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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Auf der Akademie
Beate Borns-Jeep von (Schluß)

ber dann kam ein Tag in der Akademie, da trat der kleine Wilhelm
Niedersteiner aus einem Mauerwinkel auf Rainer zu wie das erste¬
mal: Dn Rainer, ich will dich mal was fragen, ich glaube, ich bin
doch talentlos. Er drückte sich in seine Fensternische zurück und
stierte dnrch die großen Scheiben hinaus, mit weit aufgerissenen
Augen, damit sich die Thrttueu nicht sammeln und noch mehr verraten
sollten, als er sagen wollte.

Rainer sah eine Weile nach ihm hin, dann lachte er laut heraus: Dummkopf,
dn hast einen Malkater!

Ach geh, Rainer, wenn du wüßtest! Ich bin so furchtbar traurig --

Du Grünschnabel, du Mückenei, du denkst wohl, du wolltest uns was Neues
lehren? Dn denkst wohl, wir kennten das nicht? Du meinst, du bist der Erste,
der das erlebt?

Wilhelm antwortete nicht, ihm war verzweifelt zu Mute. Rainer wurde
allmählich weniger unwirsch. Ich will dir sagen, wie das ist, fing er wieder an.
Du siehst, was Reiz ist in der Natur, und einen Pinsel hast du mich in die
Hand bekommen, aber was du machst, ist etwas andres als der Reiz, den du siehst,
und da wird dir so herzbrechend zu Sinn, daß du dich hängen oder ans dem
Fenster schmeißen oder ans die Schienen legen möchtest. Ja mein Junge, das
kennen wir, und falls es dir ein Trost ist, so kannst du wissen, daß Größere das
auch noch erleben. Ihre Augen kriegen einen Seherblick für die Schönheit in
allen verborgensten Ecken, und ihre Hände bleiben eben Hände.

Wilhelm hatte die Ellenbogen auf die Fensterbank gestützt und den Kopf in
die Hände gesteckt. Jetzt sah er einen Augenblick zu Rainer um, aber mit einem
so erbarmungswürdigen Blick, daß der wieder laut auslachte: Du denkst wohl, es
gäbe ein Rezept gegen deine Schmerzen? Da kann dir nur einer helfen, und das
bist du selber. Sieh doch uur mal, wenn jetzt der Erzengel Michael vom Himmel
käme, extra um dir zu helfen, würde dir das nützen? Oder wenn der Prinzregent
dir ein halbes Regiment Soldaten zu Hilfe schickte? Du bleibst das arme Tier,
das nicht über sich selber weg kann. Aber ein Rezept will ich dir sagen, das ist:
bohren! Geh der Natur zu Leibe, immer wieder, immer wieder. Sieh mal, ich
mache die Natur nach Pore um Pore, und wenn ich einen Kater kriege, so gehe
ich erst recht drauf los. Ich denke, wenn mir die Haare von der Anstrengung
herunterfallen wollen, eh ich den malerischen Reiz croisade, oder die Augen ver¬
glasen, ich lasse doch nicht locker, und da werde ich dich schon mal kriegen, du
Malefizkreatur. Und wenn es mir ein Ohrwaschel wäre, wie ihr hier sagt, das
ich gut gemalt habe, so ist es doch ein Sieg, und ich setze die Verfolgung fort, so
wahr ich Hände habe.

Rainer war je länger je wärmer geworden. Zuletzt hatte Wilhelm seinen




Auf der Akademie
Beate Borns-Jeep von (Schluß)

ber dann kam ein Tag in der Akademie, da trat der kleine Wilhelm
Niedersteiner aus einem Mauerwinkel auf Rainer zu wie das erste¬
mal: Dn Rainer, ich will dich mal was fragen, ich glaube, ich bin
doch talentlos. Er drückte sich in seine Fensternische zurück und
stierte dnrch die großen Scheiben hinaus, mit weit aufgerissenen
Augen, damit sich die Thrttueu nicht sammeln und noch mehr verraten
sollten, als er sagen wollte.

Rainer sah eine Weile nach ihm hin, dann lachte er laut heraus: Dummkopf,
dn hast einen Malkater!

Ach geh, Rainer, wenn du wüßtest! Ich bin so furchtbar traurig —

Du Grünschnabel, du Mückenei, du denkst wohl, du wolltest uns was Neues
lehren? Dn denkst wohl, wir kennten das nicht? Du meinst, du bist der Erste,
der das erlebt?

Wilhelm antwortete nicht, ihm war verzweifelt zu Mute. Rainer wurde
allmählich weniger unwirsch. Ich will dir sagen, wie das ist, fing er wieder an.
Du siehst, was Reiz ist in der Natur, und einen Pinsel hast du mich in die
Hand bekommen, aber was du machst, ist etwas andres als der Reiz, den du siehst,
und da wird dir so herzbrechend zu Sinn, daß du dich hängen oder ans dem
Fenster schmeißen oder ans die Schienen legen möchtest. Ja mein Junge, das
kennen wir, und falls es dir ein Trost ist, so kannst du wissen, daß Größere das
auch noch erleben. Ihre Augen kriegen einen Seherblick für die Schönheit in
allen verborgensten Ecken, und ihre Hände bleiben eben Hände.

