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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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Auf der Akademie

gemeingefühle und weiß uns ebenso zwingend in die besondern und absonder¬
lichsten Lagen und Stimmungen zu versetzen. Er zeichnet einen Griesgram,
einen Alberich ebenso zum Greifen, wie eine Philine, einen Mephisto. Sieht
man auf den Umschlügen der Hefte, daß er sich an Goethes Harfner- und
Mignonlieder macht, so glaubt man vor einer Überhebung Schubert und
Schumann gegenüber zu stehen. Aber tritt man in die Kompositionen ein,
kommt vor Stellen wie "Dahin, 0 mein Geliebter," so kann man nur ge¬
stehen, daß das keiner vor Wolf so getroffen hat. Vergleicht man das Heft
der Gesänge aus dem Schenkenbuch in seinem tollen, barbarischen, bacchan¬
tischen Übermut mit den Suleikaliedern in ihrer zarten, von aller Sentimen¬
talität freien Weiblichkeit, ihrer, die verzehrende Leidenschaftlichkeit doch an-
deutenden Innigkeit -- sieht man, wie er in den Moerikischen Gesängen
Volkstümlichkeit und Seelengröße verbindet, das Äußere und Innere gleich
meisterhaft darstellt -- so ist des Erstaunens über die Kraft und den Um¬
fang dieses Talents kein Ende. Dieser Wolf ist ein Genie, von dessen Glanz
dereinst mehrere Strahlen auf die ganze Liederkomposition seiner Zeit fallen
werden.




Auf der Akademie
Beate Borns-Ieep von

eher der Akademiestraße und dem Siegesthor lag der Mondschein.
Er malte dieselben Schatten auf den Boden wie das Sonnenlicht,
aber sie sahen fremd aus in dieser Beleuchtung. Die Akademie mit
ihrer lichten fensterreichen Nenaissaueefront lag jetzt als dunkle Masse
mit ihrem eignen Schatten verbunden, und sie wirkte wie etwas Un¬
erbittliches, Übermächtiges auf den kleinen Menschen, der ans dem
Mondschein in das Schattengcbiet trat, die große Freitreppe vermied und die Rampe
hinaufging bis zum Portal. Das Treppenhaus und die Gänge mit den hohen
Fenstern nach Süden und den hohen Atelierthüren nach Norden lagen schweigend
da. Es brannten nur wenig Gasflammen, und in ihrem Lichte machten die
antiken Bildwerke mit ihren weißen Gipsleibern und den würdevollen Geberden,
die den Mutwillen der Schattenbilder herausforderten, den Eindruck der Verein¬
samung. Sie atmeten den Duft staubiger Trockenheit ans, der von Akademien un¬
zertrennlich ist und sich sofort mit der Bezeichnung eines akademischen Werkes in
der Phantasie verbindet.

Während der kleine Mensch unter in der Halle hierhin und dorthin schlich,
um auf irgend etwas Richtunggebendes zu stoßen, war oben im Aktsaal Modell-
pmise. Aus dem heißen Raum drängte es sich in die Gange. Allerlei Natio¬
nalitäten und allerlei Klangfarben waren vertreten, aber auch allerlei Abarten der


Auf der Akademie

gemeingefühle und weiß uns ebenso zwingend in die besondern und absonder¬
lichsten Lagen und Stimmungen zu versetzen. Er zeichnet einen Griesgram,
einen Alberich ebenso zum Greifen, wie eine Philine, einen Mephisto. Sieht
man auf den Umschlügen der Hefte, daß er sich an Goethes Harfner- und
Mignonlieder macht, so glaubt man vor einer Überhebung Schubert und
Schumann gegenüber zu stehen. Aber tritt man in die Kompositionen ein,
kommt vor Stellen wie „Dahin, 0 mein Geliebter," so kann man nur ge¬
stehen, daß das keiner vor Wolf so getroffen hat. Vergleicht man das Heft
der Gesänge aus dem Schenkenbuch in seinem tollen, barbarischen, bacchan¬
tischen Übermut mit den Suleikaliedern in ihrer zarten, von aller Sentimen¬
talität freien Weiblichkeit, ihrer, die verzehrende Leidenschaftlichkeit doch an-
deutenden Innigkeit — sieht man, wie er in den Moerikischen Gesängen
Volkstümlichkeit und Seelengröße verbindet, das Äußere und Innere gleich
meisterhaft darstellt — so ist des Erstaunens über die Kraft und den Um¬
fang dieses Talents kein Ende. Dieser Wolf ist ein Genie, von dessen Glanz
dereinst mehrere Strahlen auf die ganze Liederkomposition seiner Zeit fallen
werden.




