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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Der goldne Lugel

oberst Sipthvrp gliche zu verlvechseln init dem berühmten Botaniker dieses Namens),
hatte unermüdlich Schilderungen der furchtbaren Gefahren entworfen, denen Gottes¬
furcht und gute Sitte Alteuglcmds durch den Einbruch unerzogner, ungläubiger,
schmutziger Ausländer ausgesetzt sein würden. Und wenn auch die festgewurzelte
Überzeugung von der Überlegenheit alles Englischen durch ihn nicht erschüttert war,
hatte man doch ein Zugeständnis durch Einführung der festländischen Paßkontrolle
für nicht überflüssig gehalten. Infolgedessen erkundigte sich auf der Landungsbrücke
von Catheriuedocks ein Beamter nach den Legitimationen der Reisenden, nahm die
Pässe in Empfang, ließ aber die meist schon durch den Bartschuitt kenntlichen Fran¬
zosen, die kurz antworteten: RötugieU ohne weiteres ihrer Wege gehen. Wir
andern hatten in dem Bureau geraume Zeit zu warten, bis die angelsächsisch ver¬
unstaltete" deutschen Namen aufgerufen wurden; vermutlich unterhielt es die Be¬
amten, die deutschen Pässe mit ihren umständlichen Personbeschreibungen und sonstigen
Weitläufigkeiten zu studieren. Eine gedruckte Aufforderung, beim Verlassen der
Insel sich wieder zu melden, war das Ergebnis der Revision. Als wir wieder
auf die Gasse kamen, waren alle Lohnfuhrwerke bereits verschwunden, und jeder
hatte not, wenigstens Träger für sei" Gepäck aufzutreiben, was mir besonders
schwer fiel, da ich vom äußersten Osten in den damals äußersten Norden Londons,
in einen neuen Anbau von Jslington mußte. Der Marsch war laug und beschwerlich
genug bei kräftigem Sonnenschein und in der für die Seefahrt noch unentbehrlichen
Winterkleidung, und ich mußte der alten Anekdote von einem Dresdner Polizisten
gedenken, der einem paßlosen Reisenden sagte, er könne froh sein, denn mit einem
Passe würde er viel S.l/rerei gehabt haben. Vorläufig gelobte ich mir, bei der
Abreise von dem Passe keinen Gebrauch zu macheu. Und als es mir am folgenden
Morgen endlich gelungen war, den Schlaf aus deu Augen zu reiben, genoß ich
vor allem das Bewußtsein, der väterlichen Fürsorge der festländischen Regierer für
einige Zeit entrückt zu sein.




Der goldne Lngel
Luise Glaß Erzählung von
(Fortsetzung)

me stand still und sah ihm nach. Ihr war besser zu Mute als
vorhin, sie hatte sich die Erregung, die sie erwürgen wollte, vom
Halse geredet, sie hörte und sah wieder, was um sie her vorging,
horte Frau Flörke im Waschhaus hantieren und das Lachen der
Ackermannschen Buben, die mit Katapulten von der Stadtmauer aus
nach den letzten Kastanien schössen, die der Wind den mächtigen Vor¬
stadtbäumen gelassen hatte.

Da stieg sie hinunter, machte straffe Ordnung unter den Knaben, daß sie halb
lachend, halb beschämt von ihrem Unfug abließen, und sagte zu Ackermann, der
schmunzelnd in der Hofthür stand: Nichts für ungut.


Der goldne Lugel

oberst Sipthvrp gliche zu verlvechseln init dem berühmten Botaniker dieses Namens),
hatte unermüdlich Schilderungen der furchtbaren Gefahren entworfen, denen Gottes¬
furcht und gute Sitte Alteuglcmds durch den Einbruch unerzogner, ungläubiger,
schmutziger Ausländer ausgesetzt sein würden. Und wenn auch die festgewurzelte
Überzeugung von der Überlegenheit alles Englischen durch ihn nicht erschüttert war,
hatte man doch ein Zugeständnis durch Einführung der festländischen Paßkontrolle
für nicht überflüssig gehalten. Infolgedessen erkundigte sich auf der Landungsbrücke
von Catheriuedocks ein Beamter nach den Legitimationen der Reisenden, nahm die
Pässe in Empfang, ließ aber die meist schon durch den Bartschuitt kenntlichen Fran¬
zosen, die kurz antworteten: RötugieU ohne weiteres ihrer Wege gehen. Wir
andern hatten in dem Bureau geraume Zeit zu warten, bis die angelsächsisch ver¬
unstaltete» deutschen Namen aufgerufen wurden; vermutlich unterhielt es die Be¬
amten, die deutschen Pässe mit ihren umständlichen Personbeschreibungen und sonstigen
Weitläufigkeiten zu studieren. Eine gedruckte Aufforderung, beim Verlassen der
Insel sich wieder zu melden, war das Ergebnis der Revision. Als wir wieder
auf die Gasse kamen, waren alle Lohnfuhrwerke bereits verschwunden, und jeder
hatte not, wenigstens Träger für sei» Gepäck aufzutreiben, was mir besonders
schwer fiel, da ich vom äußersten Osten in den damals äußersten Norden Londons,
in einen neuen Anbau von Jslington mußte. Der Marsch war laug und beschwerlich
genug bei kräftigem Sonnenschein und in der für die Seefahrt noch unentbehrlichen
Winterkleidung, und ich mußte der alten Anekdote von einem Dresdner Polizisten
gedenken, der einem paßlosen Reisenden sagte, er könne froh sein, denn mit einem
Passe würde er viel S.l/rerei gehabt haben. Vorläufig gelobte ich mir, bei der
Abreise von dem Passe keinen Gebrauch zu macheu. Und als es mir am folgenden
Morgen endlich gelungen war, den Schlaf aus deu Augen zu reiben, genoß ich
vor allem das Bewußtsein, der väterlichen Fürsorge der festländischen Regierer für
einige Zeit entrückt zu sein.




