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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr.

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Viktoria!

flogen, das Verlöbnis wird gelöst, und so haben Kochkunst und Philosophie
im Vnnde ein unkundiges Menschenkind vor einem wahrscheinlich unglücklichen
Leben bewahrt.




Viktoria!
Wilhelm Rolfs von

tolz und wehmütig hatte der große Künstler die letzte seiner Sieges¬
göttinnen aus der Werkstatt fortgehen sehen. Hoch oben im Waldes¬
dunkel über dem sagenumwobnen deutscheu Strom hatte der kunst¬
sinnige König ihnen eine prachtvolle Stätte erbaut, die sie schmücken
und deren höchster Ruhm sie werden sollten,

Ruhm! Er hatte ihn. Die Höchsten der Erde sandten ihm
Ordenszeichen nud Auftrage, die Künstler verehrten thu als ihr uubestrittncs Ober¬
haupt, und das Volk jubelte ihm zu, wie es von alters her dem Vielgerühmten
zujauchzt. Er war berühmt, sein Name ging stolz durch die Lande, und jene
herrlichen Siegesgöttinnen, die die königliche Walhalla schmückten, waren sein Bestes,
das er zu geben vermochte. Und nun quälte ihn der Zweifel: würde sein Name
dauern s,ore. xoreunius; würde man ihn auch noch nach Jahrtausenden zu den
Großen zählen, wie man einen Praxiteles und eiuen Skopas und die vielen herr¬
lichen Griechen dazu zählte, selbst wenn man ihre Werke nicht mehr schauen durste?
Würden seine Viktorien, wenn der Klang seines Namens in dem Gewirr und Ge¬
räusch der Tausende, deren vordringlicher Lärm selbst vor dem Richterstuhl der
Geschichte oft erfolgreicher bleibt als der stolze, stille Ruhm des Echten, wenn sein
Name verklungen war im weiten, weiten All -- würden dann seine Werke noch
stir ihn reden und sprechen: Das war ein Großer, der das geschaffen?

Nachdenklich setzte er sich nieder und starrte ins Leere. Vor ihm tauchte ein
Vild auf: ein weibliches Haupt; darauf die großen ernsten Blätter eines Eichen¬
kranzes. Wie mannigfaltig hatte er in den stolzen Figuren, die nun in dem hellen
griechischen Bau hoch oben über der Donau aufgestellt waren, den Sieg, den
gewaltigen, den jubelnden, den leuchtenden, den gerechten Sieg zu verkörpern ge¬
wußt! Eine jede Gestalt anders im klassisch fließenden Gewände, und doch ein
doller Akkord ans der schwellenden Symphonie des Sieges des Lichts über die
Finsternis, der Kraft über die schleichende Schwäche, der Gerechtigkeit über Tücke
und Lug und Trug; eine jede der neue Ausdruck gewaltiger deutscher Kllnstlerkraft,
des Herrschens, der Macht; und nicht bloß dies, sondern auch des mit aller
göttlichen Macht verbundnen Menschlichen, der höchsten Tugend, um deren Preis
Götter und Menschen sich streiten: des allumfassenden, des segnenden Mitleids.

Und wie anders nun das Bild, das sich in dem Sonncngewebe der staubigen
Werkstatt vor dem geistigen Auge zeigte. Auch eine Viktoria; noch eine Sieges¬
göttin -- da er doch mehr als einmal gemeint hatte, den ganzen Quell seiner
künstlerischen Gedanken geleert zu haben mit den sechs Gestalten in jener hellen
Traumburg des Griechentums eines deutscheu Königs!


Grenzboten IV 1898 27
Viktoria!

flogen, das Verlöbnis wird gelöst, und so haben Kochkunst und Philosophie
im Vnnde ein unkundiges Menschenkind vor einem wahrscheinlich unglücklichen
Leben bewahrt.




Viktoria!
Wilhelm Rolfs von

tolz und wehmütig hatte der große Künstler die letzte seiner Sieges¬
göttinnen aus der Werkstatt fortgehen sehen. Hoch oben im Waldes¬
dunkel über dem sagenumwobnen deutscheu Strom hatte der kunst¬
sinnige König ihnen eine prachtvolle Stätte erbaut, die sie schmücken
und deren höchster Ruhm sie werden sollten,

Ruhm! Er hatte ihn. Die Höchsten der Erde sandten ihm
Ordenszeichen nud Auftrage, die Künstler verehrten thu als ihr uubestrittncs Ober¬
haupt, und das Volk jubelte ihm zu, wie es von alters her dem Vielgerühmten
zujauchzt. Er war berühmt, sein Name ging stolz durch die Lande, und jene
herrlichen Siegesgöttinnen, die die königliche Walhalla schmückten, waren sein Bestes,
das er zu geben vermochte. Und nun quälte ihn der Zweifel: würde sein Name
dauern s,ore. xoreunius; würde man ihn auch noch nach Jahrtausenden zu den
Großen zählen, wie man einen Praxiteles und eiuen Skopas und die vielen herr¬
lichen Griechen dazu zählte, selbst wenn man ihre Werke nicht mehr schauen durste?
Würden seine Viktorien, wenn der Klang seines Namens in dem Gewirr und Ge¬
räusch der Tausende, deren vordringlicher Lärm selbst vor dem Richterstuhl der
Geschichte oft erfolgreicher bleibt als der stolze, stille Ruhm des Echten, wenn sein
Name verklungen war im weiten, weiten All — würden dann seine Werke noch
stir ihn reden und sprechen: Das war ein Großer, der das geschaffen?

