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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Potemkins Dörfer

verurteilt, obwohl sie jede Zinszahlungspflicht unter Hinweis auf jene oben
wiedergegebne Vorschrift der "allgemeinen Bedingungen" bestritt, wonach sie
zur Zahlung des Brandschadens nicht früher verpflichtet sei, bevor er in ganzer
Höhe rechtskräftig festgestellt ist, sodaß sie bis dahin nicht im Zahlungsverzug,
folglich auch zur Zahlung von Zinsen nicht verpflichtet sei. Auch hier hat das
Reichsgericht jene Bestimmung der "allgemeinen Bedingungen" als den guten
Sitten widerstreitend und darum nichtig erklärt. Wie oben gezeigt, erhält die
Gesellschaft durch diese Bestimmung ein Mittel, die Zeit der Erfüllung ihrer
Verbindlichkeit beliebig hinauszuschieben, indem sie in frivoler Weise das Zu¬
standekommen einer Vereinbarung über die Schadenshöhe verhindert, den Ver¬
sicherten zur Klage nötigt und die Beendigung des Rechtsstreits verzögert.
Der Versicherte ist aber, wie das Reichsgericht hervorhebt, eben weil ihm selbst
der anerkannte Teilbetrag vorenthalten wird, oft gar nicht in der Lage, den
Rechtsschutz anzurufen und so genötigt, sich willkürliche Abzüge gefallen zu
lassen. Übrigens zeigt auch in dieser Frage die Rechtsprechung Schwankungen,
und gerade der Umstand, daß die Gesellschaften in ihren "allgemeinen Be¬
dingungen" zu so bedenklichen Mitteln greifen, um zu ihrem Vorteil die An¬
wendung klarer Rechtssätze zu vereiteln, läßt den Wunsch berechtigt erscheinen,
jede Abweichung der Gesellschaften von den Bestimmungen des allgemeinen
Rechts für unzulässig zu erklären.

(Schluß folgt)




potemkins Dörfer
Eugen lvolff i Lin Beitrag zur neusten Litteraturgeschichte vonn

um zweitenmal ist Gerhart Hauptmann der Grillparzerpreis zu¬
erkannt worden. Die Ehrung ist umso bedeutsamer, als die
Preisrichter von der philosophisch-historischen Sektion der Kaiser¬
lichen Akademie der Wissenschaften in Wien ernannt werden.
Der Dichter hatte allen Grund zu gestehen: "Was mich bei
dieser Ehrung hochgestimmt hat, liegt darin, daß sie von einer wissenschaftlichen
Körperschaft vom Range und dem Ansehen der Wiener Akademie ausgeht.
Derartige Kreise gelten im allgemeinen mit Recht oder Unrecht in Kunstdingen
für etwas zopfig und reaktionär."

Man könnte einwenden, daß die Preisrichter zum größten Teil nicht selbst
der Akademie der Wissenschaften angehören, sondern nur von ihr mit dem
Auftrag betraut sind, ein dramaturgisches Urteil zu füllen; dennoch bleibt ein


Potemkins Dörfer

verurteilt, obwohl sie jede Zinszahlungspflicht unter Hinweis auf jene oben
wiedergegebne Vorschrift der „allgemeinen Bedingungen" bestritt, wonach sie
zur Zahlung des Brandschadens nicht früher verpflichtet sei, bevor er in ganzer
Höhe rechtskräftig festgestellt ist, sodaß sie bis dahin nicht im Zahlungsverzug,
folglich auch zur Zahlung von Zinsen nicht verpflichtet sei. Auch hier hat das
Reichsgericht jene Bestimmung der „allgemeinen Bedingungen" als den guten
Sitten widerstreitend und darum nichtig erklärt. Wie oben gezeigt, erhält die
Gesellschaft durch diese Bestimmung ein Mittel, die Zeit der Erfüllung ihrer
Verbindlichkeit beliebig hinauszuschieben, indem sie in frivoler Weise das Zu¬
standekommen einer Vereinbarung über die Schadenshöhe verhindert, den Ver¬
sicherten zur Klage nötigt und die Beendigung des Rechtsstreits verzögert.
Der Versicherte ist aber, wie das Reichsgericht hervorhebt, eben weil ihm selbst
der anerkannte Teilbetrag vorenthalten wird, oft gar nicht in der Lage, den
Rechtsschutz anzurufen und so genötigt, sich willkürliche Abzüge gefallen zu
lassen. Übrigens zeigt auch in dieser Frage die Rechtsprechung Schwankungen,
und gerade der Umstand, daß die Gesellschaften in ihren „allgemeinen Be¬
dingungen" zu so bedenklichen Mitteln greifen, um zu ihrem Vorteil die An¬
wendung klarer Rechtssätze zu vereiteln, läßt den Wunsch berechtigt erscheinen,
jede Abweichung der Gesellschaften von den Bestimmungen des allgemeinen
Rechts für unzulässig zu erklären.

