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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Karl Ernst von Vaer und der Darwinismus

arwin und kein Ende! werden die Leser seufzen. Nun, dieser
Aufsatz soll eben das Ende sein. Für uns wenigstens ist mit
dem, was wir hier zu sagen haben, die Sache abgeschlossen, und
sie hätte schon vor zwanzig Jahren für alle Welt abgeschlossen
sein können, wenn Laienpnblizisten, wie wir, an die schon damals
fließende Quelle geraten wären und den Mut gehabt hätten, diese der Dar¬
winischen Hochflut gegenüber zur Geltung zu bringen. Hat doch der in der
Überschrift genannte, 1876 zu Dorpat gestorbne Naturforscher den Darwinismus
sogar schon vor Darwin wissenschaftlich vernichtet. Wir haben ihn erst jetzt
kennen gelernt ans dem Buche: Karl Ernst von Baer und seine Welt¬
anschauung von Dr. Nemigius Stölzle, Professor der Philosophie an der
Universität Würzburg (Regensburg, G- I. Mainz. 1897). Der Verlag und die
Widmung -- es ist dem Vater des Verfassers und dem Freiherrn von Hertling
gewidmet -- zeigen an, daß wir es mit einem katholischen Tendenzwerke zu
thun haben. Aber es ist eine gewissenhafte Arbeit, und die wörtlichen An¬
führungen aus Baers Schriften (es sind ihrer über dreihundert) reichen voll¬
ständig hin, die Sache, auf die es uns ankommt, gegen jeden Zweifel sicher¬
zustellen. Wir beschränken uns auf diese uns am Herzen liegende Sache und
verzichten darauf, nach dem vorliegenden Buche ein Bild von dem Charakter
des vielseitigen großen Gelehrten zu entwerfen und von seinen Leistungen auf
andern Gebieten, wie in der Geographie, Ethnographie, Geschichtsphilosophie.
Nur das eine bemerken wir noch, daß man bei ihm den Ursprung mancher
Betrachtungen entdeckt, die heute mit Vorliebe von Feuilletonisten ausgesponnen
werden, z. B. über die Relativität unsers Zeitmaßes, das ein jeder in seinem
Puls in sich trage. Die Ausmalung der Sinneswahrnehmungen eines kleinen
Wesens, das nur den tausendsten Teil der Lebenszeit eines Menschen und
darum ebensoviel mal rascher, und eines andern, großen Wesens, das tausend¬
mal so lange wie ein Mensch und darum ebenso vielmal langsamer lebe, ist,
so wie sie Baer geschrieben hat, schon ein Feuilleton. Das raschlebende Wesen,
wird unter anderm ausgeführt, nimmt auch entsprechend rasch wahr und wird
also eine Flintenkugel in ihrem Laufe mit den Augen verfolgen können; ein
Millionenmal rascher als der Mensch lebendes Wesen würde die Bewegungen
eines Tieres nur so wahrnehmen können, wie wir jetzt die Bewegungen der


