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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Madlene

heißung erfüllt sich in einer zahlreichen leiblichen Nachkommenschaft, bis deren
Beruf/Trägerin der Verheißungen zu sein, erfüllt ist, und die Zeit anbricht,
wo ans die leibliche Nachkommenschaft ein zahlloses Heer von geistigen wohnen
Abrahams folgt. So fest ist sein Glaube, daß er dem Gebot, sein Teuerstes,
seinen einzigen rechtmäßigen Sohn, das Kind der Verheißung, zu opfern, ge¬
horchen will; aber Gott hat diese Prüfung nur verhängt, um damit in seinem
engern Reiche ein für allemal dem Greuel der Menschenopfer vorzubeugen und
den Glauben der Heiden an die Gottgefälligkeit und Wirksamkeit der Kinder-
abschlcichtung, der ganz Vorderasien verwüstete, als Irrtum und Verbrechen
zu enthüllen. Zum Volke wächst Abrahams Nachkommenschaft in Ägypten
heran, wohin sie durch die wunderbaren Schicksale eines seiner Urenkel ver¬
schlagen wird. Die Geschichte des ägyptischen Joseph kann als eine an drama¬
tischen Wendungen reiche und kulturgeschichtlich interessante Novelle bezeichnet
werden.*) Für den kritischen Historiker unsrer Zeit ist Abraham selbst¬
verständlich ein Sonnengott, hat niemals ein Joseph existirt, und siud die
Stammväter des jüdischen Volks niemals in Ägypten gewesen. Ich lasse den
Herren das Vergnügen, überall Mythen nachzuweisen, und beschaue heute noch
die Gestalten der Patriarchen mit demselben Behagen, nur mit tieferen Ver¬
ständnis, als ich sie als Kind beschaut habe.

(Fortsetzung folgt)




Madlene H. Löffler Erzählung aus dein oberfränkischen Volksleben von
(Schluß)
1^2. Raddamaktifidibum

er letzte, der heute die Augen schloß, war der Schlesinger. Es hatte
ihn lange inwendig gewürgt, ehe er einschlafen konnte. Und doch
war er am Morgen des 29. Oktober die erste muntere Seele im
Mnsershnus. Wer es in einer Nacht einmal mit dem Schlaf ver¬
schüttet hat, der bringt es auch in selber Nacht nicht wieder zum
^ richtigen Einvernehmen mit ihm.

Sie am Morgen des 23. Oktober die Braut am offnen Fenster stand beim
Morgensegen, so heut der Schlesinger. Denn auch am zweiten Kirmestag blasen
mit dem frühsten Morgen die Musikanten um Maien einen Chornl. Heut blasen
sie: Wie schön leuchtet der Morgenstern. Weder der ursprüngliche Text: Wie schön
leuchten die Äuglein dein, noch der vergeistlichte paßten für den Schlesinger. Und
darum war es gut, daß die Musikanten nur Melodie und Harmonie und nicht auch



*) Ausgeführte Novellen sind ferner in der Bibel: Nut, Tobias, Judith, Esther: an
Novellsnstoffen ist sie reich.
Madlene

heißung erfüllt sich in einer zahlreichen leiblichen Nachkommenschaft, bis deren
Beruf/Trägerin der Verheißungen zu sein, erfüllt ist, und die Zeit anbricht,
wo ans die leibliche Nachkommenschaft ein zahlloses Heer von geistigen wohnen
Abrahams folgt. So fest ist sein Glaube, daß er dem Gebot, sein Teuerstes,
seinen einzigen rechtmäßigen Sohn, das Kind der Verheißung, zu opfern, ge¬
horchen will; aber Gott hat diese Prüfung nur verhängt, um damit in seinem
engern Reiche ein für allemal dem Greuel der Menschenopfer vorzubeugen und
den Glauben der Heiden an die Gottgefälligkeit und Wirksamkeit der Kinder-
abschlcichtung, der ganz Vorderasien verwüstete, als Irrtum und Verbrechen
zu enthüllen. Zum Volke wächst Abrahams Nachkommenschaft in Ägypten
heran, wohin sie durch die wunderbaren Schicksale eines seiner Urenkel ver¬
schlagen wird. Die Geschichte des ägyptischen Joseph kann als eine an drama¬
tischen Wendungen reiche und kulturgeschichtlich interessante Novelle bezeichnet
werden.*) Für den kritischen Historiker unsrer Zeit ist Abraham selbst¬
verständlich ein Sonnengott, hat niemals ein Joseph existirt, und siud die
Stammväter des jüdischen Volks niemals in Ägypten gewesen. Ich lasse den
Herren das Vergnügen, überall Mythen nachzuweisen, und beschaue heute noch
die Gestalten der Patriarchen mit demselben Behagen, nur mit tieferen Ver¬
ständnis, als ich sie als Kind beschaut habe.