Nachdenklich setzte er sich nieder und starrte ins Leere. Vor ihm tauchte ein
Vild auf: ein weibliches Haupt; darauf die großen ernsten Blätter eines Eichen¬
kranzes. Wie mannigfaltig hatte er in den stolzen Figuren, die nun in dem hellen
griechischen Bau hoch oben über der Donau aufgestellt waren, den Sieg, den
gewaltigen, den jubelnden, den leuchtenden, den gerechten Sieg zu verkörpern ge¬
wußt! Eine jede Gestalt anders im klassisch fließenden Gewände, und doch ein
doller Akkord ans der schwellenden Symphonie des Sieges des Lichts über die
Finsternis, der Kraft über die schleichende Schwäche, der Gerechtigkeit über Tücke
und Lug und Trug; eine jede der neue Ausdruck gewaltiger deutscher Kllnstlerkraft,
des Herrschens, der Macht; und nicht bloß dies, sondern auch des mit aller
göttlichen Macht verbundnen Menschlichen, der höchsten Tugend, um deren Preis
Götter und Menschen sich streiten: des allumfassenden, des segnenden Mitleids.

Und wie anders nun das Bild, das sich in dem Sonncngewebe der staubigen
Werkstatt vor dem geistigen Auge zeigte. Auch eine Viktoria; noch eine Sieges¬
göttin — da er doch mehr als einmal gemeint hatte, den ganzen Quell seiner
künstlerischen Gedanken geleert zu haben mit den sechs Gestalten in jener hellen
Traumburg des Griechentums eines deutscheu Königs!


Grenzboten IV 1898 27
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[0220] Viktoria! flogen, das Verlöbnis wird gelöst, und so haben Kochkunst und Philosophie im Vnnde ein unkundiges Menschenkind vor einem wahrscheinlich unglücklichen Leben bewahrt. Viktoria! Wilhelm Rolfs von tolz und wehmütig hatte der große Künstler die letzte seiner Sieges¬ göttinnen aus der Werkstatt fortgehen sehen. Hoch oben im Waldes¬ dunkel über dem sagenumwobnen deutscheu Strom hatte der kunst¬ sinnige König ihnen eine prachtvolle Stätte erbaut, die sie schmücken und deren höchster Ruhm sie werden sollten, Ruhm! Er hatte ihn. Die Höchsten der Erde sandten ihm Ordenszeichen nud Auftrage, die Künstler verehrten thu als ihr uubestrittncs Ober¬ haupt, und das Volk jubelte ihm zu, wie es von alters her dem Vielgerühmten zujauchzt. Er war berühmt, sein Name ging stolz durch die Lande, und jene herrlichen Siegesgöttinnen, die die königliche Walhalla schmückten, waren sein Bestes, das er zu geben vermochte. Und nun quälte ihn der Zweifel: würde sein Name dauern s,ore. xoreunius; würde man ihn auch noch nach Jahrtausenden zu den Großen zählen, wie man einen Praxiteles und eiuen Skopas und die vielen herr¬ lichen Griechen dazu zählte, selbst wenn man ihre Werke nicht mehr schauen durste? Würden seine Viktorien, wenn der Klang seines Namens in dem Gewirr und Ge¬ räusch der Tausende, deren vordringlicher Lärm selbst vor dem Richterstuhl der Geschichte oft erfolgreicher bleibt als der stolze, stille Ruhm des Echten, wenn sein Name verklungen war im weiten, weiten All — würden dann seine Werke noch stir ihn reden und sprechen: Das war ein Großer, der das geschaffen? Nachdenklich setzte er sich nieder und starrte ins Leere. Vor ihm tauchte ein Vild auf: ein weibliches Haupt; darauf die großen ernsten Blätter eines Eichen¬ kranzes. Wie mannigfaltig hatte er in den stolzen Figuren, die nun in dem hellen griechischen Bau hoch oben über der Donau aufgestellt waren, den Sieg, den gewaltigen, den jubelnden, den leuchtenden, den gerechten Sieg zu verkörpern ge¬ wußt! Eine jede Gestalt anders im klassisch fließenden Gewände, und doch ein doller Akkord ans der schwellenden Symphonie des Sieges des Lichts über die Finsternis, der Kraft über die schleichende Schwäche, der Gerechtigkeit über Tücke und Lug und Trug; eine jede der neue Ausdruck gewaltiger deutscher Kllnstlerkraft, des Herrschens, der Macht; und nicht bloß dies, sondern auch des mit aller göttlichen Macht verbundnen Menschlichen, der höchsten Tugend, um deren Preis Götter und Menschen sich streiten: des allumfassenden, des segnenden Mitleids. Und wie anders nun das Bild, das sich in dem Sonncngewebe der staubigen Werkstatt vor dem geistigen Auge zeigte. Auch eine Viktoria; noch eine Sieges¬ göttin — da er doch mehr als einmal gemeint hatte, den ganzen Quell seiner künstlerischen Gedanken geleert zu haben mit den sechs Gestalten in jener hellen Traumburg des Griechentums eines deutscheu Königs! Grenzboten IV 1898 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_228947/220>, abgerufen am 12.12.2024.