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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Die Deportationsfrage vor dem deutschen Juristentage
in j)osen Felix Friedrich Bruck von

^I er diesjährige deutsche Juristentag in Posen hat die Frage, ob
sich die Deportation als Strafmittel in unsern Kolonien empfehle,
abgelehnt. Da ich als bestellter Referent in dieser Frage durch
Krankheit am Erscheinen verhindert war, so hatte ich dem Juristen-
tage ein schriftliches Referat eingereicht. Ich lasse es hier im
Wortlaute folgen, um ein Urteil über den Wert der gegnerischen Einwendungen
M ermöglichen:

Ein rationelles Strafmittel muß so beschaffen sein, daß es erstens
°en Staat oder die Gesellschaft gegen den Verbrecher sichert, zweitens die
Person, die ein Verbrechen plant, von der Begehung abschreckt und drittens
auf den Verbrecher erziehend einwirkt. Die Freiheitsstrafen entsprechen diesen
Anforderungen durchaus uicht, ja man kann ohne Übertreibung sagen: das
herrschende System der Freiheitsstrafen hat völlig bankrott gemacht. Dies er¬
geben unwiderleglich die Rückfallsstatistikeu aller Kulturländer.

Nach dem soeben erschienenen statistischen Jahrbuch des Deutschen Reichs
betrug die Zahl der im Jahre 1895 Vorbestraften: 172169 37.9 Prozent, im
Jahre 1896 dagegen: 177 574 38,9 Prozent der Gesamtheit der Verurteilten.
Seit 1892 ist der Prozentsatz um 4,2, die absolute Zahl der Vorbestraften
beinahe um 31000 gestiegen. Diese Zahlen bedürfen keines Kommentars.
Wir stehen dem Zeitpunkte nicht mehr fern, wo die Hälfte der Verurteilten
eines Jahres ans Vorbestraften bestehen wird. Der Grund für dieses traurige
Ergebnis liegt in den klar zu Tage tretenden Mängeln der Freiheitsstrafen,
besonders die langjährigen und entehrenden Freiheitsstrafen leiden an dem


Grenzboten IV 1898 , "3


Die Deportationsfrage vor dem deutschen Juristentage
in j)osen Felix Friedrich Bruck von

^I er diesjährige deutsche Juristentag in Posen hat die Frage, ob
sich die Deportation als Strafmittel in unsern Kolonien empfehle,
abgelehnt. Da ich als bestellter Referent in dieser Frage durch
Krankheit am Erscheinen verhindert war, so hatte ich dem Juristen-
tage ein schriftliches Referat eingereicht. Ich lasse es hier im
Wortlaute folgen, um ein Urteil über den Wert der gegnerischen Einwendungen
M ermöglichen:

Ein rationelles Strafmittel muß so beschaffen sein, daß es erstens
°en Staat oder die Gesellschaft gegen den Verbrecher sichert, zweitens die
Person, die ein Verbrechen plant, von der Begehung abschreckt und drittens
auf den Verbrecher erziehend einwirkt. Die Freiheitsstrafen entsprechen diesen
Anforderungen durchaus uicht, ja man kann ohne Übertreibung sagen: das
herrschende System der Freiheitsstrafen hat völlig bankrott gemacht. Dies er¬
geben unwiderleglich die Rückfallsstatistikeu aller Kulturländer.

Nach dem soeben erschienenen statistischen Jahrbuch des Deutschen Reichs
betrug die Zahl der im Jahre 1895 Vorbestraften: 172169 37.9 Prozent, im
Jahre 1896 dagegen: 177 574 38,9 Prozent der Gesamtheit der Verurteilten.
Seit 1892 ist der Prozentsatz um 4,2, die absolute Zahl der Vorbestraften
beinahe um 31000 gestiegen. Diese Zahlen bedürfen keines Kommentars.
Wir stehen dem Zeitpunkte nicht mehr fern, wo die Hälfte der Verurteilten
eines Jahres ans Vorbestraften bestehen wird. Der Grund für dieses traurige
Ergebnis liegt in den klar zu Tage tretenden Mängeln der Freiheitsstrafen,
besonders die langjährigen und entehrenden Freiheitsstrafen leiden an dem


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[0508] [Abbildung] Die Deportationsfrage vor dem deutschen Juristentage in j)osen Felix Friedrich Bruck von ^I er diesjährige deutsche Juristentag in Posen hat die Frage, ob sich die Deportation als Strafmittel in unsern Kolonien empfehle, abgelehnt. Da ich als bestellter Referent in dieser Frage durch Krankheit am Erscheinen verhindert war, so hatte ich dem Juristen- tage ein schriftliches Referat eingereicht. Ich lasse es hier im Wortlaute folgen, um ein Urteil über den Wert der gegnerischen Einwendungen M ermöglichen: Ein rationelles Strafmittel muß so beschaffen sein, daß es erstens °en Staat oder die Gesellschaft gegen den Verbrecher sichert, zweitens die Person, die ein Verbrechen plant, von der Begehung abschreckt und drittens auf den Verbrecher erziehend einwirkt. Die Freiheitsstrafen entsprechen diesen Anforderungen durchaus uicht, ja man kann ohne Übertreibung sagen: das herrschende System der Freiheitsstrafen hat völlig bankrott gemacht. Dies er¬ geben unwiderleglich die Rückfallsstatistikeu aller Kulturländer. Nach dem soeben erschienenen statistischen Jahrbuch des Deutschen Reichs betrug die Zahl der im Jahre 1895 Vorbestraften: 172169 37.9 Prozent, im Jahre 1896 dagegen: 177 574 38,9 Prozent der Gesamtheit der Verurteilten. Seit 1892 ist der Prozentsatz um 4,2, die absolute Zahl der Vorbestraften beinahe um 31000 gestiegen. Diese Zahlen bedürfen keines Kommentars. Wir stehen dem Zeitpunkte nicht mehr fern, wo die Hälfte der Verurteilten eines Jahres ans Vorbestraften bestehen wird. Der Grund für dieses traurige Ergebnis liegt in den klar zu Tage tretenden Mängeln der Freiheitsstrafen, besonders die langjährigen und entehrenden Freiheitsstrafen leiden an dem Grenzboten IV 1898 , «3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/508>, abgerufen am 12.12.2024.