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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Reichsländische Aeitfragen

auswärtige, d. h. allgemcindeutsche Politik des Königs. Stüve bekam das
Departement des Innern und wurde nicht in jener ereignisvollen Nacht,
sondern erst am 21. durch einen Kurier aus Osnabrück gerufen, und nach
vielen Schwierigkeiten konnte das Ministerium sich am 23. dem Könige vor¬
stellen. Stüve endlich war weder ein lärmender Demagoge, noch sah er sich
für einen gekrönten Märtyrer an, sondern er war ein in stiller Arbeit auf¬
gewachsener, konservativer und königstreuer Mann, der sich entsetzen würde,
wenn er wissen konnte, daß er und sein liebes Hannoverland zu einem solchen
Zerrbild für die Nachkommen hat herhalten müssen.

Das also nennt man Geschichte fürs Volk schreiben. Es ist weder
historisch, noch volkstümlich, sondern burlesk. Allerdings ist dieser Abschnitt
über Hannover wohl der unvorteilhafteste in dem Buche von Blum, das im
übrigen auch seine Vorzüge hat. Diese bestehen in einer übersichtlichen und
leicht faßlichen Erzählung der Ereignisse und in den vielen zeitgeschichtlichen
Dokumenten als Beilagen: Zeitungsblätter, Flugschriften, Karikaturen. Es
war ein dankbarer Stoff. Aber wir Deutschen zeigen leider oft einen un¬
entwickelten Geschmack, man Hütte wünschen mögen, dieses erste Buch über das
tolle Jahr wäre einfacher, edler, vornehmer, kurz weniger im Volkskalenderstil
geschrieben worden.




Reichsländische Zeitfragen
Linn Kühn von
^. Volksüberschätzung und Volksschineichelei

V. A MKA<
A^WA
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.S.^in Reichslande ist es seit dem Statthalter von Manteuffel üblich
geworden, daß der Statthalter während der jährlich wieder¬
kehrenden Tagung des Landesausschusses dessen Mitglieder ein¬
mal in oorxors zur Tafel ladet. Während der Tafel oder gleich
nachher hält dann der Statthalter eine Rede, die vom Präsidenten
erwidert wird. Die Rede unsers stellvertretenden Staatsoberhauptes hat in
der Regel ein zugleich politisches und intimes Gepräge. Er steigt zwar darin
nicht unmittelbar auf den parlamentarischen Kampfplatz herab, nähert sich ihm
jedoch mehr als in dem feierlichen Staatsakt der Eröffnungsrede und benutzt
die Gelegenheit, sich in ungezwungner Weise über das auszusprechen, worauf
er besondern Wert legt. Das Ganze ist eine Nachahmung der parlamentarischen
Abende bei Fürst Bismarck, ist aber, örtlich betrachtet, insofern anders und
wichtiger, als der Statthalter herkömmlicherweise an den Parlamentsverhand-
lungen nicht teilnimmt und deshalb fast nur auf diesen Anlaß angewiesen ist,


Reichsländische Aeitfragen

auswärtige, d. h. allgemcindeutsche Politik des Königs. Stüve bekam das
Departement des Innern und wurde nicht in jener ereignisvollen Nacht,
sondern erst am 21. durch einen Kurier aus Osnabrück gerufen, und nach
vielen Schwierigkeiten konnte das Ministerium sich am 23. dem Könige vor¬
stellen. Stüve endlich war weder ein lärmender Demagoge, noch sah er sich
für einen gekrönten Märtyrer an, sondern er war ein in stiller Arbeit auf¬
gewachsener, konservativer und königstreuer Mann, der sich entsetzen würde,
wenn er wissen konnte, daß er und sein liebes Hannoverland zu einem solchen
Zerrbild für die Nachkommen hat herhalten müssen.

Das also nennt man Geschichte fürs Volk schreiben. Es ist weder
historisch, noch volkstümlich, sondern burlesk. Allerdings ist dieser Abschnitt
über Hannover wohl der unvorteilhafteste in dem Buche von Blum, das im
übrigen auch seine Vorzüge hat. Diese bestehen in einer übersichtlichen und
leicht faßlichen Erzählung der Ereignisse und in den vielen zeitgeschichtlichen
Dokumenten als Beilagen: Zeitungsblätter, Flugschriften, Karikaturen. Es
war ein dankbarer Stoff. Aber wir Deutschen zeigen leider oft einen un¬
entwickelten Geschmack, man Hütte wünschen mögen, dieses erste Buch über das
tolle Jahr wäre einfacher, edler, vornehmer, kurz weniger im Volkskalenderstil
geschrieben worden.