Grenzboten II I8W 72


Karl Ernst von Vaer und der Darwinismus

arwin und kein Ende! werden die Leser seufzen. Nun, dieser
Aufsatz soll eben das Ende sein. Für uns wenigstens ist mit
dem, was wir hier zu sagen haben, die Sache abgeschlossen, und
sie hätte schon vor zwanzig Jahren für alle Welt abgeschlossen
sein können, wenn Laienpnblizisten, wie wir, an die schon damals
fließende Quelle geraten wären und den Mut gehabt hätten, diese der Dar¬
winischen Hochflut gegenüber zur Geltung zu bringen. Hat doch der in der
Überschrift genannte, 1876 zu Dorpat gestorbne Naturforscher den Darwinismus
sogar schon vor Darwin wissenschaftlich vernichtet. Wir haben ihn erst jetzt
kennen gelernt ans dem Buche: Karl Ernst von Baer und seine Welt¬
anschauung von Dr. Nemigius Stölzle, Professor der Philosophie an der
Universität Würzburg (Regensburg, G- I. Mainz. 1897). Der Verlag und die
Widmung — es ist dem Vater des Verfassers und dem Freiherrn von Hertling
gewidmet — zeigen an, daß wir es mit einem katholischen Tendenzwerke zu
thun haben. Aber es ist eine gewissenhafte Arbeit, und die wörtlichen An¬
führungen aus Baers Schriften (es sind ihrer über dreihundert) reichen voll¬
ständig hin, die Sache, auf die es uns ankommt, gegen jeden Zweifel sicher¬
zustellen. Wir beschränken uns auf diese uns am Herzen liegende Sache und
verzichten darauf, nach dem vorliegenden Buche ein Bild von dem Charakter
des vielseitigen großen Gelehrten zu entwerfen und von seinen Leistungen auf
andern Gebieten, wie in der Geographie, Ethnographie, Geschichtsphilosophie.
Nur das eine bemerken wir noch, daß man bei ihm den Ursprung mancher
Betrachtungen entdeckt, die heute mit Vorliebe von Feuilletonisten ausgesponnen
werden, z. B. über die Relativität unsers Zeitmaßes, das ein jeder in seinem
Puls in sich trage. Die Ausmalung der Sinneswahrnehmungen eines kleinen
Wesens, das nur den tausendsten Teil der Lebenszeit eines Menschen und
darum ebensoviel mal rascher, und eines andern, großen Wesens, das tausend¬
mal so lange wie ein Mensch und darum ebenso vielmal langsamer lebe, ist,
so wie sie Baer geschrieben hat, schon ein Feuilleton. Das raschlebende Wesen,
wird unter anderm ausgeführt, nimmt auch entsprechend rasch wahr und wird
also eine Flintenkugel in ihrem Laufe mit den Augen verfolgen können; ein
Millionenmal rascher als der Mensch lebendes Wesen würde die Bewegungen
eines Tieres nur so wahrnehmen können, wie wir jetzt die Bewegungen der


Grenzboten II I8W 72
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[0577] [Abbildung] Karl Ernst von Vaer und der Darwinismus arwin und kein Ende! werden die Leser seufzen. Nun, dieser Aufsatz soll eben das Ende sein. Für uns wenigstens ist mit dem, was wir hier zu sagen haben, die Sache abgeschlossen, und sie hätte schon vor zwanzig Jahren für alle Welt abgeschlossen sein können, wenn Laienpnblizisten, wie wir, an die schon damals fließende Quelle geraten wären und den Mut gehabt hätten, diese der Dar¬ winischen Hochflut gegenüber zur Geltung zu bringen. Hat doch der in der Überschrift genannte, 1876 zu Dorpat gestorbne Naturforscher den Darwinismus sogar schon vor Darwin wissenschaftlich vernichtet. Wir haben ihn erst jetzt kennen gelernt ans dem Buche: Karl Ernst von Baer und seine Welt¬ anschauung von Dr. Nemigius Stölzle, Professor der Philosophie an der Universität Würzburg (Regensburg, G- I. Mainz. 1897). Der Verlag und die Widmung — es ist dem Vater des Verfassers und dem Freiherrn von Hertling gewidmet — zeigen an, daß wir es mit einem katholischen Tendenzwerke zu thun haben. Aber es ist eine gewissenhafte Arbeit, und die wörtlichen An¬ führungen aus Baers Schriften (es sind ihrer über dreihundert) reichen voll¬ ständig hin, die Sache, auf die es uns ankommt, gegen jeden Zweifel sicher¬ zustellen. Wir beschränken uns auf diese uns am Herzen liegende Sache und verzichten darauf, nach dem vorliegenden Buche ein Bild von dem Charakter des vielseitigen großen Gelehrten zu entwerfen und von seinen Leistungen auf andern Gebieten, wie in der Geographie, Ethnographie, Geschichtsphilosophie. Nur das eine bemerken wir noch, daß man bei ihm den Ursprung mancher Betrachtungen entdeckt, die heute mit Vorliebe von Feuilletonisten ausgesponnen werden, z. B. über die Relativität unsers Zeitmaßes, das ein jeder in seinem Puls in sich trage. Die Ausmalung der Sinneswahrnehmungen eines kleinen Wesens, das nur den tausendsten Teil der Lebenszeit eines Menschen und darum ebensoviel mal rascher, und eines andern, großen Wesens, das tausend¬ mal so lange wie ein Mensch und darum ebenso vielmal langsamer lebe, ist, so wie sie Baer geschrieben hat, schon ein Feuilleton. Das raschlebende Wesen, wird unter anderm ausgeführt, nimmt auch entsprechend rasch wahr und wird also eine Flintenkugel in ihrem Laufe mit den Augen verfolgen können; ein Millionenmal rascher als der Mensch lebendes Wesen würde die Bewegungen eines Tieres nur so wahrnehmen können, wie wir jetzt die Bewegungen der Grenzboten II I8W 72

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/577>, abgerufen am 26.12.2024.