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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr.

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auf der einen Seite einen Teil ihrer frühern Wirkung geraubt hat, auf der andern
die Quelle einer neuen und wahrlich nicht minder bedeutsamen Wirkung geworden.

Daß bei der Berücksichtigung der thatsächlichen Entwicklung des Reichszivil¬
prozesses die Nechtsanwaltschast nicht übergangen werden konnte, ist selbstverständlich;
sie hat denn anch neben der bereits vorhanden gewesenen dogmatischen Behandlung
eine reichliche kritische Würdigung ihrer Wirksamkeit erfahren. Und da ist es ein
Punkt, deu Wach immer wieder und fast ausschließlich in den Vordergrund stellt --
die Frage nach der Schuld oder Mitschuld der Rechtsanwaltschaft an der Ver¬
schleppung der Prozesse und an der Vereitelung der gegen diese gerichteten
Gesetzesvorschriften. Wie er diese Frage beantwortet, ergiebt folgende Zusammen¬
stellung seiner Äußerungen:

Die Zaghaftigkeit im Gebrauche der Kostenstrafe -- ans Z 48 des Gerichts¬
kostengesetzes -- findet ihre Erklärung in begreiflicher Rücksicht auf die Anwälte . . .
und in dem Widerstande, der dem Gerichte hänfig entgegengesetzt wird durch die
Nachsicht des Gegenanwalts. Anregungen der höchsten Justizverwaltungsbehörde
zu energischeren Eingreifen sind erfolglos geblieben (S. 18).

Die Thatsachen haben leider gezeigt, daß das Souveräuitätsrecht des Gerichts
-- aus §Z 252. 502. 339, 367, 398 der Zivilprozeßordnung -- praktisch fast
bedeutungslos ist. Indem das Gesetz seinen Gebrauch vom Antrag abhängig
machte, legte es dasselbe lahm; denn im Anwaltsprozeß hält .... die Kollegialität
vom Antrag zurück (S. 35).

Aber es muß erwähnt werden, daß die Anwälte -- obschon sie nicht er¬
mangeln, gelegentlich über ungenügende Beurkundung zu klagen -- von dein Mittel
des Z 270 fast keinen Gebrauch machen. Das Gesetz, ans das man nicht geringe
Hoffnungen setzte, ist sozusagen außer Anwendung (S. 40).

Aber es ist keine Übertreibung, wenn ich behaupte, daß im großen und ganzen
die Beurkundung im amtsgerichtlichen Prozesse nicht wesentlich anders und nicht
erheblich unsichrer von statten geht als im Anwaltsprozeß. Wie die Garantie
des Z 270 in diesem eitel geworden ist, habe ich schon erwähnt (S. 43).

Nur wenn in den Personen der Anwälte der Grund der Verschleppung liegt,
daun zeigt sich der Schaden des Gesetzes. Das ist nun an den größern Gerichten,
bei viel beschäftigten Anwälten begreiflicherweise nicht selten der Fall; auch mag
in den geringfügigen Sachen die Gleichgiltigkeit gegen die lästige, uneinträgliche
Aufgabe ein weitverbreitetes Leitmotiv fein. Dazu kommt die übel angebrachte
Kollegialität, welche die Pflicht gegenüber der Partei vergißt und nach dem Gesetz
verfährt: clericus elsrieum mein cleeiwat. Da wird von dem erschienenen Anwalt
gegen den säumigen das Versäumnisurteil nicht erbeten, vielmehr Vertagung be¬
antragt und, wenn das Gericht sie in seiner Not verweigert, erklärt, man "gebe
sich nicht an," "verhandle nicht." Das Gewissen wird beschwichtigt. ... (S. 47).

Die Anwälte üben unbeschränkt (Zivilvrozeßordnnng Z 77) und maßlos diese
Herrschaft über den Prozeßfvrtgang. . . . Wir wissen, daß bei dem im größten Stil
geübten Verschleppen der Parteiwille nicht mitspricht. ... Es ist unerträglich, wenn
-- wie es geschieht -- das Gericht stundenlang der Parteien, richtiger gesagt,
der Anwälte gewärtig unthätig verharrt, um wohl gar unverrichteter Dinge
von dannen zu gehen. Das ist Mißachtung der Staatsthätigkeit. Hier muß
energisch durchgegriffen werden zum Wohl des Staates und -- wir dürfen es
getrost hinzufügen -- der Recht suchenden Parteien is. 57).

Der geltende Parteibetrieb unterstellt, wie gezeigt, recht eigentlich den Rechts¬
gang der Allmacht der Partei, leistet der Saumsal und der Bequemlichkeit der
Anwälte unzulässigen Vorschub. ... Wie teuer aber die Partei demzufolge die Ehre


auf der einen Seite einen Teil ihrer frühern Wirkung geraubt hat, auf der andern
die Quelle einer neuen und wahrlich nicht minder bedeutsamen Wirkung geworden.

