Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Zum 55. Juni

ehnjährige Jubiläen begeht man nicht. Deshalb hat mich der
Kaiser jede amtliche Feier des 15. Juni, an dem er vor zehn
Jahren die Regierung antrat, abgelehnt. Doch zu einem Rück¬
blicke fordert ein solcher Zeitraum immerhin ans. Wer damals,
als am 15. Juni 1888 die Purpurstandarte des Neuen Palais
auf Halbmast sank und damit verkündigte, daß der Dulder Kaiser Friedrich
von seinen Leiden erlöst sei, den Prachtbau Friedrichs des Großen betrat, der
empfand sofort, daß ein neuer fester Wille dort zur Herrschaft gelangt sei,
und mit jubelnder Zuversicht begrüßte Deutschland Kaiser Wilhelm II. Wußte
man doch, daß die, die ihn als Prinzen näher gekannt hatten, schon längst
ein friedericianisches Regiment von ihm erwarteten, und empfand man es doch
als eine sichere Bürgschaft für die Zukunft, daß der gewaltige Kanzler auch
den jungen Kaiser beriet, und daß er selbst bemerkt hatte, dieser werde dereinst
sein eigner Reichskanzler sein. Man beachtete damals wenig, daß in dieser
Äußerung Fürst Bismarcks schon die leise Andeutung der kommenden Trennung
lag. Zwar gab Wilhelm II. bei jeder Gelegenheit seiner Verehrung für den
großen Staatsmann Ausdruck, aber sein väterliches Haus hatte ihn dazu
keineswegs erzogen; erst in Bonn während seiner Studienjahre war ihm durch
einen unsrer ersten Historiker das Verständnis und damit die Bewunderung
für die Bedeutung des Kanzlers erschlossen worden. Dazu war der Unter¬
schied des Alters und der Erfahrung zwischen dem Kaiser und seinem ersten
Minister viel zu groß, der Drang des Monarchen, nun anch wirklich zu sein,
was er hieß, und seiner eignen Eingebung zu folgen, viel zu lebhaft, als daß
sich ein Verhältnis hätte bilden können, wie es zwischen Wilhelm I. und
Bismarck bestanden hatte, die ein Vierteljahrhundert der gewaltigsten Ent¬
scheidungen mit einander durchlebt und viele von ihnen gemeinsam herbeigeführt


Grenzboten II 1898 64


Zum 55. Juni

ehnjährige Jubiläen begeht man nicht. Deshalb hat mich der
Kaiser jede amtliche Feier des 15. Juni, an dem er vor zehn
Jahren die Regierung antrat, abgelehnt. Doch zu einem Rück¬
blicke fordert ein solcher Zeitraum immerhin ans. Wer damals,
als am 15. Juni 1888 die Purpurstandarte des Neuen Palais
auf Halbmast sank und damit verkündigte, daß der Dulder Kaiser Friedrich
von seinen Leiden erlöst sei, den Prachtbau Friedrichs des Großen betrat, der
empfand sofort, daß ein neuer fester Wille dort zur Herrschaft gelangt sei,
und mit jubelnder Zuversicht begrüßte Deutschland Kaiser Wilhelm II. Wußte
man doch, daß die, die ihn als Prinzen näher gekannt hatten, schon längst
ein friedericianisches Regiment von ihm erwarteten, und empfand man es doch
als eine sichere Bürgschaft für die Zukunft, daß der gewaltige Kanzler auch
den jungen Kaiser beriet, und daß er selbst bemerkt hatte, dieser werde dereinst
sein eigner Reichskanzler sein. Man beachtete damals wenig, daß in dieser
Äußerung Fürst Bismarcks schon die leise Andeutung der kommenden Trennung
lag. Zwar gab Wilhelm II. bei jeder Gelegenheit seiner Verehrung für den
großen Staatsmann Ausdruck, aber sein väterliches Haus hatte ihn dazu
keineswegs erzogen; erst in Bonn während seiner Studienjahre war ihm durch
einen unsrer ersten Historiker das Verständnis und damit die Bewunderung
für die Bedeutung des Kanzlers erschlossen worden. Dazu war der Unter¬
schied des Alters und der Erfahrung zwischen dem Kaiser und seinem ersten
Minister viel zu groß, der Drang des Monarchen, nun anch wirklich zu sein,
was er hieß, und seiner eignen Eingebung zu folgen, viel zu lebhaft, als daß
sich ein Verhältnis hätte bilden können, wie es zwischen Wilhelm I. und
Bismarck bestanden hatte, die ein Vierteljahrhundert der gewaltigsten Ent¬
scheidungen mit einander durchlebt und viele von ihnen gemeinsam herbeigeführt


