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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Gruft August von Hannover und das Jahr ^8

reitschles Deutsche Geschichte mit dem Hohenzvllernstaate im
Mittelpunkt ihrer Darstellung hat, politisch sowohl wie künst¬
lerisch betrachtet, den Vorteil, daß sie eine siegreiche Sache be¬
handelt, für die der Darsteller mit ganzem Herzen eingetreten ist.
Preußens Beruf in Deutschland und sein Ziel, das eine Deutsche
Reich -- kein Geschichtschreiber in alter und neuer Zeit konnte ein schöneres,
dankbareres Thema haben. Das unvollendete Werk reicht zwar nur bis an
die Schwelle des Jahres 1848, aber es ist mit der Kenntnis des Endziels
und noch nach den Erfahrungen der siebziger Jahre geschrieben worden, und
das bestimmt die Beleuchtung der frühern Ereignisse. Der Geschichtschreiber
ist also nicht mehr ein Ernährer und Prophet in die Zukunft (was immer
viel undankbarer ist, weil es nie genau so eintrifft), sondern ein Verkünder des
Geschehenen. Er kann auf das Vergangne einfach hinweisen und sagen: Dazu
mußte es dienen -- und man wird ihm glauben. Wer die Geschichte eines
der deutschen Mittelstaaten innerhalb desselben Zeitraums erzählen will, der
muß auf diesen Vorteil verzichten, denn er hat vorzugsweise Tendenzen zu be¬
handeln, die dem Einheitsgedanken zuwiderliefen, und wenn er dann noch dazu
mit seiner eignen Überzeugung für sie eintritt, so ergiebt sich für ihn die
Polemik gegen Treitschke von selbst. Eine solche Polemik betrifft nicht nur
Meinungen, den sogenannten Standpunkt, sondern sie dringt vor in das Gebiet
des Thatsächlichen, der geschichtlichen Wahrheit. Treitschke hat wegen seiner
Behandlung der Vorgänge im Lager der Mittelstaaten schon viele Widersprüche
von dorther erfahren und auch manche Berichtigung hinnehmen müssen; einer
kann eben nicht alles ergründen und alles wissen, und seine Aufmerksamkeit
war mehr durch den Mittelpunkt der Handlung, dem seine Teilnahme galt,
gefesselt, als durch deu Umkreis lind die Nebengcbiete des passiven Widerstands.


Grenzboten I 1398 7!)


Gruft August von Hannover und das Jahr ^8

reitschles Deutsche Geschichte mit dem Hohenzvllernstaate im
Mittelpunkt ihrer Darstellung hat, politisch sowohl wie künst¬
lerisch betrachtet, den Vorteil, daß sie eine siegreiche Sache be¬
handelt, für die der Darsteller mit ganzem Herzen eingetreten ist.
Preußens Beruf in Deutschland und sein Ziel, das eine Deutsche
Reich — kein Geschichtschreiber in alter und neuer Zeit konnte ein schöneres,
dankbareres Thema haben. Das unvollendete Werk reicht zwar nur bis an
die Schwelle des Jahres 1848, aber es ist mit der Kenntnis des Endziels
und noch nach den Erfahrungen der siebziger Jahre geschrieben worden, und
das bestimmt die Beleuchtung der frühern Ereignisse. Der Geschichtschreiber
ist also nicht mehr ein Ernährer und Prophet in die Zukunft (was immer
viel undankbarer ist, weil es nie genau so eintrifft), sondern ein Verkünder des
Geschehenen. Er kann auf das Vergangne einfach hinweisen und sagen: Dazu
mußte es dienen — und man wird ihm glauben. Wer die Geschichte eines
der deutschen Mittelstaaten innerhalb desselben Zeitraums erzählen will, der
muß auf diesen Vorteil verzichten, denn er hat vorzugsweise Tendenzen zu be¬
handeln, die dem Einheitsgedanken zuwiderliefen, und wenn er dann noch dazu
mit seiner eignen Überzeugung für sie eintritt, so ergiebt sich für ihn die
Polemik gegen Treitschke von selbst. Eine solche Polemik betrifft nicht nur
Meinungen, den sogenannten Standpunkt, sondern sie dringt vor in das Gebiet
des Thatsächlichen, der geschichtlichen Wahrheit. Treitschke hat wegen seiner
Behandlung der Vorgänge im Lager der Mittelstaaten schon viele Widersprüche
von dorther erfahren und auch manche Berichtigung hinnehmen müssen; einer
kann eben nicht alles ergründen und alles wissen, und seine Aufmerksamkeit
war mehr durch den Mittelpunkt der Handlung, dem seine Teilnahme galt,
gefesselt, als durch deu Umkreis lind die Nebengcbiete des passiven Widerstands.


Grenzboten I 1398 7!)
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[0629] [Abbildung] Gruft August von Hannover und das Jahr ^8 reitschles Deutsche Geschichte mit dem Hohenzvllernstaate im Mittelpunkt ihrer Darstellung hat, politisch sowohl wie künst¬ lerisch betrachtet, den Vorteil, daß sie eine siegreiche Sache be¬ handelt, für die der Darsteller mit ganzem Herzen eingetreten ist. Preußens Beruf in Deutschland und sein Ziel, das eine Deutsche Reich — kein Geschichtschreiber in alter und neuer Zeit konnte ein schöneres, dankbareres Thema haben. Das unvollendete Werk reicht zwar nur bis an die Schwelle des Jahres 1848, aber es ist mit der Kenntnis des Endziels und noch nach den Erfahrungen der siebziger Jahre geschrieben worden, und das bestimmt die Beleuchtung der frühern Ereignisse. Der Geschichtschreiber ist also nicht mehr ein Ernährer und Prophet in die Zukunft (was immer viel undankbarer ist, weil es nie genau so eintrifft), sondern ein Verkünder des Geschehenen. Er kann auf das Vergangne einfach hinweisen und sagen: Dazu mußte es dienen — und man wird ihm glauben. Wer die Geschichte eines der deutschen Mittelstaaten innerhalb desselben Zeitraums erzählen will, der muß auf diesen Vorteil verzichten, denn er hat vorzugsweise Tendenzen zu be¬ handeln, die dem Einheitsgedanken zuwiderliefen, und wenn er dann noch dazu mit seiner eignen Überzeugung für sie eintritt, so ergiebt sich für ihn die Polemik gegen Treitschke von selbst. Eine solche Polemik betrifft nicht nur Meinungen, den sogenannten Standpunkt, sondern sie dringt vor in das Gebiet des Thatsächlichen, der geschichtlichen Wahrheit. Treitschke hat wegen seiner Behandlung der Vorgänge im Lager der Mittelstaaten schon viele Widersprüche von dorther erfahren und auch manche Berichtigung hinnehmen müssen; einer kann eben nicht alles ergründen und alles wissen, und seine Aufmerksamkeit war mehr durch den Mittelpunkt der Handlung, dem seine Teilnahme galt, gefesselt, als durch deu Umkreis lind die Nebengcbiete des passiven Widerstands. Grenzboten I 1398 7!)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/629>, abgerufen am 05.01.2025.