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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Das Recht der Schleswig-holsteinischen Erhebung

ünfzig Jahre sind vergangen, seit sich die Schleswig-Holsteiner
gegen die dänische Herrschaft erhuben haben. In diesem Zeit¬
raume hat sich eine geschichtliche Umwälzung von großer Be¬
deutung vollzogen, und mit ihr ist die Geschichte Schleswig-
Holsteius eng verflochten. Die Schleswig-holsteinische Bewegung
stand mit der deutschen Einheitsbewegung im innigsten Zusammenhang, hat
von ihr Anregung empfange" und sie wiederum bestärkt. Die um Schleswig-
Holsteins Befreiung geführten Kämpfe waren eine Probe auf die Stärke des
neuerwachten deutschen Nationalbewußtseins, denn die dänische Herrschaft in
Schleswig-Holstein war ein Überbleibsel aus der Zeit deutscher Uneinigkeit
und Schwäche. Die Rechte der deutschen Schleswig-Holsteiner gegen dänische
Übergriffe zu schützen, wurde bald eine Ehrenaufgabe der deutschen Nation.
War das nationale Selbstbewußscin der Deutschen nicht stark genug, diese
Aufgabe zu lösen, so war es um die viel schwereren Aufgaben, ein einiges,
starkes deutsches Reich aufzurichten und gegen fremde Angriffe zu schützen, noch
schlechter bestellt. Das empfand mau in Schleswig-Holstein und in Deutsch¬
land nach der Niederwerfung der Schleswig-holsteinischen Erhebung, und die
Beschämung hierüber lieferte damals neuen Gärstoff für die deutsche Einheits¬
bewegung.

Um die Rechte Schleswig-Holsteins ist ein erbitterter Streit geführt
worden. Die Dänen wollten von diesen Rechten überhaupt nichts wissen; sie
nannten die Schleswig-holsteinischen Freischärler Insurgenten, die früher dänischen
Beamten und Offiziere, die sich auf die deutsche Seite stellten, Meineider; und
verbissene Deutschfeinde brauchen diese Ausdrücke noch heute. Die Schleswig-
Holsteiner fühlten sich als Deutsche und wollten Deutsche sein. Den Dänen
aber galt der "Gesamtstaat" als eine heilige unverletzliche Einrichtung, darum
auch der Versuch als frivol, diesen Staat zu zertrümmern. Worin bestand
denn überhaupt das Recht der Schleswig-Holsteiner? Das Recht ist nicht
eine ein für allemal feststehende heilige Einrichtung, an der nicht gerüttelt
werden darf. Freilich bedürfen die Staaten zu ihrem Bestehen einer Rechts¬
ordnung, der sich die Wünsche und Leidenschaften der Einzelnen unterordnen
müssen, aber diese Rechtsordnung selbst ist eine Schöpfung der Menschen, die
ihren Bedürfnissen und Anschauungen angepaßt sein muß. Wenn das bestehende




Das Recht der Schleswig-holsteinischen Erhebung

ünfzig Jahre sind vergangen, seit sich die Schleswig-Holsteiner
gegen die dänische Herrschaft erhuben haben. In diesem Zeit¬
raume hat sich eine geschichtliche Umwälzung von großer Be¬
deutung vollzogen, und mit ihr ist die Geschichte Schleswig-
Holsteius eng verflochten. Die Schleswig-holsteinische Bewegung
stand mit der deutschen Einheitsbewegung im innigsten Zusammenhang, hat
von ihr Anregung empfange» und sie wiederum bestärkt. Die um Schleswig-
Holsteins Befreiung geführten Kämpfe waren eine Probe auf die Stärke des
neuerwachten deutschen Nationalbewußtseins, denn die dänische Herrschaft in
Schleswig-Holstein war ein Überbleibsel aus der Zeit deutscher Uneinigkeit
und Schwäche. Die Rechte der deutschen Schleswig-Holsteiner gegen dänische
Übergriffe zu schützen, wurde bald eine Ehrenaufgabe der deutschen Nation.
War das nationale Selbstbewußscin der Deutschen nicht stark genug, diese
Aufgabe zu lösen, so war es um die viel schwereren Aufgaben, ein einiges,
starkes deutsches Reich aufzurichten und gegen fremde Angriffe zu schützen, noch
schlechter bestellt. Das empfand mau in Schleswig-Holstein und in Deutsch¬
land nach der Niederwerfung der Schleswig-holsteinischen Erhebung, und die
Beschämung hierüber lieferte damals neuen Gärstoff für die deutsche Einheits¬
bewegung.

Um die Rechte Schleswig-Holsteins ist ein erbitterter Streit geführt
worden. Die Dänen wollten von diesen Rechten überhaupt nichts wissen; sie
nannten die Schleswig-holsteinischen Freischärler Insurgenten, die früher dänischen
Beamten und Offiziere, die sich auf die deutsche Seite stellten, Meineider; und
verbissene Deutschfeinde brauchen diese Ausdrücke noch heute. Die Schleswig-
Holsteiner fühlten sich als Deutsche und wollten Deutsche sein. Den Dänen
aber galt der „Gesamtstaat" als eine heilige unverletzliche Einrichtung, darum
auch der Versuch als frivol, diesen Staat zu zertrümmern. Worin bestand
denn überhaupt das Recht der Schleswig-Holsteiner? Das Recht ist nicht
eine ein für allemal feststehende heilige Einrichtung, an der nicht gerüttelt
werden darf. Freilich bedürfen die Staaten zu ihrem Bestehen einer Rechts¬
ordnung, der sich die Wünsche und Leidenschaften der Einzelnen unterordnen
müssen, aber diese Rechtsordnung selbst ist eine Schöpfung der Menschen, die
ihren Bedürfnissen und Anschauungen angepaßt sein muß. Wenn das bestehende


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[0688] [Abbildung] Das Recht der Schleswig-holsteinischen Erhebung ünfzig Jahre sind vergangen, seit sich die Schleswig-Holsteiner gegen die dänische Herrschaft erhuben haben. In diesem Zeit¬ raume hat sich eine geschichtliche Umwälzung von großer Be¬ deutung vollzogen, und mit ihr ist die Geschichte Schleswig- Holsteius eng verflochten. Die Schleswig-holsteinische Bewegung stand mit der deutschen Einheitsbewegung im innigsten Zusammenhang, hat von ihr Anregung empfange» und sie wiederum bestärkt. Die um Schleswig- Holsteins Befreiung geführten Kämpfe waren eine Probe auf die Stärke des neuerwachten deutschen Nationalbewußtseins, denn die dänische Herrschaft in Schleswig-Holstein war ein Überbleibsel aus der Zeit deutscher Uneinigkeit und Schwäche. Die Rechte der deutschen Schleswig-Holsteiner gegen dänische Übergriffe zu schützen, wurde bald eine Ehrenaufgabe der deutschen Nation. War das nationale Selbstbewußscin der Deutschen nicht stark genug, diese Aufgabe zu lösen, so war es um die viel schwereren Aufgaben, ein einiges, starkes deutsches Reich aufzurichten und gegen fremde Angriffe zu schützen, noch schlechter bestellt. Das empfand mau in Schleswig-Holstein und in Deutsch¬ land nach der Niederwerfung der Schleswig-holsteinischen Erhebung, und die Beschämung hierüber lieferte damals neuen Gärstoff für die deutsche Einheits¬ bewegung. Um die Rechte Schleswig-Holsteins ist ein erbitterter Streit geführt worden. Die Dänen wollten von diesen Rechten überhaupt nichts wissen; sie nannten die Schleswig-holsteinischen Freischärler Insurgenten, die früher dänischen Beamten und Offiziere, die sich auf die deutsche Seite stellten, Meineider; und verbissene Deutschfeinde brauchen diese Ausdrücke noch heute. Die Schleswig- Holsteiner fühlten sich als Deutsche und wollten Deutsche sein. Den Dänen aber galt der „Gesamtstaat" als eine heilige unverletzliche Einrichtung, darum auch der Versuch als frivol, diesen Staat zu zertrümmern. Worin bestand denn überhaupt das Recht der Schleswig-Holsteiner? Das Recht ist nicht eine ein für allemal feststehende heilige Einrichtung, an der nicht gerüttelt werden darf. Freilich bedürfen die Staaten zu ihrem Bestehen einer Rechts¬ ordnung, der sich die Wünsche und Leidenschaften der Einzelnen unterordnen müssen, aber diese Rechtsordnung selbst ist eine Schöpfung der Menschen, die ihren Bedürfnissen und Anschauungen angepaßt sein muß. Wenn das bestehende

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/688>, abgerufen am 05.01.2025.