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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Die (Einführung der Deportation
in das deutsche Strafrecht

cum man bedenkt, daß Preußen schon vor mehr als neunzig
Jahren, also zu einer Zeit, wo Deutschland noch keinen Geviert¬
meter außereuropäischen Bodens besaß, einen gesetzgeberischen
Versuch mit Einführung der Deportationsstrafe gemacht hat, so
könnte es fast wunderbar erscheinen, daß heute von den beteiligten
deutschen Regierungen noch nicht der geringste Anlauf in dieser Richtung ge¬
macht worden ist, wo Deutschland seit einer Reihe von Jahren große, für
diesen Zweck vorzüglich geeignete Kolonial- oder Schutzgebiete besitzt. Jener
erste Versuch aus dem Jahre 1802 bestand allerdings nur darin, daß Preußen
mit Rußland einen Staatsvertrag abschloß, durch den sich Rußland verpflichtete,
Verbrecher, die ihm von Preußen zu diesem Zweck überliefert wurden, die
ihnen von preußischen Gerichten zuerkannten Strafen durch Verschickung nach
Sibirien abbüßen zu lassen. Der Grund, weshalb Preußen bald nach den
ersten Versuchen von diesem Strafmittel Abstand nahm, soll darin zu suchen
sein, daß einer der ersten auf Grund dieses Vertrags an Rußland ausgelieferten
Verbrecher bald nachher wieder in seinem frühern Wirkungskreise Schlesien
auftauchte, um sein früheres Räuberhandwerk dort mit frischen Kräften fort¬
zusetzen. Wenn man freilich in dem kürzlich erschienenen Buche des Russen
Nikolajew über russisches Gefängnisleben liest, wie russische Gefängnisbeamte
ihre Aufsicht üben, dann kann man sich nicht wundern, daß sie sich einem
fremden Staate gegenüber nur zu einem sehr geringen Grade von Wachsamkeit
verpflichtet fühlen mochten. Andrerseits ist es wohl erklärlich, daß wegen der
Erfolge, die England mit der damals in der ersten Blüte stehenden, 1788 be¬
gonnenen Deportation nach Botanybcn, der heutigen Kolonie Neusüdwales, zu


Grenzboten I 1898 85


Die (Einführung der Deportation
in das deutsche Strafrecht

cum man bedenkt, daß Preußen schon vor mehr als neunzig
Jahren, also zu einer Zeit, wo Deutschland noch keinen Geviert¬
meter außereuropäischen Bodens besaß, einen gesetzgeberischen
Versuch mit Einführung der Deportationsstrafe gemacht hat, so
könnte es fast wunderbar erscheinen, daß heute von den beteiligten
deutschen Regierungen noch nicht der geringste Anlauf in dieser Richtung ge¬
macht worden ist, wo Deutschland seit einer Reihe von Jahren große, für
diesen Zweck vorzüglich geeignete Kolonial- oder Schutzgebiete besitzt. Jener
erste Versuch aus dem Jahre 1802 bestand allerdings nur darin, daß Preußen
mit Rußland einen Staatsvertrag abschloß, durch den sich Rußland verpflichtete,
Verbrecher, die ihm von Preußen zu diesem Zweck überliefert wurden, die
ihnen von preußischen Gerichten zuerkannten Strafen durch Verschickung nach
Sibirien abbüßen zu lassen. Der Grund, weshalb Preußen bald nach den
ersten Versuchen von diesem Strafmittel Abstand nahm, soll darin zu suchen
sein, daß einer der ersten auf Grund dieses Vertrags an Rußland ausgelieferten
Verbrecher bald nachher wieder in seinem frühern Wirkungskreise Schlesien
auftauchte, um sein früheres Räuberhandwerk dort mit frischen Kräften fort¬
zusetzen. Wenn man freilich in dem kürzlich erschienenen Buche des Russen
Nikolajew über russisches Gefängnisleben liest, wie russische Gefängnisbeamte
ihre Aufsicht üben, dann kann man sich nicht wundern, daß sie sich einem
fremden Staate gegenüber nur zu einem sehr geringen Grade von Wachsamkeit
verpflichtet fühlen mochten. Andrerseits ist es wohl erklärlich, daß wegen der
Erfolge, die England mit der damals in der ersten Blüte stehenden, 1788 be¬
gonnenen Deportation nach Botanybcn, der heutigen Kolonie Neusüdwales, zu


Grenzboten I 1898 85
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[0677] [Abbildung] Die (Einführung der Deportation in das deutsche Strafrecht cum man bedenkt, daß Preußen schon vor mehr als neunzig Jahren, also zu einer Zeit, wo Deutschland noch keinen Geviert¬ meter außereuropäischen Bodens besaß, einen gesetzgeberischen Versuch mit Einführung der Deportationsstrafe gemacht hat, so könnte es fast wunderbar erscheinen, daß heute von den beteiligten deutschen Regierungen noch nicht der geringste Anlauf in dieser Richtung ge¬ macht worden ist, wo Deutschland seit einer Reihe von Jahren große, für diesen Zweck vorzüglich geeignete Kolonial- oder Schutzgebiete besitzt. Jener erste Versuch aus dem Jahre 1802 bestand allerdings nur darin, daß Preußen mit Rußland einen Staatsvertrag abschloß, durch den sich Rußland verpflichtete, Verbrecher, die ihm von Preußen zu diesem Zweck überliefert wurden, die ihnen von preußischen Gerichten zuerkannten Strafen durch Verschickung nach Sibirien abbüßen zu lassen. Der Grund, weshalb Preußen bald nach den ersten Versuchen von diesem Strafmittel Abstand nahm, soll darin zu suchen sein, daß einer der ersten auf Grund dieses Vertrags an Rußland ausgelieferten Verbrecher bald nachher wieder in seinem frühern Wirkungskreise Schlesien auftauchte, um sein früheres Räuberhandwerk dort mit frischen Kräften fort¬ zusetzen. Wenn man freilich in dem kürzlich erschienenen Buche des Russen Nikolajew über russisches Gefängnisleben liest, wie russische Gefängnisbeamte ihre Aufsicht üben, dann kann man sich nicht wundern, daß sie sich einem fremden Staate gegenüber nur zu einem sehr geringen Grade von Wachsamkeit verpflichtet fühlen mochten. Andrerseits ist es wohl erklärlich, daß wegen der Erfolge, die England mit der damals in der ersten Blüte stehenden, 1788 be¬ gonnenen Deportation nach Botanybcn, der heutigen Kolonie Neusüdwales, zu Grenzboten I 1898 85

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/677>, abgerufen am 05.01.2025.