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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Er fühlte sie unter seiner Hand schaudern. Da war es wieder, was sie eben
in dieser Umarmung vergessen gehabt hatte: ihr Gebet um Vernichtung des goldnen
Engels, der feurige Hammer und das elende Schuldgefühl, das ihr im Herzen
brannte, trotz alles Wehreus von Vernunft und Glauben.

Gott thut, was gut ist, nicht wahr? Und wenn wir uns die Hände wund
flehen, er läßt uns nichts zu Willen geschehen, was gegen seinen Willen ist?

Karl ließ die Schwester los und sah sie zweifelnd an, er begriff nicht, was
sie meinte, noch weniger, was sie gerade jetzt damit wollte: er sah immer nnr
zwei Bilder vor Angen: den goldnen Engel oben in seinem Siegesslng, und den
toten Vater unter in dem Gewirre von Seilen und Fetzen,

Schwerfällig antwortete er: Gott thut, was gut ist -- ja Line, wir wollen
uns Mühe geben, das zu glaube", es ist die beste Brücke, die man sich schlagen kann.

Sie hatte gefragt und hörte doch die Autwort uicht, ihre Gedanken sprangen
Plötzlich ab: sie fühlte die Nässe seines Rocks und erinnerte sich, weshalb sie von
Ackermann weggegangen war. Nur ein Wort brauchte sie, um deu Bruder willig
zu machen; todmüde von Anstrengung und Erregung ließ er sich von ihr helfen
und hegen wie ein kleines Kind. Er wurde sich kaum bewußt, daß sie ihn in
ihren Alkoven bettete, in den die erfrischte Luft durch deu leichten Vorhang ein¬
drang, er schlief, ehe sie noch mit ihrer Sorge für seine Bequemlichkeit zu Ende war.

Daun ging sie noch einmal hinunter zu dem Freunde.

Aber selbstverständlich, Frciuleiu Line, der Ackermann besorgt alles, was besorgt
werden muß. -- Und nehmen Sie sich Frau Flörke mit hinauf!

Frau Flörke, die nicht schweigen kann, Frau Flörke, die ihre Nebenmenschen
mit weisen Anmerümgen peinigt?

Ackermann sah ein, daß einem Frau Flörke weher thun konnte als die Ein¬
samkeit.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
"Allerlei Intimes vom Kaiser."

Unter dieser Spitzmarke machte kürzlich
die Tischrede eines nltpreußischen Landrath, von Kotze, die Runde durch die Zei¬
tungen, in der dieser höhere Verwaltungsbeamte an des Kaisers Geburtstag eine
Reihe ihm ans privatem Wege bekannt gewordne Äußerungen und Handlungen des
Monarchen aus dem letzten Jahre zum besten gegeben hat. Unter andern: soll
dabei Herr von Kotze auch bemerkt haben, daß nach seinen Informationen die Ans-
weisnngspolitik des Herrn von Köller, die straffe Haltung der Regierung gegenüber
den Anmaßungen des Polentums und die bisherige Nichtbestätigung des Berliner
Oberbürgermeisters auf die "eigne Initiative des Kaisers" zurückzuführen seien. In
letzter Sache -- so soll der Landrat hinzugefügt haben -- sei es überhaupt wahr¬
scheinlich, daß der neue Oberbürgermeister der Reichshauptstadt nicht bestätigt
werden würde, da die bekannten Beschlüsse der freisinnigen Stadtvertretnng über
die Ehrung der "Märzgefallnen" den Kaiser sehr verstimmt hätten und diese den


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Er fühlte sie unter seiner Hand schaudern. Da war es wieder, was sie eben
in dieser Umarmung vergessen gehabt hatte: ihr Gebet um Vernichtung des goldnen
Engels, der feurige Hammer und das elende Schuldgefühl, das ihr im Herzen
brannte, trotz alles Wehreus von Vernunft und Glauben.

Gott thut, was gut ist, nicht wahr? Und wenn wir uns die Hände wund
flehen, er läßt uns nichts zu Willen geschehen, was gegen seinen Willen ist?

Karl ließ die Schwester los und sah sie zweifelnd an, er begriff nicht, was
sie meinte, noch weniger, was sie gerade jetzt damit wollte: er sah immer nnr
zwei Bilder vor Angen: den goldnen Engel oben in seinem Siegesslng, und den
toten Vater unter in dem Gewirre von Seilen und Fetzen,

Schwerfällig antwortete er: Gott thut, was gut ist — ja Line, wir wollen
uns Mühe geben, das zu glaube», es ist die beste Brücke, die man sich schlagen kann.

Sie hatte gefragt und hörte doch die Autwort uicht, ihre Gedanken sprangen
Plötzlich ab: sie fühlte die Nässe seines Rocks und erinnerte sich, weshalb sie von
Ackermann weggegangen war. Nur ein Wort brauchte sie, um deu Bruder willig
zu machen; todmüde von Anstrengung und Erregung ließ er sich von ihr helfen
und hegen wie ein kleines Kind. Er wurde sich kaum bewußt, daß sie ihn in
ihren Alkoven bettete, in den die erfrischte Luft durch deu leichten Vorhang ein¬
drang, er schlief, ehe sie noch mit ihrer Sorge für seine Bequemlichkeit zu Ende war.

Daun ging sie noch einmal hinunter zu dem Freunde.

Aber selbstverständlich, Frciuleiu Line, der Ackermann besorgt alles, was besorgt
werden muß. — Und nehmen Sie sich Frau Flörke mit hinauf!

Frau Flörke, die nicht schweigen kann, Frau Flörke, die ihre Nebenmenschen
mit weisen Anmerümgen peinigt?

Ackermann sah ein, daß einem Frau Flörke weher thun konnte als die Ein¬
samkeit.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
„Allerlei Intimes vom Kaiser."

Unter dieser Spitzmarke machte kürzlich
die Tischrede eines nltpreußischen Landrath, von Kotze, die Runde durch die Zei¬
tungen, in der dieser höhere Verwaltungsbeamte an des Kaisers Geburtstag eine
Reihe ihm ans privatem Wege bekannt gewordne Äußerungen und Handlungen des
Monarchen aus dem letzten Jahre zum besten gegeben hat. Unter andern: soll
dabei Herr von Kotze auch bemerkt haben, daß nach seinen Informationen die Ans-
weisnngspolitik des Herrn von Köller, die straffe Haltung der Regierung gegenüber
den Anmaßungen des Polentums und die bisherige Nichtbestätigung des Berliner
Oberbürgermeisters auf die „eigne Initiative des Kaisers" zurückzuführen seien. In
letzter Sache — so soll der Landrat hinzugefügt haben — sei es überhaupt wahr¬
scheinlich, daß der neue Oberbürgermeister der Reichshauptstadt nicht bestätigt
werden würde, da die bekannten Beschlüsse der freisinnigen Stadtvertretnng über
die Ehrung der „Märzgefallnen" den Kaiser sehr verstimmt hätten und diese den


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[0405] Maßgebliches und Unmaßgebliches Er fühlte sie unter seiner Hand schaudern. Da war es wieder, was sie eben in dieser Umarmung vergessen gehabt hatte: ihr Gebet um Vernichtung des goldnen Engels, der feurige Hammer und das elende Schuldgefühl, das ihr im Herzen brannte, trotz alles Wehreus von Vernunft und Glauben. Gott thut, was gut ist, nicht wahr? Und wenn wir uns die Hände wund flehen, er läßt uns nichts zu Willen geschehen, was gegen seinen Willen ist? Karl ließ die Schwester los und sah sie zweifelnd an, er begriff nicht, was sie meinte, noch weniger, was sie gerade jetzt damit wollte: er sah immer nnr zwei Bilder vor Angen: den goldnen Engel oben in seinem Siegesslng, und den toten Vater unter in dem Gewirre von Seilen und Fetzen, Schwerfällig antwortete er: Gott thut, was gut ist — ja Line, wir wollen uns Mühe geben, das zu glaube», es ist die beste Brücke, die man sich schlagen kann. Sie hatte gefragt und hörte doch die Autwort uicht, ihre Gedanken sprangen Plötzlich ab: sie fühlte die Nässe seines Rocks und erinnerte sich, weshalb sie von Ackermann weggegangen war. Nur ein Wort brauchte sie, um deu Bruder willig zu machen; todmüde von Anstrengung und Erregung ließ er sich von ihr helfen und hegen wie ein kleines Kind. Er wurde sich kaum bewußt, daß sie ihn in ihren Alkoven bettete, in den die erfrischte Luft durch deu leichten Vorhang ein¬ drang, er schlief, ehe sie noch mit ihrer Sorge für seine Bequemlichkeit zu Ende war. Daun ging sie noch einmal hinunter zu dem Freunde. Aber selbstverständlich, Frciuleiu Line, der Ackermann besorgt alles, was besorgt werden muß. — Und nehmen Sie sich Frau Flörke mit hinauf! Frau Flörke, die nicht schweigen kann, Frau Flörke, die ihre Nebenmenschen mit weisen Anmerümgen peinigt? Ackermann sah ein, daß einem Frau Flörke weher thun konnte als die Ein¬ samkeit. (Fortsetzung folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches „Allerlei Intimes vom Kaiser." Unter dieser Spitzmarke machte kürzlich die Tischrede eines nltpreußischen Landrath, von Kotze, die Runde durch die Zei¬ tungen, in der dieser höhere Verwaltungsbeamte an des Kaisers Geburtstag eine Reihe ihm ans privatem Wege bekannt gewordne Äußerungen und Handlungen des Monarchen aus dem letzten Jahre zum besten gegeben hat. Unter andern: soll dabei Herr von Kotze auch bemerkt haben, daß nach seinen Informationen die Ans- weisnngspolitik des Herrn von Köller, die straffe Haltung der Regierung gegenüber den Anmaßungen des Polentums und die bisherige Nichtbestätigung des Berliner Oberbürgermeisters auf die „eigne Initiative des Kaisers" zurückzuführen seien. In letzter Sache — so soll der Landrat hinzugefügt haben — sei es überhaupt wahr¬ scheinlich, daß der neue Oberbürgermeister der Reichshauptstadt nicht bestätigt werden würde, da die bekannten Beschlüsse der freisinnigen Stadtvertretnng über die Ehrung der „Märzgefallnen" den Kaiser sehr verstimmt hätten und diese den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/405>, abgerufen am 03.07.2024.