Reichsländische Zeitfragen
Linn Kühn von
^. Volksüberschätzung und Volksschineichelei

V. A MKA<
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.S.^in Reichslande ist es seit dem Statthalter von Manteuffel üblich
geworden, daß der Statthalter während der jährlich wieder¬
kehrenden Tagung des Landesausschusses dessen Mitglieder ein¬
mal in oorxors zur Tafel ladet. Während der Tafel oder gleich
nachher hält dann der Statthalter eine Rede, die vom Präsidenten
erwidert wird. Die Rede unsers stellvertretenden Staatsoberhauptes hat in
der Regel ein zugleich politisches und intimes Gepräge. Er steigt zwar darin
nicht unmittelbar auf den parlamentarischen Kampfplatz herab, nähert sich ihm
jedoch mehr als in dem feierlichen Staatsakt der Eröffnungsrede und benutzt
die Gelegenheit, sich in ungezwungner Weise über das auszusprechen, worauf
er besondern Wert legt. Das Ganze ist eine Nachahmung der parlamentarischen
Abende bei Fürst Bismarck, ist aber, örtlich betrachtet, insofern anders und
wichtiger, als der Statthalter herkömmlicherweise an den Parlamentsverhand-
lungen nicht teilnimmt und deshalb fast nur auf diesen Anlaß angewiesen ist,


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[0640] Reichsländische Aeitfragen auswärtige, d. h. allgemcindeutsche Politik des Königs. Stüve bekam das Departement des Innern und wurde nicht in jener ereignisvollen Nacht, sondern erst am 21. durch einen Kurier aus Osnabrück gerufen, und nach vielen Schwierigkeiten konnte das Ministerium sich am 23. dem Könige vor¬ stellen. Stüve endlich war weder ein lärmender Demagoge, noch sah er sich für einen gekrönten Märtyrer an, sondern er war ein in stiller Arbeit auf¬ gewachsener, konservativer und königstreuer Mann, der sich entsetzen würde, wenn er wissen konnte, daß er und sein liebes Hannoverland zu einem solchen Zerrbild für die Nachkommen hat herhalten müssen. Das also nennt man Geschichte fürs Volk schreiben. Es ist weder historisch, noch volkstümlich, sondern burlesk. Allerdings ist dieser Abschnitt über Hannover wohl der unvorteilhafteste in dem Buche von Blum, das im übrigen auch seine Vorzüge hat. Diese bestehen in einer übersichtlichen und leicht faßlichen Erzählung der Ereignisse und in den vielen zeitgeschichtlichen Dokumenten als Beilagen: Zeitungsblätter, Flugschriften, Karikaturen. Es war ein dankbarer Stoff. Aber wir Deutschen zeigen leider oft einen un¬ entwickelten Geschmack, man Hütte wünschen mögen, dieses erste Buch über das tolle Jahr wäre einfacher, edler, vornehmer, kurz weniger im Volkskalenderstil geschrieben worden. Reichsländische Zeitfragen Linn Kühn von ^. Volksüberschätzung und Volksschineichelei V. A MKA< A^WA M^MH- .S.^in Reichslande ist es seit dem Statthalter von Manteuffel üblich geworden, daß der Statthalter während der jährlich wieder¬ kehrenden Tagung des Landesausschusses dessen Mitglieder ein¬ mal in oorxors zur Tafel ladet. Während der Tafel oder gleich nachher hält dann der Statthalter eine Rede, die vom Präsidenten erwidert wird. Die Rede unsers stellvertretenden Staatsoberhauptes hat in der Regel ein zugleich politisches und intimes Gepräge. Er steigt zwar darin nicht unmittelbar auf den parlamentarischen Kampfplatz herab, nähert sich ihm jedoch mehr als in dem feierlichen Staatsakt der Eröffnungsrede und benutzt die Gelegenheit, sich in ungezwungner Weise über das auszusprechen, worauf er besondern Wert legt. Das Ganze ist eine Nachahmung der parlamentarischen Abende bei Fürst Bismarck, ist aber, örtlich betrachtet, insofern anders und wichtiger, als der Statthalter herkömmlicherweise an den Parlamentsverhand- lungen nicht teilnimmt und deshalb fast nur auf diesen Anlaß angewiesen ist,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/640>, abgerufen am 05.01.2025.