(Schluß folgt)




potemkins Dörfer
Eugen lvolff i Lin Beitrag zur neusten Litteraturgeschichte vonn

um zweitenmal ist Gerhart Hauptmann der Grillparzerpreis zu¬
erkannt worden. Die Ehrung ist umso bedeutsamer, als die
Preisrichter von der philosophisch-historischen Sektion der Kaiser¬
lichen Akademie der Wissenschaften in Wien ernannt werden.
Der Dichter hatte allen Grund zu gestehen: „Was mich bei
dieser Ehrung hochgestimmt hat, liegt darin, daß sie von einer wissenschaftlichen
Körperschaft vom Range und dem Ansehen der Wiener Akademie ausgeht.
Derartige Kreise gelten im allgemeinen mit Recht oder Unrecht in Kunstdingen
für etwas zopfig und reaktionär."

Man könnte einwenden, daß die Preisrichter zum größten Teil nicht selbst
der Akademie der Wissenschaften angehören, sondern nur von ihr mit dem
Auftrag betraut sind, ein dramaturgisches Urteil zu füllen; dennoch bleibt ein


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[0546] Potemkins Dörfer verurteilt, obwohl sie jede Zinszahlungspflicht unter Hinweis auf jene oben wiedergegebne Vorschrift der „allgemeinen Bedingungen" bestritt, wonach sie zur Zahlung des Brandschadens nicht früher verpflichtet sei, bevor er in ganzer Höhe rechtskräftig festgestellt ist, sodaß sie bis dahin nicht im Zahlungsverzug, folglich auch zur Zahlung von Zinsen nicht verpflichtet sei. Auch hier hat das Reichsgericht jene Bestimmung der „allgemeinen Bedingungen" als den guten Sitten widerstreitend und darum nichtig erklärt. Wie oben gezeigt, erhält die Gesellschaft durch diese Bestimmung ein Mittel, die Zeit der Erfüllung ihrer Verbindlichkeit beliebig hinauszuschieben, indem sie in frivoler Weise das Zu¬ standekommen einer Vereinbarung über die Schadenshöhe verhindert, den Ver¬ sicherten zur Klage nötigt und die Beendigung des Rechtsstreits verzögert. Der Versicherte ist aber, wie das Reichsgericht hervorhebt, eben weil ihm selbst der anerkannte Teilbetrag vorenthalten wird, oft gar nicht in der Lage, den Rechtsschutz anzurufen und so genötigt, sich willkürliche Abzüge gefallen zu lassen. Übrigens zeigt auch in dieser Frage die Rechtsprechung Schwankungen, und gerade der Umstand, daß die Gesellschaften in ihren „allgemeinen Be¬ dingungen" zu so bedenklichen Mitteln greifen, um zu ihrem Vorteil die An¬ wendung klarer Rechtssätze zu vereiteln, läßt den Wunsch berechtigt erscheinen, jede Abweichung der Gesellschaften von den Bestimmungen des allgemeinen Rechts für unzulässig zu erklären. (Schluß folgt) potemkins Dörfer Eugen lvolff i Lin Beitrag zur neusten Litteraturgeschichte vonn um zweitenmal ist Gerhart Hauptmann der Grillparzerpreis zu¬ erkannt worden. Die Ehrung ist umso bedeutsamer, als die Preisrichter von der philosophisch-historischen Sektion der Kaiser¬ lichen Akademie der Wissenschaften in Wien ernannt werden. Der Dichter hatte allen Grund zu gestehen: „Was mich bei dieser Ehrung hochgestimmt hat, liegt darin, daß sie von einer wissenschaftlichen Körperschaft vom Range und dem Ansehen der Wiener Akademie ausgeht. Derartige Kreise gelten im allgemeinen mit Recht oder Unrecht in Kunstdingen für etwas zopfig und reaktionär." Man könnte einwenden, daß die Preisrichter zum größten Teil nicht selbst der Akademie der Wissenschaften angehören, sondern nur von ihr mit dem Auftrag betraut sind, ein dramaturgisches Urteil zu füllen; dennoch bleibt ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/546>, abgerufen am 03.07.2024.