Der goldne Lngel
Luise Glaß Erzählung von
(Fortsetzung)

me stand still und sah ihm nach. Ihr war besser zu Mute als
vorhin, sie hatte sich die Erregung, die sie erwürgen wollte, vom
Halse geredet, sie hörte und sah wieder, was um sie her vorging,
horte Frau Flörke im Waschhaus hantieren und das Lachen der
Ackermannschen Buben, die mit Katapulten von der Stadtmauer aus
nach den letzten Kastanien schössen, die der Wind den mächtigen Vor¬
stadtbäumen gelassen hatte.

Da stieg sie hinunter, machte straffe Ordnung unter den Knaben, daß sie halb
lachend, halb beschämt von ihrem Unfug abließen, und sagte zu Ackermann, der
schmunzelnd in der Hofthür stand: Nichts für ungut.


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[0227] Der goldne Lugel oberst Sipthvrp gliche zu verlvechseln init dem berühmten Botaniker dieses Namens), hatte unermüdlich Schilderungen der furchtbaren Gefahren entworfen, denen Gottes¬ furcht und gute Sitte Alteuglcmds durch den Einbruch unerzogner, ungläubiger, schmutziger Ausländer ausgesetzt sein würden. Und wenn auch die festgewurzelte Überzeugung von der Überlegenheit alles Englischen durch ihn nicht erschüttert war, hatte man doch ein Zugeständnis durch Einführung der festländischen Paßkontrolle für nicht überflüssig gehalten. Infolgedessen erkundigte sich auf der Landungsbrücke von Catheriuedocks ein Beamter nach den Legitimationen der Reisenden, nahm die Pässe in Empfang, ließ aber die meist schon durch den Bartschuitt kenntlichen Fran¬ zosen, die kurz antworteten: RötugieU ohne weiteres ihrer Wege gehen. Wir andern hatten in dem Bureau geraume Zeit zu warten, bis die angelsächsisch ver¬ unstaltete» deutschen Namen aufgerufen wurden; vermutlich unterhielt es die Be¬ amten, die deutschen Pässe mit ihren umständlichen Personbeschreibungen und sonstigen Weitläufigkeiten zu studieren. Eine gedruckte Aufforderung, beim Verlassen der Insel sich wieder zu melden, war das Ergebnis der Revision. Als wir wieder auf die Gasse kamen, waren alle Lohnfuhrwerke bereits verschwunden, und jeder hatte not, wenigstens Träger für sei» Gepäck aufzutreiben, was mir besonders schwer fiel, da ich vom äußersten Osten in den damals äußersten Norden Londons, in einen neuen Anbau von Jslington mußte. Der Marsch war laug und beschwerlich genug bei kräftigem Sonnenschein und in der für die Seefahrt noch unentbehrlichen Winterkleidung, und ich mußte der alten Anekdote von einem Dresdner Polizisten gedenken, der einem paßlosen Reisenden sagte, er könne froh sein, denn mit einem Passe würde er viel S.l/rerei gehabt haben. Vorläufig gelobte ich mir, bei der Abreise von dem Passe keinen Gebrauch zu macheu. Und als es mir am folgenden Morgen endlich gelungen war, den Schlaf aus deu Augen zu reiben, genoß ich vor allem das Bewußtsein, der väterlichen Fürsorge der festländischen Regierer für einige Zeit entrückt zu sein. Der goldne Lngel Luise Glaß Erzählung von (Fortsetzung) me stand still und sah ihm nach. Ihr war besser zu Mute als vorhin, sie hatte sich die Erregung, die sie erwürgen wollte, vom Halse geredet, sie hörte und sah wieder, was um sie her vorging, horte Frau Flörke im Waschhaus hantieren und das Lachen der Ackermannschen Buben, die mit Katapulten von der Stadtmauer aus nach den letzten Kastanien schössen, die der Wind den mächtigen Vor¬ stadtbäumen gelassen hatte. Da stieg sie hinunter, machte straffe Ordnung unter den Knaben, daß sie halb lachend, halb beschämt von ihrem Unfug abließen, und sagte zu Ackermann, der schmunzelnd in der Hofthür stand: Nichts für ungut.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/227>, abgerufen am 23.07.2024.