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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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zu bezahlen hat, das Subjekt des Prvzeßbetriebs zu sein, braucht umso weniger
geschildert zu werden. ... (S. 63).

Zwar haben die Anwälte die Macht, nicht zu verhandeln -- und wie oft
sie zum Schaden der Sache davon Gebrauch machen, ist bekannt (S. 35).

Soweit Wach. Seine Meinungsäußerung kommt sehr zu rechter Zeit. Die
bevorstehende Reform der Zivilprozeßordnung soll der Rechtsanwaltschaft nachteilige
Neuerungen bringen; sie erregt insoweit ihren heftigen Widerspruch. Ihm ent¬
gegenzutreten ist nicht leicht: denn mit Zahlen läßt sich ans diesem Gebiete nicht
viel anfangen, und die Rechtsanwaltschaft hat im Parlament, in der Presse, in
der gesamten öffentlichen Meinung und Stimmung eine überaus einflußreiche
Stellung. Unter solchen Umständen ist es sicherlich von Wert, aus einem juristischen
Werk heraus auch Weilern Kreisen ein Urteil zugänglich zu machen, das um der
unzweifelhaften Bedeutung seines Autors willen auch ohne Statistik und aller Vor¬
eingenommenheit zum Trotz die Entscheidung zu beeinflussen geeignet ist. E. s.


Die Erhaltung der schwindenden Volkstrachten.

Zufällig kommt mir
ein Aussatz der Grenzboten vom 2V. August 1396 Ur. 34 wieder vor Augen,
worin von einer Bewegung in den verschiedensten Teilen Deutschlands zur Er¬
haltung der dahinschwindenden Volkstracht die Rede ist. Ich habe fast meine
ganze Jugend ans dem Lande gelebt und viele Volkstrachten in Deutschland kennen
gelernt, die ich heute noch beschreiben konnte, obwohl man nnr noch Teile davon
hie und da an alten Baucrufrauen sieht, die längst in die Reihe der Groß- und
Urgroßmutter eingerückt sind. Wenn ich jetzt wieder in meine früher so trachtenreiche
Heimat komme, muß ich die Überzeugung gewinnen, daß eine Bewegung zur Er¬
haltung der Volkstrachten gänzlich verfehlt ist. Ja ich muß mich wundern, wie
man nur einen solchen Gedanken fassen kaun, hente, wo der immer steigende Ver¬
kehr die Menschen auch aus den fernsten Teilen der Erde einander immer näher
bringt. Wie soll da ein Dorf, ein Städtchen seine altangcstammte Tracht behalten?
Höchstens eine Amme oder Kinderwärterin prangt noch in Landestracht in der
Stadt. Befiehl man diese Tracht aber näher, so überwiegt meistens die Phantasie
über die Historie der Kleidung. Die Sache ist ja auch sehr einfach. Die Trachte"
sind wohl sämtlich teurer als die modernen in großen Kleidergeschäften angefertigten
Anzüge. Das glich sich früher aus, wo der Edelmann, der Bürger und der Bauer,
die Frau und die Jungfrau erst dann neue Sachen anschafften, wenn die alten ver¬
braucht waren. Und das dauerte bei den starken Stoffen, die in alter Zeit ver¬
arbeitet wurden, lange. Man denke nur an die Hosen des Herrn von Bredow.
Ich selbst habe genug alte Bauern noch in Lederhosen gesehen, die sie gewiß trugen,
seit sie ihre Mannesgröße erreicht hatten. Jetzt ist das anders. Die Töchter der
vermögenden Bauern, die sich also noch die teure alte und meist schöne kleidsame
Landestracht anschaffen und erneuern könnten, besuchen Institute und Schulen aller
Art in der Stadt, die Söhne gehen ans landwirtschaftliche Anstalten. Sie wollen
dort im Kreise ihrer Kameraden nicht auffalle", sie kleiden sich also nach der Mode.
Dazu kommt die immer mehr fortschreitende Ausgleichung der Standesunterschiede
und der Lebenshaltung.

Ich habe als Kind selbst noch in großen und kleinen Städten und auf dem
Laude gesehen, daß der Handwerker nnr eine Wohnstube hatte. Darin stand das
Ehebett und die Wiege. An dem großen Ofen wurde im Winter, der Ersparnis
wegen, auch die gesamte Tagesnahruug gekocht, und außerdem befand sich in dem
Zimmer noch die Werkbank bei solchen Handwerkern, wie Klempner, Messerschmiede,
Sattler, die keine ranmbedürftigen Arbeitsgeräte durchaus nötig hatten. Selbst der


zu bezahlen hat, das Subjekt des Prvzeßbetriebs zu sein, braucht umso weniger
geschildert zu werden. ... (S. 63).