Grenzboten II 1898 64
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0513" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228149"/>
            <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341867_227635/figures/grenzboten_341867_227635_228149_000.jpg"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Zum 55. Juni</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1400" next="#ID_1401"> ehnjährige Jubiläen begeht man nicht. Deshalb hat mich der<lb/>
Kaiser jede amtliche Feier des 15. Juni, an dem er vor zehn<lb/>
Jahren die Regierung antrat, abgelehnt. Doch zu einem Rück¬<lb/>
blicke fordert ein solcher Zeitraum immerhin ans. Wer damals,<lb/>
als am 15. Juni 1888 die Purpurstandarte des Neuen Palais<lb/>
auf Halbmast sank und damit verkündigte, daß der Dulder Kaiser Friedrich<lb/>
von seinen Leiden erlöst sei, den Prachtbau Friedrichs des Großen betrat, der<lb/>
empfand sofort, daß ein neuer fester Wille dort zur Herrschaft gelangt sei,<lb/>
und mit jubelnder Zuversicht begrüßte Deutschland Kaiser Wilhelm II. Wußte<lb/>
man doch, daß die, die ihn als Prinzen näher gekannt hatten, schon längst<lb/>
ein friedericianisches Regiment von ihm erwarteten, und empfand man es doch<lb/>
als eine sichere Bürgschaft für die Zukunft, daß der gewaltige Kanzler auch<lb/>
den jungen Kaiser beriet, und daß er selbst bemerkt hatte, dieser werde dereinst<lb/>
sein eigner Reichskanzler sein. Man beachtete damals wenig, daß in dieser<lb/>
Äußerung Fürst Bismarcks schon die leise Andeutung der kommenden Trennung<lb/>
lag. Zwar gab Wilhelm II. bei jeder Gelegenheit seiner Verehrung für den<lb/>
großen Staatsmann Ausdruck, aber sein väterliches Haus hatte ihn dazu<lb/>
keineswegs erzogen; erst in Bonn während seiner Studienjahre war ihm durch<lb/>
einen unsrer ersten Historiker das Verständnis und damit die Bewunderung<lb/>
für die Bedeutung des Kanzlers erschlossen worden. Dazu war der Unter¬<lb/>
schied des Alters und der Erfahrung zwischen dem Kaiser und seinem ersten<lb/>
Minister viel zu groß, der Drang des Monarchen, nun anch wirklich zu sein,<lb/>
was er hieß, und seiner eignen Eingebung zu folgen, viel zu lebhaft, als daß<lb/>
sich ein Verhältnis hätte bilden können, wie es zwischen Wilhelm I. und<lb/>
Bismarck bestanden hatte, die ein Vierteljahrhundert der gewaltigsten Ent¬<lb/>
scheidungen mit einander durchlebt und viele von ihnen gemeinsam herbeigeführt</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1898 64</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0513] [Abbildung] Zum 55. Juni ehnjährige Jubiläen begeht man nicht. Deshalb hat mich der Kaiser jede amtliche Feier des 15. Juni, an dem er vor zehn Jahren die Regierung antrat, abgelehnt. Doch zu einem Rück¬ blicke fordert ein solcher Zeitraum immerhin ans. Wer damals, als am 15. Juni 1888 die Purpurstandarte des Neuen Palais auf Halbmast sank und damit verkündigte, daß der Dulder Kaiser Friedrich von seinen Leiden erlöst sei, den Prachtbau Friedrichs des Großen betrat, der empfand sofort, daß ein neuer fester Wille dort zur Herrschaft gelangt sei, und mit jubelnder Zuversicht begrüßte Deutschland Kaiser Wilhelm II. Wußte man doch, daß die, die ihn als Prinzen näher gekannt hatten, schon längst ein friedericianisches Regiment von ihm erwarteten, und empfand man es doch als eine sichere Bürgschaft für die Zukunft, daß der gewaltige Kanzler auch den jungen Kaiser beriet, und daß er selbst bemerkt hatte, dieser werde dereinst sein eigner Reichskanzler sein. Man beachtete damals wenig, daß in dieser Äußerung Fürst Bismarcks schon die leise Andeutung der kommenden Trennung lag. Zwar gab Wilhelm II. bei jeder Gelegenheit seiner Verehrung für den großen Staatsmann Ausdruck, aber sein väterliches Haus hatte ihn dazu keineswegs erzogen; erst in Bonn während seiner Studienjahre war ihm durch einen unsrer ersten Historiker das Verständnis und damit die Bewunderung für die Bedeutung des Kanzlers erschlossen worden. Dazu war der Unter¬ schied des Alters und der Erfahrung zwischen dem Kaiser und seinem ersten Minister viel zu groß, der Drang des Monarchen, nun anch wirklich zu sein, was er hieß, und seiner eignen Eingebung zu folgen, viel zu lebhaft, als daß sich ein Verhältnis hätte bilden können, wie es zwischen Wilhelm I. und Bismarck bestanden hatte, die ein Vierteljahrhundert der gewaltigsten Ent¬ scheidungen mit einander durchlebt und viele von ihnen gemeinsam herbeigeführt Grenzboten II 1898 64

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/513
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/513>, abgerufen am 26.12.2024.