Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Die Bibel (Fortsetzung) le armen Gelehrten! Sie haben den schönen Riesenleib des Selbstverständlich glaube ich nicht, daß Moses die fünf Bücher, die seinen Die Bibel (Fortsetzung) le armen Gelehrten! Sie haben den schönen Riesenleib des Selbstverständlich glaube ich nicht, daß Moses die fünf Bücher, die seinen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0658" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227560"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341867_226901/figures/grenzboten_341867_226901_227560_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Die Bibel<lb/> (Fortsetzung) </head><lb/> <p xml:id="ID_2374"> le armen Gelehrten! Sie haben den schönen Riesenleib des<lb/> Pentateuch (oder Hexateuch, da sie das Buch Josua mit in diese<lb/> anatomische Übung hineinziehen) zerschnitten und die Stücke mit<lb/> ^, L, <ü, v, lZ und ?<ü bezeichnet, und nun streiten sie — einzeln<lb/> und schulenweise — darüber, zu welcher Zeit jedes der Stücke<lb/> geschrieben, zu welcher dieses Stück mit jenem oder das ganze<lb/> zusammengeschneidert worden sei. Natürlich werden sie das niemals ins Reine<lb/> bringen, wenn uicht Urkunden in Masse ausgegraben werden, die über jeden<lb/> einzelnen Punkt Auskunft geben. Was bis jetzt an assyrischen und ägyptischen<lb/> Thon- und Steinurkunden entziffert worden ist, trägt — selbst die richtige<lb/> Deutung der Hieroglyphen und der Keilschriften vorausgesetzt — zur Losung<lb/> der Streitfragen nichts bei; nicht einmal das, arAuinsnwin 6 siloutio, auf das<lb/> hin man den Aufenthalt der Jsraeliten in Ägypten bestreite, kann als stich¬<lb/> haltig anerkannt werden; denn daraus, daß ein Ereignis in den bis jetzt ent¬<lb/> zifferten Inschriften nicht erwähnt wird, kann unmöglich gefolgert werden, daß<lb/> es nicht stattgefunden habe. In unsrer schreib- und druckwütigen und klatsch¬<lb/> süchtigen Zeit, wo jedes Schützen- und Kriegervereinsfest und jede neue Bahn¬<lb/> hofanlage in Dutzenden von Zeitungen begackert wird, sollte man doch meinen,<lb/> daß die Gründung einer großartigen Missionsanstalt unmöglich von der ganzen<lb/> Presse mit Stillschweigen übergangen werden könnte. Wäre aber Deutschland<lb/> durch ein Erdbeben untergegangen, ehe die Stehler Missionare durch die<lb/> Kiaotschaubuchtangelegenheit berühmt wurden, so würden zukünftige gelehrte<lb/> Buddler keine gedruckte Spur des großartigen Stehler Missionshauses bei<lb/> Reiße entdecken, denn es war von ihm bisher nur zweimal in den beiden<lb/> hiesigen Blättern die Rede gewesen, jedesmal nur mit wenigen Zeilen, und<lb/> es würde ein mehr als wunderbarer Zufall sein, wenn von so vielem Ver¬<lb/> nichteten gerade diese zwei kurzen Notizen erhalten geblieben wären.</p><lb/> <p xml:id="ID_2375" next="#ID_2376"> Selbstverständlich glaube ich nicht, daß Moses die fünf Bücher, die seinen<lb/> Namen tragen, so wie wir sie jetzt haben, mit Einschluß des Berichts über seinen<lb/> Tod, eigenhändig geschrieben habe. Daß diese Bücher und ebenso die darauf<lb/> folgenden geschichtlichen Bücher aus vielerlei ältern Bestandteilen zusammen¬<lb/> gefaßt und vielfach überarbeitet worden sind, sieht auch der nicht gelehrte Leser<lb/> auf den ersten Blick. Die Redaktoren sind so wenig kunstreiche Fälscher ge¬<lb/> wesen, daß sie sich gar keine Mühe gegeben oder es gar nicht verstanden haben,<lb/> die Nähte zu verbergen; ja sie haben durch das häufige: „bis auf den heutigen<lb/> Tag" und ähnliche Bemerkungen den zukünftigen Leser mit der Nase darauf</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0658]
[Abbildung]
Die Bibel
(Fortsetzung)
le armen Gelehrten! Sie haben den schönen Riesenleib des
Pentateuch (oder Hexateuch, da sie das Buch Josua mit in diese
anatomische Übung hineinziehen) zerschnitten und die Stücke mit
^, L, <ü, v, lZ und ?<ü bezeichnet, und nun streiten sie — einzeln
und schulenweise — darüber, zu welcher Zeit jedes der Stücke
geschrieben, zu welcher dieses Stück mit jenem oder das ganze
zusammengeschneidert worden sei. Natürlich werden sie das niemals ins Reine
bringen, wenn uicht Urkunden in Masse ausgegraben werden, die über jeden
einzelnen Punkt Auskunft geben. Was bis jetzt an assyrischen und ägyptischen
Thon- und Steinurkunden entziffert worden ist, trägt — selbst die richtige
Deutung der Hieroglyphen und der Keilschriften vorausgesetzt — zur Losung
der Streitfragen nichts bei; nicht einmal das, arAuinsnwin 6 siloutio, auf das
hin man den Aufenthalt der Jsraeliten in Ägypten bestreite, kann als stich¬
haltig anerkannt werden; denn daraus, daß ein Ereignis in den bis jetzt ent¬
zifferten Inschriften nicht erwähnt wird, kann unmöglich gefolgert werden, daß
es nicht stattgefunden habe. In unsrer schreib- und druckwütigen und klatsch¬
süchtigen Zeit, wo jedes Schützen- und Kriegervereinsfest und jede neue Bahn¬
hofanlage in Dutzenden von Zeitungen begackert wird, sollte man doch meinen,
daß die Gründung einer großartigen Missionsanstalt unmöglich von der ganzen
Presse mit Stillschweigen übergangen werden könnte. Wäre aber Deutschland
durch ein Erdbeben untergegangen, ehe die Stehler Missionare durch die
Kiaotschaubuchtangelegenheit berühmt wurden, so würden zukünftige gelehrte
Buddler keine gedruckte Spur des großartigen Stehler Missionshauses bei
Reiße entdecken, denn es war von ihm bisher nur zweimal in den beiden
hiesigen Blättern die Rede gewesen, jedesmal nur mit wenigen Zeilen, und
es würde ein mehr als wunderbarer Zufall sein, wenn von so vielem Ver¬
nichteten gerade diese zwei kurzen Notizen erhalten geblieben wären.
Selbstverständlich glaube ich nicht, daß Moses die fünf Bücher, die seinen
Namen tragen, so wie wir sie jetzt haben, mit Einschluß des Berichts über seinen
Tod, eigenhändig geschrieben habe. Daß diese Bücher und ebenso die darauf
folgenden geschichtlichen Bücher aus vielerlei ältern Bestandteilen zusammen¬
gefaßt und vielfach überarbeitet worden sind, sieht auch der nicht gelehrte Leser
auf den ersten Blick. Die Redaktoren sind so wenig kunstreiche Fälscher ge¬
wesen, daß sie sich gar keine Mühe gegeben oder es gar nicht verstanden haben,
die Nähte zu verbergen; ja sie haben durch das häufige: „bis auf den heutigen
Tag" und ähnliche Bemerkungen den zukünftigen Leser mit der Nase darauf
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |