Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.von der deutschen Volksseele em deutschen Historiker, der nach dem unverfälschten Herzen des Was trotz des teilweise fremden Stoffes all diesen Dingen immer wieder Grenzboten I 1898 88
von der deutschen Volksseele em deutschen Historiker, der nach dem unverfälschten Herzen des Was trotz des teilweise fremden Stoffes all diesen Dingen immer wieder Grenzboten I 1898 88
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von der deutschen Volksseele
em deutschen Historiker, der nach dem unverfälschten Herzen des
deutschen Volkes tastend die in Frage kommenden Äußerungen
deutschen Lebens prüft, steht das negative Erkenntnismittel der
Ausscheidung von fremdem und das positive des Wiedererkennens
des innersten eignen Lebens zu Gebote. Dort giebt das Objekt,
hier das Subjekt den Ausschlag. Auch ist jene Trennung rein eine Aufgabe
des Verstandes. Die Forschung lehrt uns, daß sich die heutige Volkssitte
nach ihren Hauptbestandteilen in vier Elemente zerlegen läßt: germanische und
christliche Züge stehen als ältere und wichtigere neben jüngern, die entweder
ausschließlich deutsch sind oder aus der Fremde stammen. Seit den Tagen der
germanischen Urzeit feiert das deutsche Volk mit unausrottbarer Freude seine
alten heidnischen Naturfeste, ursprünglich Dank-, sühlt- und Bittfeiern, die aus
dem Verkehr mit der Natur jedes Jahr neu geboren werden und namentlich an
den Wenden der Jahreszeiten und der Landarbeit von Bedeutung sind. Im
Nahmen der Kirche bildeten sich die Gedächtnisfeiern der über das Kirchenjahr
verteilten Ereignisse der heiligen Geschichte zu großen Festtagen religiösen und
historischen Charakters aus. Diese beiden Reihen von Festen haben sich ans das
engste verschmolzen und durchdrungen, meist so, daß ein großer Tag der einen
Reihe mit einem großen der andern zusammengewachsen ist. Das katholische
Fronleichnamsfest und die gemeindeutsche Kirchweih, rheinisch Kilbe, thüringisch
Kirmse, österreichisch Kirta, sind die Höhepunkte dieses doppelten Festringes, das
große Bitt- und das große Dankfest des deutschen Landvolks. Zu Weihnachten
beschert hier der christliche Nikolaus und dort der heidnische Ruprecht, beide für
unser Volksempfinden völlig in eins verschmolzen, und neben dem verhältnis¬
mäßig jungen Christbaum, „der mit Rosen, Äpfeln, Zischgold geschmückt zuerst
1604 in Straßburg nachweisbar ist," erscheint nun auch die vom Ausland
hereingebrachte Weihnachtskrippe immer häufiger.
Was trotz des teilweise fremden Stoffes all diesen Dingen immer wieder
ein durchaus heimisches Gepräge giebt, das ist die Art und Auffassung des
Feierns. Sie ist im wesentlichen dasselbe einigende und durchtränkende In¬
grediens, das Elard Hugo Meyer, der Verfasser einer vor kurzem er-
Grenzboten I 1898 88
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