(Fortsetzung folgt)




Madlene H. Löffler Erzählung aus dein oberfränkischen Volksleben von
(Schluß)
1^2. Raddamaktifidibum

er letzte, der heute die Augen schloß, war der Schlesinger. Es hatte
ihn lange inwendig gewürgt, ehe er einschlafen konnte. Und doch
war er am Morgen des 29. Oktober die erste muntere Seele im
Mnsershnus. Wer es in einer Nacht einmal mit dem Schlaf ver¬
schüttet hat, der bringt es auch in selber Nacht nicht wieder zum
^ richtigen Einvernehmen mit ihm.

Sie am Morgen des 23. Oktober die Braut am offnen Fenster stand beim
Morgensegen, so heut der Schlesinger. Denn auch am zweiten Kirmestag blasen
mit dem frühsten Morgen die Musikanten um Maien einen Chornl. Heut blasen
sie: Wie schön leuchtet der Morgenstern. Weder der ursprüngliche Text: Wie schön
leuchten die Äuglein dein, noch der vergeistlichte paßten für den Schlesinger. Und
darum war es gut, daß die Musikanten nur Melodie und Harmonie und nicht auch



*) Ausgeführte Novellen sind ferner in der Bibel: Nut, Tobias, Judith, Esther: an
Novellsnstoffen ist sie reich.
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[0615] Madlene heißung erfüllt sich in einer zahlreichen leiblichen Nachkommenschaft, bis deren Beruf/Trägerin der Verheißungen zu sein, erfüllt ist, und die Zeit anbricht, wo ans die leibliche Nachkommenschaft ein zahlloses Heer von geistigen wohnen Abrahams folgt. So fest ist sein Glaube, daß er dem Gebot, sein Teuerstes, seinen einzigen rechtmäßigen Sohn, das Kind der Verheißung, zu opfern, ge¬ horchen will; aber Gott hat diese Prüfung nur verhängt, um damit in seinem engern Reiche ein für allemal dem Greuel der Menschenopfer vorzubeugen und den Glauben der Heiden an die Gottgefälligkeit und Wirksamkeit der Kinder- abschlcichtung, der ganz Vorderasien verwüstete, als Irrtum und Verbrechen zu enthüllen. Zum Volke wächst Abrahams Nachkommenschaft in Ägypten heran, wohin sie durch die wunderbaren Schicksale eines seiner Urenkel ver¬ schlagen wird. Die Geschichte des ägyptischen Joseph kann als eine an drama¬ tischen Wendungen reiche und kulturgeschichtlich interessante Novelle bezeichnet werden.*) Für den kritischen Historiker unsrer Zeit ist Abraham selbst¬ verständlich ein Sonnengott, hat niemals ein Joseph existirt, und siud die Stammväter des jüdischen Volks niemals in Ägypten gewesen. Ich lasse den Herren das Vergnügen, überall Mythen nachzuweisen, und beschaue heute noch die Gestalten der Patriarchen mit demselben Behagen, nur mit tieferen Ver¬ ständnis, als ich sie als Kind beschaut habe. (Fortsetzung folgt) Madlene H. Löffler Erzählung aus dein oberfränkischen Volksleben von (Schluß) 1^2. Raddamaktifidibum er letzte, der heute die Augen schloß, war der Schlesinger. Es hatte ihn lange inwendig gewürgt, ehe er einschlafen konnte. Und doch war er am Morgen des 29. Oktober die erste muntere Seele im Mnsershnus. Wer es in einer Nacht einmal mit dem Schlaf ver¬ schüttet hat, der bringt es auch in selber Nacht nicht wieder zum ^ richtigen Einvernehmen mit ihm. Sie am Morgen des 23. Oktober die Braut am offnen Fenster stand beim Morgensegen, so heut der Schlesinger. Denn auch am zweiten Kirmestag blasen mit dem frühsten Morgen die Musikanten um Maien einen Chornl. Heut blasen sie: Wie schön leuchtet der Morgenstern. Weder der ursprüngliche Text: Wie schön leuchten die Äuglein dein, noch der vergeistlichte paßten für den Schlesinger. Und darum war es gut, daß die Musikanten nur Melodie und Harmonie und nicht auch *) Ausgeführte Novellen sind ferner in der Bibel: Nut, Tobias, Judith, Esther: an Novellsnstoffen ist sie reich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/615>, abgerufen am 05.01.2025.