Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches vollends lahmen, zumal da es schon gegenwärtig nicht allzu lebhaft ist und häufig Der neue Kolonialdirektor von Buchka ist der letzte aus der Reihe der in Vor¬ Grenzboten und Kathedersozialisten. Die Zeitung "Das Volk" hat Grenzboten II 1898 1)1
Maßgebliches und Unmaßgebliches vollends lahmen, zumal da es schon gegenwärtig nicht allzu lebhaft ist und häufig Der neue Kolonialdirektor von Buchka ist der letzte aus der Reihe der in Vor¬ Grenzboten und Kathedersozialisten. Die Zeitung „Das Volk" hat Grenzboten II 1898 1)1
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0409" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/228045"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1118" prev="#ID_1117"> vollends lahmen, zumal da es schon gegenwärtig nicht allzu lebhaft ist und häufig<lb/> als Störung des guten Einvernehmens mit den andern Kolonialmächten empfunden<lb/> wird. Seitdem wieder ein geschulter Diplomat an der Spitze des Auswärtigen<lb/> Amtes steht, zeigt sich auch wieder ein größeres Vertrauen zu der Leitung unsrer<lb/> auswärtigen Angelegenheiten, man kann auch einen günstigen Einfluß auf die<lb/> Erschließung und äußere Abgrenzung unsrer Schutzgebiete erhoffen. Die Engländer¬<lb/> furcht, die auch Bismarck noch nicht ganz überwunden hatte, obgleich er die Hohl¬<lb/> heit der englischen Großsprechereien durch die Art der Einführung der Kolonialpolitik<lb/> in den Rahmen der allgemeinen Politik wirksam aufgedeckt hat, dürfte nunmehr<lb/> beseitigt sein. Bezeichnend und durchaus gerechtfertigt ist auch der Umstand, daß<lb/> Kiautschou nicht der Kolonialverwaltung, sondern dem Neichsmarineamt unterstellt<lb/> worden ist. obgleich fraglos ein Landerwerb vorliegt, und eine deutsche Handels¬<lb/> kolonie in Aussicht steht. Das Reichsmariueamt kann sich staatsrechtlich nur um<lb/> die Flottenstation kümmern. Die Zivilverwaltung soll aber nur ein kleines Anhängsel<lb/> bleiben und ist bisher bloß durch einen Amtsrichter markirt, der wohl auch kaum<lb/> überlastet werden dürfte.</p><lb/> <p xml:id="ID_1119"> Der neue Kolonialdirektor von Buchka ist der letzte aus der Reihe der in Vor¬<lb/> schlag gebrachten Beamten. Es ist bekannt, daß mehrere Beamte des auswärtigen<lb/> Dienstes die Berufung abgelehnt haben. In der Kolonialabteilnng selbst ist wohl<lb/> keine Umschau gehalten worden, da die beiden ältesten Räte noch zu jung für diese<lb/> Stellung sind, anch der einzige seit Errichtung der Abteilung dort beschäftigte<lb/> Referent, Herr von König, noch 1891 Assessor war. Auch der Generalkonsul<lb/> in Kapstadt, Herr von Schuckmann, der bis dahin zu den ersten Hilfsarbeitern<lb/> der Abteilung gehört hat, muß wohl unter seiner Jugend leiden, wie auch der<lb/> Gesandte in Mexiko, Herr von Kettler, der als einziger Diplomat dem Ressort<lb/> zugeteilt war. Die drei Herren wären wohl sonst die geeigneten Sachkenner ge¬<lb/> wesen. Herr von Schwartzkoppen ist leider kein Redner, und Herr von Norden-<lb/> flycht will seine jetzige Bankthätigkeit nicht gegen den undankbaren Staatsdienst<lb/> aufgeben, obschon beide ehemaligen Räte der Kolonialabteilnng ihrem Alter und<lb/> ihrer hervorragenden Befähigung nach das meiste Anrecht auf die leitende Stelle<lb/> hatten. Der Oberlandesgerichtsrat von Bnchka wird sich zunächst einarbeiten müssen,<lb/> was seine Vorgänger nicht brauchten, und den Juristen in einen Verwaltungs¬<lb/> beamten verwandeln, was bei seinem Alter und der Dauer seiner richterlichen<lb/> Thätigkeit keineswegs so leicht ist. Als einzigen Befähigungsnachweis bringt er<lb/> das Kolonialinteresse eines verständigen Parlamentariers mit, das freilich auch<lb/> andre Politiker für sich in Anspruch nehmen können. Herr von Buchka hat den<lb/> Vorteil, daß keine dringenden Neuerungen erforderlich sind, aber die wirtschaftliche<lb/> Erschließung der Kolonien liegt noch sehr im Argen und bedarf der ernstesten Er<lb/><note type="byline"> ¬<lb/> U. v. Ser.</note> wägung und wirksamer Maßnahmen. </p><lb/> </div> <div n="2"> <head> Grenzboten und Kathedersozialisten.</head> <p xml:id="ID_1120" next="#ID_1121"> Die Zeitung „Das Volk" hat<lb/> kürzlich in einem Leitartikel: „Grenzboten und Kathedersozialisten" ihren Lesern die<lb/> sozialpolitische Tendenz der Grenzboten so dargestellt, als ob sie die sozialen<lb/> Reformen überhaupt bekämpften und der „unbedingte Gehorsam" der Arbeiter ihre<lb/> einzige sozialpolitische Forderung wäre. Natürlich ist das wider besseres Wissen<lb/> geschehen, und wir brauchten auf diesen Unsinn nicht zu antworten, wohl aber ver¬<lb/> anlaßt es uns, auf die Gründe kurz zurück zu kommen, die uns den Kampf gegen<lb/> die Einseitigkeiten und Übertreibungen der Kathedersozialisten und, soweit sie mit<lb/> ihnen den gleichen Weg gehen, der Christlich-Sozialen, National-Sozialen usw.</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1898 1)1</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0409]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
vollends lahmen, zumal da es schon gegenwärtig nicht allzu lebhaft ist und häufig
als Störung des guten Einvernehmens mit den andern Kolonialmächten empfunden
wird. Seitdem wieder ein geschulter Diplomat an der Spitze des Auswärtigen
Amtes steht, zeigt sich auch wieder ein größeres Vertrauen zu der Leitung unsrer
auswärtigen Angelegenheiten, man kann auch einen günstigen Einfluß auf die
Erschließung und äußere Abgrenzung unsrer Schutzgebiete erhoffen. Die Engländer¬
furcht, die auch Bismarck noch nicht ganz überwunden hatte, obgleich er die Hohl¬
heit der englischen Großsprechereien durch die Art der Einführung der Kolonialpolitik
in den Rahmen der allgemeinen Politik wirksam aufgedeckt hat, dürfte nunmehr
beseitigt sein. Bezeichnend und durchaus gerechtfertigt ist auch der Umstand, daß
Kiautschou nicht der Kolonialverwaltung, sondern dem Neichsmarineamt unterstellt
worden ist. obgleich fraglos ein Landerwerb vorliegt, und eine deutsche Handels¬
kolonie in Aussicht steht. Das Reichsmariueamt kann sich staatsrechtlich nur um
die Flottenstation kümmern. Die Zivilverwaltung soll aber nur ein kleines Anhängsel
bleiben und ist bisher bloß durch einen Amtsrichter markirt, der wohl auch kaum
überlastet werden dürfte.
Der neue Kolonialdirektor von Buchka ist der letzte aus der Reihe der in Vor¬
schlag gebrachten Beamten. Es ist bekannt, daß mehrere Beamte des auswärtigen
Dienstes die Berufung abgelehnt haben. In der Kolonialabteilnng selbst ist wohl
keine Umschau gehalten worden, da die beiden ältesten Räte noch zu jung für diese
Stellung sind, anch der einzige seit Errichtung der Abteilung dort beschäftigte
Referent, Herr von König, noch 1891 Assessor war. Auch der Generalkonsul
in Kapstadt, Herr von Schuckmann, der bis dahin zu den ersten Hilfsarbeitern
der Abteilung gehört hat, muß wohl unter seiner Jugend leiden, wie auch der
Gesandte in Mexiko, Herr von Kettler, der als einziger Diplomat dem Ressort
zugeteilt war. Die drei Herren wären wohl sonst die geeigneten Sachkenner ge¬
wesen. Herr von Schwartzkoppen ist leider kein Redner, und Herr von Norden-
flycht will seine jetzige Bankthätigkeit nicht gegen den undankbaren Staatsdienst
aufgeben, obschon beide ehemaligen Räte der Kolonialabteilnng ihrem Alter und
ihrer hervorragenden Befähigung nach das meiste Anrecht auf die leitende Stelle
hatten. Der Oberlandesgerichtsrat von Bnchka wird sich zunächst einarbeiten müssen,
was seine Vorgänger nicht brauchten, und den Juristen in einen Verwaltungs¬
beamten verwandeln, was bei seinem Alter und der Dauer seiner richterlichen
Thätigkeit keineswegs so leicht ist. Als einzigen Befähigungsnachweis bringt er
das Kolonialinteresse eines verständigen Parlamentariers mit, das freilich auch
andre Politiker für sich in Anspruch nehmen können. Herr von Buchka hat den
Vorteil, daß keine dringenden Neuerungen erforderlich sind, aber die wirtschaftliche
Erschließung der Kolonien liegt noch sehr im Argen und bedarf der ernstesten Er
¬
U. v. Ser. wägung und wirksamer Maßnahmen.
Grenzboten und Kathedersozialisten. Die Zeitung „Das Volk" hat
kürzlich in einem Leitartikel: „Grenzboten und Kathedersozialisten" ihren Lesern die
sozialpolitische Tendenz der Grenzboten so dargestellt, als ob sie die sozialen
Reformen überhaupt bekämpften und der „unbedingte Gehorsam" der Arbeiter ihre
einzige sozialpolitische Forderung wäre. Natürlich ist das wider besseres Wissen
geschehen, und wir brauchten auf diesen Unsinn nicht zu antworten, wohl aber ver¬
anlaßt es uns, auf die Gründe kurz zurück zu kommen, die uns den Kampf gegen
die Einseitigkeiten und Übertreibungen der Kathedersozialisten und, soweit sie mit
ihnen den gleichen Weg gehen, der Christlich-Sozialen, National-Sozialen usw.
Grenzboten II 1898 1)1
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