Zwar haben die Anwälte die Macht, nicht zu verhandeln — und wie oft
sie zum Schaden der Sache davon Gebrauch machen, ist bekannt (S. 35).

Soweit Wach. Seine Meinungsäußerung kommt sehr zu rechter Zeit. Die
bevorstehende Reform der Zivilprozeßordnung soll der Rechtsanwaltschaft nachteilige
Neuerungen bringen; sie erregt insoweit ihren heftigen Widerspruch. Ihm ent¬
gegenzutreten ist nicht leicht: denn mit Zahlen läßt sich ans diesem Gebiete nicht
viel anfangen, und die Rechtsanwaltschaft hat im Parlament, in der Presse, in
der gesamten öffentlichen Meinung und Stimmung eine überaus einflußreiche
Stellung. Unter solchen Umständen ist es sicherlich von Wert, aus einem juristischen
Werk heraus auch Weilern Kreisen ein Urteil zugänglich zu machen, das um der
unzweifelhaften Bedeutung seines Autors willen auch ohne Statistik und aller Vor¬
eingenommenheit zum Trotz die Entscheidung zu beeinflussen geeignet ist. E. s.


Die Erhaltung der schwindenden Volkstrachten.

Zufällig kommt mir
ein Aussatz der Grenzboten vom 2V. August 1396 Ur. 34 wieder vor Augen,
worin von einer Bewegung in den verschiedensten Teilen Deutschlands zur Er¬
haltung der dahinschwindenden Volkstracht die Rede ist. Ich habe fast meine
ganze Jugend ans dem Lande gelebt und viele Volkstrachten in Deutschland kennen
gelernt, die ich heute noch beschreiben konnte, obwohl man nnr noch Teile davon
hie und da an alten Baucrufrauen sieht, die längst in die Reihe der Groß- und
Urgroßmutter eingerückt sind. Wenn ich jetzt wieder in meine früher so trachtenreiche
Heimat komme, muß ich die Überzeugung gewinnen, daß eine Bewegung zur Er¬
haltung der Volkstrachten gänzlich verfehlt ist. Ja ich muß mich wundern, wie
man nur einen solchen Gedanken fassen kaun, hente, wo der immer steigende Ver¬
kehr die Menschen auch aus den fernsten Teilen der Erde einander immer näher
bringt. Wie soll da ein Dorf, ein Städtchen seine altangcstammte Tracht behalten?
Höchstens eine Amme oder Kinderwärterin prangt noch in Landestracht in der
Stadt. Befiehl man diese Tracht aber näher, so überwiegt meistens die Phantasie
über die Historie der Kleidung. Die Sache ist ja auch sehr einfach. Die Trachte»
sind wohl sämtlich teurer als die modernen in großen Kleidergeschäften angefertigten
Anzüge. Das glich sich früher aus, wo der Edelmann, der Bürger und der Bauer,
die Frau und die Jungfrau erst dann neue Sachen anschafften, wenn die alten ver¬
braucht waren. Und das dauerte bei den starken Stoffen, die in alter Zeit ver¬
arbeitet wurden, lange. Man denke nur an die Hosen des Herrn von Bredow.
Ich selbst habe genug alte Bauern noch in Lederhosen gesehen, die sie gewiß trugen,
seit sie ihre Mannesgröße erreicht hatten. Jetzt ist das anders. Die Töchter der
vermögenden Bauern, die sich also noch die teure alte und meist schöne kleidsame
Landestracht anschaffen und erneuern könnten, besuchen Institute und Schulen aller
Art in der Stadt, die Söhne gehen ans landwirtschaftliche Anstalten. Sie wollen
dort im Kreise ihrer Kameraden nicht auffalle», sie kleiden sich also nach der Mode.
Dazu kommt die immer mehr fortschreitende Ausgleichung der Standesunterschiede
und der Lebenshaltung.

Ich habe als Kind selbst noch in großen und kleinen Städten und auf dem
Laude gesehen, daß der Handwerker nnr eine Wohnstube hatte. Darin stand das
Ehebett und die Wiege. An dem großen Ofen wurde im Winter, der Ersparnis
wegen, auch die gesamte Tagesnahruug gekocht, und außerdem befand sich in dem
Zimmer noch die Werkbank bei solchen Handwerkern, wie Klempner, Messerschmiede,
Sattler, die keine ranmbedürftigen Arbeitsgeräte durchaus nötig hatten. Selbst der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/155>, abgerufen am 26.12.2024.