Dichtern nicht, wie es scheint, und so kommen sie immer wieder aufs
neue und bringen auch neues, wie sie meinen. Ich greife einen sehr kostbar aus¬
gestatteten Band heraus, mit einem klingenden Titel, es muß etwas schon aner¬
kanntes sein. Gewiß, der Name ist mir bekannt, einer der Glücklichen, die es nicht
„nötig" haben. Ich blättre an und lese hinein — ganz nett manches, darüber
ließe sich ein freundliches Wort sagen. Leider aber ist dem Bande ein Auszug
beigegeben ans Besprechungen früherer Dichtungen dieser Verfasserin, denn eine
solche ist es; darin wird ihr bezeugt, daß in ihr der Genius der Zeit „voll und
ganz" Gestalt angenommen habe, daß sie ein großes und reiches Talent, ja heute
wohl das bedentendste und eine der interessantesten Erscheinungen im deutschen
Dichterwalde sei, und noch sehr, sehr vieles andre. Beschämt ob meines guten
Willens lege ich den elegante» Band auf die Seite. Da könnte ich doch uicht
mitkommen, deu» so hoch kann ich nicht singen. Diese Unsterbliche braucht meine»
bescheidne» Griffel nicht mehr. Also weiter! Gedichte vou Anna Ritter (Leipzig,
Liebeskind), ein zartes Bändchen, viel anspruchsloser, einladender, indessen es bleibt
immer ein „ganzer" Band, würde mein Korrespondent sagen. Es sind alles kurze
Gedichte, nur angeschlagne Töne, wie es in der Gefühlslyrik sein soll, sehr viel
Wehmut, zerbrochnes Lebensglück in den verschiedensten Formen, trauernde, grab-
wärts gehende Selbstbetrachtung. Offenbar ist das kein erdichtetes Leid, sondern es ist
viel Erlebnis darin, und man wird sich gern dadurch bewege» lasse». Aber auch eine
andre, schelmische, epigrammatische Weise steht der Verfasserin entschieden gut: „Ge¬
tränkte Unschuld," „Größenwahn." Auch das Ernste gelingt ihr gut als bloßer Natur¬
klang ohne Seclenquälerei z. B. in einem einfache» Zwölfzeiler mit dem Schluß:
Ich steh in meinem Garten, als sollt ich wen erwarten, und geh doch niemand an.
Dann aber geht wieder die Phrase mit ihr durch: „?in Ada Negri," wo jede
einzelne Zeile eine Hyperbel enthält und mindestens einen Anschlag zu viel hat. —
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