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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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rung, sowie in der eignen Mischung von Munterkeit, Frohsinn mit großem
und leidenschaftlichem Gefühl. Er liebt in einer Weise, die über Maß und
Methode der Romantiker hinausgeht, Gegensätzliches zusammenzufügen: Altes
und Modernes, Schlichtes und Komplizirtes, und es gelingt ihm, auseinander¬
strebender Elemente Kraft da zu vereinen, wo er es wollte. Unter den ihm
eignen Ausdrucksmitteln ist die springende Führung der Singstimme hervor¬
zuheben.

Für Hugo Wolf sind in mehreren Orten besondre Vereine gegründet
worden, die Wagnerianer haben sich seiner besonders angenommen und ihn
vielleicht, wie sie nun einmal bekannt sind, als Leute mit den besten Absichten,
aber im Durchschnitt erstaunlich unwissend und urteilslos, mit ihrem Eifer
diskreditirt. Daß es für diesen Komponisten überhaupt irgend welcher Gewalt¬
mittel bedurft hat, ist -- wir dürfen hier das offne Wort nicht umgehen --
eine Schande für den deutschen Sängerstand. Ein Musiker, der Goethische,
Moerikische, Eichendorffsche Gedichte zu halben Hunderten komponirt hat, ver¬
dient nicht bloß wegen seiner Fruchtbarkeit, sondern auch wegen des bekundeten
guten Geschmacks zunächst einmal beachtet zu werden. Hätte aber Wolf diese
Beachtung gefunden, so hätte trotz allem auch sein Wert erkannt werden müssen.
Er gehört durchaus nicht unter die künstlerischen Bekanntschaften, die sich leicht
machen lassen. Wenns gerade einmal ein böser Zufall will, kann einer zuerst
hintereinander ein ganzes Dutzend Wolfscher Gesänge in die Hand bekommen,
von denen jedes mehr abstößt als anzieht. Denn der Komponist hält auf
Konsequenz, Charakteristik, scharfe Zeichnung von Einzelheiten ohne Rücksicht
aufs Ohr und auf Wohlklang, er beleidigt die Schulmeister durch Quinten,
giebt den Negistratorseelen Nüsse auf. "Wohin mit ihm? So gar keine
Manier, bei der man ihn fassen könnte!" Er ist eine universale und volle Natur
wie Franz Schubert ungefähr, und wir tragen gar keine Bedenken, ihm für
das Lied unsrer Zeit eine Schubertsche Bedeutung beizumessen. Es giebt für
seine Phantasie keine Grenzen, und wo er sie hinführt, da strömt ihm Musik
vou erster Güte zu. Er hat Gewagtes. Verfehltes, wie z. B. "Se. Nepomuks
Vorabend," aber nirgends etwas Dürftiges und Kümmerliches. Hört man
seine feierlichen Sachen, wie z. B. das "Wächterlied" oder das zweite "Kop¬
tische Lied," so glaubt man: hier liegt seine Stärke. Es sind Töne, die man
außer in der Kirche und in der Kindheit gehört zu haben sich kaum erinnert.
Dann ergiebt sich aber, daß er sich auf allen andern Gebieten menschlichen
Fühlens und Vorstellens mit derselben Sicherheit bewegt. Er ist ein aus¬
gezeichnet lebendiger Erzähler, bei dem alle Gestalten in ihrer Art sofort leben
und sich einprägen -- eins der bedeutendsten Stücke dieser Art: Epiphanias
mit den drei Königen: gravitätisch der erste, beweglich der zweite, kokett der
dritte. Er ist ein unwiderstehlicher Humorist, er ist sinnig und zart, und
ebenso versteht er sich aufs Kecke und Ausgelassene. Er beherrscht die All-


rung, sowie in der eignen Mischung von Munterkeit, Frohsinn mit großem
und leidenschaftlichem Gefühl. Er liebt in einer Weise, die über Maß und
Methode der Romantiker hinausgeht, Gegensätzliches zusammenzufügen: Altes
und Modernes, Schlichtes und Komplizirtes, und es gelingt ihm, auseinander¬
strebender Elemente Kraft da zu vereinen, wo er es wollte. Unter den ihm
eignen Ausdrucksmitteln ist die springende Führung der Singstimme hervor¬
zuheben.

Für Hugo Wolf sind in mehreren Orten besondre Vereine gegründet
worden, die Wagnerianer haben sich seiner besonders angenommen und ihn
vielleicht, wie sie nun einmal bekannt sind, als Leute mit den besten Absichten,
aber im Durchschnitt erstaunlich unwissend und urteilslos, mit ihrem Eifer
diskreditirt. Daß es für diesen Komponisten überhaupt irgend welcher Gewalt¬
mittel bedurft hat, ist — wir dürfen hier das offne Wort nicht umgehen —
eine Schande für den deutschen Sängerstand. Ein Musiker, der Goethische,
Moerikische, Eichendorffsche Gedichte zu halben Hunderten komponirt hat, ver¬
dient nicht bloß wegen seiner Fruchtbarkeit, sondern auch wegen des bekundeten
guten Geschmacks zunächst einmal beachtet zu werden. Hätte aber Wolf diese
Beachtung gefunden, so hätte trotz allem auch sein Wert erkannt werden müssen.
Er gehört durchaus nicht unter die künstlerischen Bekanntschaften, die sich leicht
machen lassen. Wenns gerade einmal ein böser Zufall will, kann einer zuerst
hintereinander ein ganzes Dutzend Wolfscher Gesänge in die Hand bekommen,
von denen jedes mehr abstößt als anzieht. Denn der Komponist hält auf
Konsequenz, Charakteristik, scharfe Zeichnung von Einzelheiten ohne Rücksicht
aufs Ohr und auf Wohlklang, er beleidigt die Schulmeister durch Quinten,
giebt den Negistratorseelen Nüsse auf. „Wohin mit ihm? So gar keine
Manier, bei der man ihn fassen könnte!" Er ist eine universale und volle Natur
wie Franz Schubert ungefähr, und wir tragen gar keine Bedenken, ihm für
das Lied unsrer Zeit eine Schubertsche Bedeutung beizumessen. Es giebt für
seine Phantasie keine Grenzen, und wo er sie hinführt, da strömt ihm Musik
vou erster Güte zu. Er hat Gewagtes. Verfehltes, wie z. B. „Se. Nepomuks
Vorabend," aber nirgends etwas Dürftiges und Kümmerliches. Hört man
seine feierlichen Sachen, wie z. B. das „Wächterlied" oder das zweite „Kop¬
tische Lied," so glaubt man: hier liegt seine Stärke. Es sind Töne, die man
außer in der Kirche und in der Kindheit gehört zu haben sich kaum erinnert.
Dann ergiebt sich aber, daß er sich auf allen andern Gebieten menschlichen
Fühlens und Vorstellens mit derselben Sicherheit bewegt. Er ist ein aus¬
gezeichnet lebendiger Erzähler, bei dem alle Gestalten in ihrer Art sofort leben
und sich einprägen — eins der bedeutendsten Stücke dieser Art: Epiphanias
mit den drei Königen: gravitätisch der erste, beweglich der zweite, kokett der
dritte. Er ist ein unwiderstehlicher Humorist, er ist sinnig und zart, und
ebenso versteht er sich aufs Kecke und Ausgelassene. Er beherrscht die All-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/550>, abgerufen am 23.07.2024.