Wilhelm hatte die Ellenbogen auf die Fensterbank gestützt und den Kopf in
die Hände gesteckt. Jetzt sah er einen Augenblick zu Rainer um, aber mit einem
so erbarmungswürdigen Blick, daß der wieder laut auslachte: Du denkst wohl, es
gäbe ein Rezept gegen deine Schmerzen? Da kann dir nur einer helfen, und das
bist du selber. Sieh doch uur mal, wenn jetzt der Erzengel Michael vom Himmel
käme, extra um dir zu helfen, würde dir das nützen? Oder wenn der Prinzregent
dir ein halbes Regiment Soldaten zu Hilfe schickte? Du bleibst das arme Tier,
das nicht über sich selber weg kann. Aber ein Rezept will ich dir sagen, das ist:
bohren! Geh der Natur zu Leibe, immer wieder, immer wieder. Sieh mal, ich
mache die Natur nach Pore um Pore, und wenn ich einen Kater kriege, so gehe
ich erst recht drauf los. Ich denke, wenn mir die Haare von der Anstrengung
herunterfallen wollen, eh ich den malerischen Reiz croisade, oder die Augen ver¬
glasen, ich lasse doch nicht locker, und da werde ich dich schon mal kriegen, du
Malefizkreatur. Und wenn es mir ein Ohrwaschel wäre, wie ihr hier sagt, das
ich gut gemalt habe, so ist es doch ein Sieg, und ich setze die Verfolgung fort, so
wahr ich Hände habe.

Rainer war je länger je wärmer geworden. Zuletzt hatte Wilhelm seinen


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[0652] [Abbildung] Auf der Akademie Beate Borns-Jeep von (Schluß) ber dann kam ein Tag in der Akademie, da trat der kleine Wilhelm Niedersteiner aus einem Mauerwinkel auf Rainer zu wie das erste¬ mal: Dn Rainer, ich will dich mal was fragen, ich glaube, ich bin doch talentlos. Er drückte sich in seine Fensternische zurück und stierte dnrch die großen Scheiben hinaus, mit weit aufgerissenen Augen, damit sich die Thrttueu nicht sammeln und noch mehr verraten sollten, als er sagen wollte. Rainer sah eine Weile nach ihm hin, dann lachte er laut heraus: Dummkopf, dn hast einen Malkater! Ach geh, Rainer, wenn du wüßtest! Ich bin so furchtbar traurig — Du Grünschnabel, du Mückenei, du denkst wohl, du wolltest uns was Neues lehren? Dn denkst wohl, wir kennten das nicht? Du meinst, du bist der Erste, der das erlebt? Wilhelm antwortete nicht, ihm war verzweifelt zu Mute. Rainer wurde allmählich weniger unwirsch. Ich will dir sagen, wie das ist, fing er wieder an. Du siehst, was Reiz ist in der Natur, und einen Pinsel hast du mich in die Hand bekommen, aber was du machst, ist etwas andres als der Reiz, den du siehst, und da wird dir so herzbrechend zu Sinn, daß du dich hängen oder ans dem Fenster schmeißen oder ans die Schienen legen möchtest. Ja mein Junge, das kennen wir, und falls es dir ein Trost ist, so kannst du wissen, daß Größere das auch noch erleben. Ihre Augen kriegen einen Seherblick für die Schönheit in allen verborgensten Ecken, und ihre Hände bleiben eben Hände. Wilhelm hatte die Ellenbogen auf die Fensterbank gestützt und den Kopf in die Hände gesteckt. Jetzt sah er einen Augenblick zu Rainer um, aber mit einem so erbarmungswürdigen Blick, daß der wieder laut auslachte: Du denkst wohl, es gäbe ein Rezept gegen deine Schmerzen? Da kann dir nur einer helfen, und das bist du selber. Sieh doch uur mal, wenn jetzt der Erzengel Michael vom Himmel käme, extra um dir zu helfen, würde dir das nützen? Oder wenn der Prinzregent dir ein halbes Regiment Soldaten zu Hilfe schickte? Du bleibst das arme Tier, das nicht über sich selber weg kann. Aber ein Rezept will ich dir sagen, das ist: bohren! Geh der Natur zu Leibe, immer wieder, immer wieder. Sieh mal, ich mache die Natur nach Pore um Pore, und wenn ich einen Kater kriege, so gehe ich erst recht drauf los. Ich denke, wenn mir die Haare von der Anstrengung herunterfallen wollen, eh ich den malerischen Reiz croisade, oder die Augen ver¬ glasen, ich lasse doch nicht locker, und da werde ich dich schon mal kriegen, du Malefizkreatur. Und wenn es mir ein Ohrwaschel wäre, wie ihr hier sagt, das ich gut gemalt habe, so ist es doch ein Sieg, und ich setze die Verfolgung fort, so wahr ich Hände habe. Rainer war je länger je wärmer geworden. Zuletzt hatte Wilhelm seinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/652>, abgerufen am 26.12.2024.