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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Die Bibel

meisterlich zu führen wußte. Aber hat jemals eine Niederlage die Ziele der
Jesuiten verschoben? Solange das katholisch-jesuitische Rom mit solchen Waffen
kämpft, wie wir sie hier entblößt sahen, solange dort Aberglaube in der rohesten
Form und Inquisition und Scheiterhaufen so hoch in Ansehen stehen wie
gegenwärtig, solange können wir sicher sein, daß Rom jede Gelegenheit und
jedes Mittel benutzen wird, um auch bei uns die "Glaubcnsfestigkeit" herzu¬
richten, die "den Adel der spanischen Nation ausmacht." Wenn man uns
dort niemals im Laufe der Geschichte für vollgiltige Katholiken anerkannt hat,
so wäre es endlich Zeit, daß auch wir, diese Stellung anerkennend, versuchten,
katholisch zu sein ohne ultramontan zu sein, daß wir uns von einer Unfehlbarkeit
abwenden, die unserm Denken und unserm Charakter widerspricht.


<L> von der Brügge"


Die Bibel

aß die Bibel das verbreiterte Buch ist, spricht um sich noch nicht
für sie. Wenn es in den mohammedanischen Ländern so viel
Druckereien gäbe wie bei uns, so würde der Koran, der ganz
gewiß kein besonders gutes Buch ist, vielleicht noch verbreiteter
sein. Die schlechten Bücher erfreuen sich bekanntlich einer weit
größern Verbreitung als die guten. Wenn ein gutes Buch längere
Zeit viele starke Auflagen erlebt, so hat es das gewöhnlich dem Umstände zu
danken, daß sich eine einflußreiche Behörde, Körperschaft, Partei oder Klique
seiner annimmt. Zuweilen bringen die Beherrscher des litterarischen Geschmacks
ein Buch oder einen Schriftsteller oder gleich eine ganze Gruppe von Schrift¬
stellern in die Mode. So wurden bis vor einigen Jahrzehnten dem Knaben
gewisse Schriftsteller des vorigen Jahrhunderts von allen Autoritäten als "die
deutschen Klassiker" angepriesen. Er fühlte sich dadurch verpflichtet, die Uni-
vcrsalbibliothek der deutscheu Klassiker in der DuodezauSgabe anzuschaffen, und
wenn ihm das Geld reichte, kaufte er sich außerdem eine billige Ausgabe der
fünf, die man ihm als die größten nannte, oder wenigstens der zwei aller¬
größten unter den größten. Heute werden nur noch diese zwei, und außer ihnen
allenfalls Lessing gekauft. Aber auch gelesen? Nicht einmal nachgeschlagen,
wie die Korrekturen beweisen, die sich der Kladderadatsch allsonntäglich an den
Gvethezitaten der Tante Voß vorzunehmen genötigt sieht; einige Sentenzen
gehen von Mund zu Mund und von Käseblatt zu Käseblatt, wobei sie natür¬
lich verhunzt werden, und außerdem werden einige Stücke der Klassiker in den
Schulen gelesen, hie und da auch noch in einem Theater aufgeführt; das ist
das Ende der einhundertjährigen Herrlichkeit. Also die Verbreitung an sich
beweist nichts, und die englische Bibelgesellschaft am allerwenigsten. Ein eng¬
lisches Blatt verrät, daß man bei der Aussicht auf die Erschließung Chinas


Grenzboten I 1808 7ö
Die Bibel

meisterlich zu führen wußte. Aber hat jemals eine Niederlage die Ziele der
Jesuiten verschoben? Solange das katholisch-jesuitische Rom mit solchen Waffen
kämpft, wie wir sie hier entblößt sahen, solange dort Aberglaube in der rohesten
Form und Inquisition und Scheiterhaufen so hoch in Ansehen stehen wie
gegenwärtig, solange können wir sicher sein, daß Rom jede Gelegenheit und
jedes Mittel benutzen wird, um auch bei uns die „Glaubcnsfestigkeit" herzu¬
richten, die „den Adel der spanischen Nation ausmacht." Wenn man uns
dort niemals im Laufe der Geschichte für vollgiltige Katholiken anerkannt hat,
so wäre es endlich Zeit, daß auch wir, diese Stellung anerkennend, versuchten,
katholisch zu sein ohne ultramontan zu sein, daß wir uns von einer Unfehlbarkeit
abwenden, die unserm Denken und unserm Charakter widerspricht.


<L> von der Brügge»


Die Bibel

aß die Bibel das verbreiterte Buch ist, spricht um sich noch nicht
für sie. Wenn es in den mohammedanischen Ländern so viel
Druckereien gäbe wie bei uns, so würde der Koran, der ganz
gewiß kein besonders gutes Buch ist, vielleicht noch verbreiteter
sein. Die schlechten Bücher erfreuen sich bekanntlich einer weit
größern Verbreitung als die guten. Wenn ein gutes Buch längere
Zeit viele starke Auflagen erlebt, so hat es das gewöhnlich dem Umstände zu
danken, daß sich eine einflußreiche Behörde, Körperschaft, Partei oder Klique
seiner annimmt. Zuweilen bringen die Beherrscher des litterarischen Geschmacks
ein Buch oder einen Schriftsteller oder gleich eine ganze Gruppe von Schrift¬
stellern in die Mode. So wurden bis vor einigen Jahrzehnten dem Knaben
gewisse Schriftsteller des vorigen Jahrhunderts von allen Autoritäten als „die
deutschen Klassiker" angepriesen. Er fühlte sich dadurch verpflichtet, die Uni-
vcrsalbibliothek der deutscheu Klassiker in der DuodezauSgabe anzuschaffen, und
wenn ihm das Geld reichte, kaufte er sich außerdem eine billige Ausgabe der
fünf, die man ihm als die größten nannte, oder wenigstens der zwei aller¬
größten unter den größten. Heute werden nur noch diese zwei, und außer ihnen
allenfalls Lessing gekauft. Aber auch gelesen? Nicht einmal nachgeschlagen,
wie die Korrekturen beweisen, die sich der Kladderadatsch allsonntäglich an den
Gvethezitaten der Tante Voß vorzunehmen genötigt sieht; einige Sentenzen
gehen von Mund zu Mund und von Käseblatt zu Käseblatt, wobei sie natür¬
lich verhunzt werden, und außerdem werden einige Stücke der Klassiker in den
Schulen gelesen, hie und da auch noch in einem Theater aufgeführt; das ist
das Ende der einhundertjährigen Herrlichkeit. Also die Verbreitung an sich
beweist nichts, und die englische Bibelgesellschaft am allerwenigsten. Ein eng¬
lisches Blatt verrät, daß man bei der Aussicht auf die Erschließung Chinas


Grenzboten I 1808 7ö
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/605>, abgerufen am 05.01.2025.