Auf der Akademie
Beate Borns-Ieep von

eher der Akademiestraße und dem Siegesthor lag der Mondschein.
Er malte dieselben Schatten auf den Boden wie das Sonnenlicht,
aber sie sahen fremd aus in dieser Beleuchtung. Die Akademie mit
ihrer lichten fensterreichen Nenaissaueefront lag jetzt als dunkle Masse
mit ihrem eignen Schatten verbunden, und sie wirkte wie etwas Un¬
erbittliches, Übermächtiges auf den kleinen Menschen, der ans dem
Mondschein in das Schattengcbiet trat, die große Freitreppe vermied und die Rampe
hinaufging bis zum Portal. Das Treppenhaus und die Gänge mit den hohen
Fenstern nach Süden und den hohen Atelierthüren nach Norden lagen schweigend
da. Es brannten nur wenig Gasflammen, und in ihrem Lichte machten die
antiken Bildwerke mit ihren weißen Gipsleibern und den würdevollen Geberden,
die den Mutwillen der Schattenbilder herausforderten, den Eindruck der Verein¬
samung. Sie atmeten den Duft staubiger Trockenheit ans, der von Akademien un¬
zertrennlich ist und sich sofort mit der Bezeichnung eines akademischen Werkes in
der Phantasie verbindet.

Während der kleine Mensch unter in der Halle hierhin und dorthin schlich,
um auf irgend etwas Richtunggebendes zu stoßen, war oben im Aktsaal Modell-
pmise. Aus dem heißen Raum drängte es sich in die Gange. Allerlei Natio¬
nalitäten und allerlei Klangfarben waren vertreten, aber auch allerlei Abarten der


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[0551] Auf der Akademie gemeingefühle und weiß uns ebenso zwingend in die besondern und absonder¬ lichsten Lagen und Stimmungen zu versetzen. Er zeichnet einen Griesgram, einen Alberich ebenso zum Greifen, wie eine Philine, einen Mephisto. Sieht man auf den Umschlügen der Hefte, daß er sich an Goethes Harfner- und Mignonlieder macht, so glaubt man vor einer Überhebung Schubert und Schumann gegenüber zu stehen. Aber tritt man in die Kompositionen ein, kommt vor Stellen wie „Dahin, 0 mein Geliebter," so kann man nur ge¬ stehen, daß das keiner vor Wolf so getroffen hat. Vergleicht man das Heft der Gesänge aus dem Schenkenbuch in seinem tollen, barbarischen, bacchan¬ tischen Übermut mit den Suleikaliedern in ihrer zarten, von aller Sentimen¬ talität freien Weiblichkeit, ihrer, die verzehrende Leidenschaftlichkeit doch an- deutenden Innigkeit — sieht man, wie er in den Moerikischen Gesängen Volkstümlichkeit und Seelengröße verbindet, das Äußere und Innere gleich meisterhaft darstellt — so ist des Erstaunens über die Kraft und den Um¬ fang dieses Talents kein Ende. Dieser Wolf ist ein Genie, von dessen Glanz dereinst mehrere Strahlen auf die ganze Liederkomposition seiner Zeit fallen werden. Auf der Akademie Beate Borns-Ieep von eher der Akademiestraße und dem Siegesthor lag der Mondschein. Er malte dieselben Schatten auf den Boden wie das Sonnenlicht, aber sie sahen fremd aus in dieser Beleuchtung. Die Akademie mit ihrer lichten fensterreichen Nenaissaueefront lag jetzt als dunkle Masse mit ihrem eignen Schatten verbunden, und sie wirkte wie etwas Un¬ erbittliches, Übermächtiges auf den kleinen Menschen, der ans dem Mondschein in das Schattengcbiet trat, die große Freitreppe vermied und die Rampe hinaufging bis zum Portal. Das Treppenhaus und die Gänge mit den hohen Fenstern nach Süden und den hohen Atelierthüren nach Norden lagen schweigend da. Es brannten nur wenig Gasflammen, und in ihrem Lichte machten die antiken Bildwerke mit ihren weißen Gipsleibern und den würdevollen Geberden, die den Mutwillen der Schattenbilder herausforderten, den Eindruck der Verein¬ samung. Sie atmeten den Duft staubiger Trockenheit ans, der von Akademien un¬ zertrennlich ist und sich sofort mit der Bezeichnung eines akademischen Werkes in der Phantasie verbindet. Während der kleine Mensch unter in der Halle hierhin und dorthin schlich, um auf irgend etwas Richtunggebendes zu stoßen, war oben im Aktsaal Modell- pmise. Aus dem heißen Raum drängte es sich in die Gange. Allerlei Natio¬ nalitäten und allerlei Klangfarben waren vertreten, aber auch allerlei Abarten der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/551>, abgerufen am 26.12.2024.