Daß bei der Berücksichtigung der thatsächlichen Entwicklung des Reichszivil¬
prozesses die Nechtsanwaltschast nicht übergangen werden konnte, ist selbstverständlich;
sie hat denn anch neben der bereits vorhanden gewesenen dogmatischen Behandlung
eine reichliche kritische Würdigung ihrer Wirksamkeit erfahren. Und da ist es ein
Punkt, deu Wach immer wieder und fast ausschließlich in den Vordergrund stellt —
die Frage nach der Schuld oder Mitschuld der Rechtsanwaltschaft an der Ver¬
schleppung der Prozesse und an der Vereitelung der gegen diese gerichteten
Gesetzesvorschriften. Wie er diese Frage beantwortet, ergiebt folgende Zusammen¬
stellung seiner Äußerungen:

Die Zaghaftigkeit im Gebrauche der Kostenstrafe — ans Z 48 des Gerichts¬
kostengesetzes — findet ihre Erklärung in begreiflicher Rücksicht auf die Anwälte . . .
und in dem Widerstande, der dem Gerichte hänfig entgegengesetzt wird durch die
Nachsicht des Gegenanwalts. Anregungen der höchsten Justizverwaltungsbehörde
zu energischeren Eingreifen sind erfolglos geblieben (S. 18).

Die Thatsachen haben leider gezeigt, daß das Souveräuitätsrecht des Gerichts
— aus §Z 252. 502. 339, 367, 398 der Zivilprozeßordnung — praktisch fast
bedeutungslos ist. Indem das Gesetz seinen Gebrauch vom Antrag abhängig
machte, legte es dasselbe lahm; denn im Anwaltsprozeß hält .... die Kollegialität
vom Antrag zurück (S. 35).

Aber es muß erwähnt werden, daß die Anwälte — obschon sie nicht er¬
mangeln, gelegentlich über ungenügende Beurkundung zu klagen — von dein Mittel
des Z 270 fast keinen Gebrauch machen. Das Gesetz, ans das man nicht geringe
Hoffnungen setzte, ist sozusagen außer Anwendung (S. 40).

Aber es ist keine Übertreibung, wenn ich behaupte, daß im großen und ganzen
die Beurkundung im amtsgerichtlichen Prozesse nicht wesentlich anders und nicht
erheblich unsichrer von statten geht als im Anwaltsprozeß. Wie die Garantie
des Z 270 in diesem eitel geworden ist, habe ich schon erwähnt (S. 43).

Nur wenn in den Personen der Anwälte der Grund der Verschleppung liegt,
daun zeigt sich der Schaden des Gesetzes. Das ist nun an den größern Gerichten,
bei viel beschäftigten Anwälten begreiflicherweise nicht selten der Fall; auch mag
in den geringfügigen Sachen die Gleichgiltigkeit gegen die lästige, uneinträgliche
Aufgabe ein weitverbreitetes Leitmotiv fein. Dazu kommt die übel angebrachte
Kollegialität, welche die Pflicht gegenüber der Partei vergißt und nach dem Gesetz
verfährt: clericus elsrieum mein cleeiwat. Da wird von dem erschienenen Anwalt
gegen den säumigen das Versäumnisurteil nicht erbeten, vielmehr Vertagung be¬
antragt und, wenn das Gericht sie in seiner Not verweigert, erklärt, man „gebe
sich nicht an," „verhandle nicht." Das Gewissen wird beschwichtigt. ... (S. 47).

Die Anwälte üben unbeschränkt (Zivilvrozeßordnnng Z 77) und maßlos diese
Herrschaft über den Prozeßfvrtgang. . . . Wir wissen, daß bei dem im größten Stil
geübten Verschleppen der Parteiwille nicht mitspricht. ... Es ist unerträglich, wenn
— wie es geschieht — das Gericht stundenlang der Parteien, richtiger gesagt,
der Anwälte gewärtig unthätig verharrt, um wohl gar unverrichteter Dinge
von dannen zu gehen. Das ist Mißachtung der Staatsthätigkeit. Hier muß
energisch durchgegriffen werden zum Wohl des Staates und — wir dürfen es
getrost hinzufügen — der Recht suchenden Parteien is. 57).

