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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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hatten. Und doch wissen wir jetzt genau, daß die Vorstellung völlig falsch ist,
Wilhelm I. habe seinen Willen ohne weiteres dem Bismarcks untergeordnet,
wir wissen vielmehr, daß er sich immer nur durch Gründe überzeugen, aber
niemals überreden ließ, und daß er gar nicht selten, auch in wichtigen Fällen,
gegen den Minister entschied. Ein solches Verhältnis konnte zwischen dem
Enkel und dem Kanzler nicht entstehen. Die besondern Gründe, die dann llach
kaum zwei Jahren, im März 1890, zur Trennung führten, mögen gewesen
sein, welche sie wollen, der eigentliche Grund lag in der Natur beider Männer.
Aber das Ereignis kam so überraschend und vollzog sich in einer so unerfreu¬
lichen Weise, daß die bisherige warme Sympathie für den Kaiser in weiten
Kreisen plötzlich erkaltete, und an ihre Stelle eine kritische Stimmung trat,
die alles, was der Monarch that und sprach, mit Argwohn und Mißtrauen
aufnahm, und da sie sich nicht offen äußern konnte, sich mit Vorliebe in feind¬
seligen oder höhnischen Anspielungen erging. Man denke z. V. nur an ein so
trauriges Machwerk wie Quiddes "Caligula" und an die zahllosen Auflagen, die
es. nicht zur Ehre der deutschen Leserwelt, erlebt hat. Die Persönlichkeit des
neuen Reichskanzlers und das, was als seine Politik erschien, trug nicht dazu
bei, diese tiefe Verstimmung gerade der ehrlich nationalen Kreise zu beschwichtige",
und sie wurde um so mehr eine ernste Sache, als die Bahnen, in denen Fürst
Bismarck das Reich gehalten hatte, offenbar in vielen Beziehungen verlassen
wurden, und viele Tausende die scharfe Kritik, die der Einsiedler von Fried-
richsruh an der Politik seines Nachfolgers in seinen Reden und seiner Presse
übte, als berechtigt empfanden. So begann sich die Nation daran zu ge¬
wöhnen, in dem entlassenen Bismarck den eigentlichen Vertreter der nationale"
Interessen, in der Regierung des Kaisers eine Reihe von Verirrungen zu
sehen und mit Nachdruck den "alten Kurs" als deu richtigen dem "neuen,"
dem falschen Kurs entgegenzustellen. In einem parlamentarisch regierten
Lande würde Fürst Bismarck der gewaltige und vermutlich bald siegreiche
Führer der Opposition in der Volksvertretung gewesen sein; in Deutschland
war er es zwar nicht, aber er war mehr: eine Macht für sich, der unermüd¬
liche nie schlummernde Wächter über dem Gedeihen seines Lebenswerkes, des
Reichs. Ein Wort von ihm bestimmte in den weitesten Kreisen das Urteil über
die Regierung.

Die erste Wendung trat ein, als sich der Kaiser im September 1893 von
den ungarischen Manövern aus teilnehmend nach dem Befinden des erkrankten
Fürsten Bismarck erkundigte und ihn im Januar 1894 zu seinem Geburtstage
nach Berlin einlud. Dankbar und wie von einem Alp erlöst empfand man
es, daß die persönliche tiefe Entfremdung der beiden Männer gewichen sei.
Es war die Vorbedingung dafür, daß die in die Opposition getriebnen Kreise
das schmerzlich entbehrte natürliche Verhältnis zu ihrem Kaiser wieder fanden.
Die Entlastung des Grafen Caprivi und die Ernennung des Fürsten Hohenlohe


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hatten. Und doch wissen wir jetzt genau, daß die Vorstellung völlig falsch ist,
Wilhelm I. habe seinen Willen ohne weiteres dem Bismarcks untergeordnet,
wir wissen vielmehr, daß er sich immer nur durch Gründe überzeugen, aber
niemals überreden ließ, und daß er gar nicht selten, auch in wichtigen Fällen,
gegen den Minister entschied. Ein solches Verhältnis konnte zwischen dem
Enkel und dem Kanzler nicht entstehen. Die besondern Gründe, die dann llach
kaum zwei Jahren, im März 1890, zur Trennung führten, mögen gewesen
sein, welche sie wollen, der eigentliche Grund lag in der Natur beider Männer.
Aber das Ereignis kam so überraschend und vollzog sich in einer so unerfreu¬
lichen Weise, daß die bisherige warme Sympathie für den Kaiser in weiten
Kreisen plötzlich erkaltete, und an ihre Stelle eine kritische Stimmung trat,
die alles, was der Monarch that und sprach, mit Argwohn und Mißtrauen
aufnahm, und da sie sich nicht offen äußern konnte, sich mit Vorliebe in feind¬
seligen oder höhnischen Anspielungen erging. Man denke z. V. nur an ein so
trauriges Machwerk wie Quiddes „Caligula" und an die zahllosen Auflagen, die
es. nicht zur Ehre der deutschen Leserwelt, erlebt hat. Die Persönlichkeit des
neuen Reichskanzlers und das, was als seine Politik erschien, trug nicht dazu
bei, diese tiefe Verstimmung gerade der ehrlich nationalen Kreise zu beschwichtige»,
und sie wurde um so mehr eine ernste Sache, als die Bahnen, in denen Fürst
Bismarck das Reich gehalten hatte, offenbar in vielen Beziehungen verlassen
wurden, und viele Tausende die scharfe Kritik, die der Einsiedler von Fried-
richsruh an der Politik seines Nachfolgers in seinen Reden und seiner Presse
übte, als berechtigt empfanden. So begann sich die Nation daran zu ge¬
wöhnen, in dem entlassenen Bismarck den eigentlichen Vertreter der nationale»
Interessen, in der Regierung des Kaisers eine Reihe von Verirrungen zu
sehen und mit Nachdruck den „alten Kurs" als deu richtigen dem „neuen,"
dem falschen Kurs entgegenzustellen. In einem parlamentarisch regierten
Lande würde Fürst Bismarck der gewaltige und vermutlich bald siegreiche
Führer der Opposition in der Volksvertretung gewesen sein; in Deutschland
war er es zwar nicht, aber er war mehr: eine Macht für sich, der unermüd¬
liche nie schlummernde Wächter über dem Gedeihen seines Lebenswerkes, des
Reichs. Ein Wort von ihm bestimmte in den weitesten Kreisen das Urteil über
die Regierung.

Die erste Wendung trat ein, als sich der Kaiser im September 1893 von
den ungarischen Manövern aus teilnehmend nach dem Befinden des erkrankten
Fürsten Bismarck erkundigte und ihn im Januar 1894 zu seinem Geburtstage
nach Berlin einlud. Dankbar und wie von einem Alp erlöst empfand man
es, daß die persönliche tiefe Entfremdung der beiden Männer gewichen sei.
Es war die Vorbedingung dafür, daß die in die Opposition getriebnen Kreise
das schmerzlich entbehrte natürliche Verhältnis zu ihrem Kaiser wieder fanden.
Die Entlastung des Grafen Caprivi und die Ernennung des Fürsten Hohenlohe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/514>, abgerufen am 23.07.2024.