Der geltende Parteibetrieb unterstellt, wie gezeigt, recht eigentlich den Rechts¬
gang der Allmacht der Partei, leistet der Saumsal und der Bequemlichkeit der
Anwälte unzulässigen Vorschub. ... Wie teuer aber die Partei demzufolge die Ehre


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[0154] auf der einen Seite einen Teil ihrer frühern Wirkung geraubt hat, auf der andern die Quelle einer neuen und wahrlich nicht minder bedeutsamen Wirkung geworden. Daß bei der Berücksichtigung der thatsächlichen Entwicklung des Reichszivil¬ prozesses die Nechtsanwaltschast nicht übergangen werden konnte, ist selbstverständlich; sie hat denn anch neben der bereits vorhanden gewesenen dogmatischen Behandlung eine reichliche kritische Würdigung ihrer Wirksamkeit erfahren. Und da ist es ein Punkt, deu Wach immer wieder und fast ausschließlich in den Vordergrund stellt — die Frage nach der Schuld oder Mitschuld der Rechtsanwaltschaft an der Ver¬ schleppung der Prozesse und an der Vereitelung der gegen diese gerichteten Gesetzesvorschriften. Wie er diese Frage beantwortet, ergiebt folgende Zusammen¬ stellung seiner Äußerungen: Die Zaghaftigkeit im Gebrauche der Kostenstrafe — ans Z 48 des Gerichts¬ kostengesetzes — findet ihre Erklärung in begreiflicher Rücksicht auf die Anwälte . . . und in dem Widerstande, der dem Gerichte hänfig entgegengesetzt wird durch die Nachsicht des Gegenanwalts. Anregungen der höchsten Justizverwaltungsbehörde zu energischeren Eingreifen sind erfolglos geblieben (S. 18). Die Thatsachen haben leider gezeigt, daß das Souveräuitätsrecht des Gerichts — aus §Z 252. 502. 339, 367, 398 der Zivilprozeßordnung — praktisch fast bedeutungslos ist. Indem das Gesetz seinen Gebrauch vom Antrag abhängig machte, legte es dasselbe lahm; denn im Anwaltsprozeß hält .... die Kollegialität vom Antrag zurück (S. 35). Aber es muß erwähnt werden, daß die Anwälte — obschon sie nicht er¬ mangeln, gelegentlich über ungenügende Beurkundung zu klagen — von dein Mittel des Z 270 fast keinen Gebrauch machen. Das Gesetz, ans das man nicht geringe Hoffnungen setzte, ist sozusagen außer Anwendung (S. 40). Aber es ist keine Übertreibung, wenn ich behaupte, daß im großen und ganzen die Beurkundung im amtsgerichtlichen Prozesse nicht wesentlich anders und nicht erheblich unsichrer von statten geht als im Anwaltsprozeß. Wie die Garantie des Z 270 in diesem eitel geworden ist, habe ich schon erwähnt (S. 43). Nur wenn in den Personen der Anwälte der Grund der Verschleppung liegt, daun zeigt sich der Schaden des Gesetzes. Das ist nun an den größern Gerichten, bei viel beschäftigten Anwälten begreiflicherweise nicht selten der Fall; auch mag in den geringfügigen Sachen die Gleichgiltigkeit gegen die lästige, uneinträgliche Aufgabe ein weitverbreitetes Leitmotiv fein. Dazu kommt die übel angebrachte Kollegialität, welche die Pflicht gegenüber der Partei vergißt und nach dem Gesetz verfährt: clericus elsrieum mein cleeiwat. Da wird von dem erschienenen Anwalt gegen den säumigen das Versäumnisurteil nicht erbeten, vielmehr Vertagung be¬ antragt und, wenn das Gericht sie in seiner Not verweigert, erklärt, man „gebe sich nicht an," „verhandle nicht." Das Gewissen wird beschwichtigt. ... (S. 47). Die Anwälte üben unbeschränkt (Zivilvrozeßordnnng Z 77) und maßlos diese Herrschaft über den Prozeßfvrtgang. . . . Wir wissen, daß bei dem im größten Stil geübten Verschleppen der Parteiwille nicht mitspricht. ... Es ist unerträglich, wenn — wie es geschieht — das Gericht stundenlang der Parteien, richtiger gesagt, der Anwälte gewärtig unthätig verharrt, um wohl gar unverrichteter Dinge von dannen zu gehen. Das ist Mißachtung der Staatsthätigkeit. Hier muß energisch durchgegriffen werden zum Wohl des Staates und — wir dürfen es getrost hinzufügen — der Recht suchenden Parteien is. 57). Der geltende Parteibetrieb unterstellt, wie gezeigt, recht eigentlich den Rechts¬ gang der Allmacht der Partei, leistet der Saumsal und der Bequemlichkeit der Anwälte unzulässigen Vorschub. ... Wie teuer aber die Partei demzufolge die Ehre

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_227635/154>, abgerufen am 27.12.2024.