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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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Leo Taxil und der Kongreß von Trient
im Jahre ^8^6

er Mann, der unter dem Reinen Leo Taxil in den letzten Jahren
so viel hat von sich reden machen, heißt eigentlich Gabriel Jvgand
und ist 1854 in Marseille geboren. Seine Erziehung erhielt er
in einem Jesuitenkolleg bei Lyon und einer Schule in Marseille,
und mit siebzehn Jahren begann er seine schriftstellerische Lauf¬
bahn in Paris an einem radikalen Blatte. Damals nahm er den Namen Leo
Taxil an und warf sich in einen hitzigen Kampf für den Radikalismus in
Zeitungen und Schriften, wobei er sich Kirche und Klerus zum hauptsächlichen
Gegner erkor. Zwischen 1880 und 1885 gründete er 281 Freidenkervereine
mit 17000 Mitgliedern, gab ein eignes, diesen Zwecken gewidmetes Blatt
heraus, schrieb zahlreiche giftige Kampfschriften, die ihn fortwährend in Prozesse
und Strafen verwickelten, wurde 1881 Freimaurer, verließ aber den Orden in
demselben Jahre wieder wegen Streitigkeiten und begann nun als gereifter
Freibeuter und Schwindler seine unermüdlichen Raubzüge, indem er bald mit
einer angeblich gegen ihn erlassenen Exkommunikativnsbulle Leos XIII., bald
als falscher Privatsekretär des Erzbischofs von Paris für sich Reklame machte,
bald betrog und beschimpfte er den Klerus oder deu Papst, bald die Sozicilisten.
So entwickelte er sein selbst für einen Südfranzosen außerordentliches Talent
für Schwindel und Intrigue.

Als er die im Jahre 1884 erschienene Bulle des Papstes gegen die Frei¬
maurer las, beschloß er, diese als Unterlage für eine Mystifikation in großem
Stil zu benutzen. Er zog sich von den bisherigen kirchenfeindlichen Verbindungen
zurück, vollzog eine förmliche Bekehrung, sagte sich mit Abscheu von seinem
frühern Thun los und erklärte sich in dem ultramontanen "Univers" für einen
reuigen Sünder. Die Liga, die er gegründet hatte, mit ihren 17000 Gliedern,
schloß ihn nun freilich als "Schuft" und Verräter aus, und der Vorsitzende
nannte ihn mit Recht einen Komödianten; er irrte sich aber doch, denn Taxils
Meinung war keineswegs, die kirchenfeindliche Sache zu verraten; er schlug nur
andre Wege ein, die ihn zu den alten Zielen führen sollten: er war nach beiden
Seiten hin Komödiant geworden. Der päpstliche Nuntius in Paris empfing
den zerknirschten Bekenner und umarmte und segnete ihn unter Lossprechung




Leo Taxil und der Kongreß von Trient
im Jahre ^8^6

er Mann, der unter dem Reinen Leo Taxil in den letzten Jahren
so viel hat von sich reden machen, heißt eigentlich Gabriel Jvgand
und ist 1854 in Marseille geboren. Seine Erziehung erhielt er
in einem Jesuitenkolleg bei Lyon und einer Schule in Marseille,
und mit siebzehn Jahren begann er seine schriftstellerische Lauf¬
bahn in Paris an einem radikalen Blatte. Damals nahm er den Namen Leo
Taxil an und warf sich in einen hitzigen Kampf für den Radikalismus in
Zeitungen und Schriften, wobei er sich Kirche und Klerus zum hauptsächlichen
Gegner erkor. Zwischen 1880 und 1885 gründete er 281 Freidenkervereine
mit 17000 Mitgliedern, gab ein eignes, diesen Zwecken gewidmetes Blatt
heraus, schrieb zahlreiche giftige Kampfschriften, die ihn fortwährend in Prozesse
und Strafen verwickelten, wurde 1881 Freimaurer, verließ aber den Orden in
demselben Jahre wieder wegen Streitigkeiten und begann nun als gereifter
Freibeuter und Schwindler seine unermüdlichen Raubzüge, indem er bald mit
einer angeblich gegen ihn erlassenen Exkommunikativnsbulle Leos XIII., bald
als falscher Privatsekretär des Erzbischofs von Paris für sich Reklame machte,
bald betrog und beschimpfte er den Klerus oder deu Papst, bald die Sozicilisten.
So entwickelte er sein selbst für einen Südfranzosen außerordentliches Talent
für Schwindel und Intrigue.

Als er die im Jahre 1884 erschienene Bulle des Papstes gegen die Frei¬
maurer las, beschloß er, diese als Unterlage für eine Mystifikation in großem
Stil zu benutzen. Er zog sich von den bisherigen kirchenfeindlichen Verbindungen
zurück, vollzog eine förmliche Bekehrung, sagte sich mit Abscheu von seinem
frühern Thun los und erklärte sich in dem ultramontanen „Univers" für einen
reuigen Sünder. Die Liga, die er gegründet hatte, mit ihren 17000 Gliedern,
schloß ihn nun freilich als „Schuft" und Verräter aus, und der Vorsitzende
nannte ihn mit Recht einen Komödianten; er irrte sich aber doch, denn Taxils
Meinung war keineswegs, die kirchenfeindliche Sache zu verraten; er schlug nur
andre Wege ein, die ihn zu den alten Zielen führen sollten: er war nach beiden
Seiten hin Komödiant geworden. Der päpstliche Nuntius in Paris empfing
den zerknirschten Bekenner und umarmte und segnete ihn unter Lossprechung


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[0592] [Abbildung] Leo Taxil und der Kongreß von Trient im Jahre ^8^6 er Mann, der unter dem Reinen Leo Taxil in den letzten Jahren so viel hat von sich reden machen, heißt eigentlich Gabriel Jvgand und ist 1854 in Marseille geboren. Seine Erziehung erhielt er in einem Jesuitenkolleg bei Lyon und einer Schule in Marseille, und mit siebzehn Jahren begann er seine schriftstellerische Lauf¬ bahn in Paris an einem radikalen Blatte. Damals nahm er den Namen Leo Taxil an und warf sich in einen hitzigen Kampf für den Radikalismus in Zeitungen und Schriften, wobei er sich Kirche und Klerus zum hauptsächlichen Gegner erkor. Zwischen 1880 und 1885 gründete er 281 Freidenkervereine mit 17000 Mitgliedern, gab ein eignes, diesen Zwecken gewidmetes Blatt heraus, schrieb zahlreiche giftige Kampfschriften, die ihn fortwährend in Prozesse und Strafen verwickelten, wurde 1881 Freimaurer, verließ aber den Orden in demselben Jahre wieder wegen Streitigkeiten und begann nun als gereifter Freibeuter und Schwindler seine unermüdlichen Raubzüge, indem er bald mit einer angeblich gegen ihn erlassenen Exkommunikativnsbulle Leos XIII., bald als falscher Privatsekretär des Erzbischofs von Paris für sich Reklame machte, bald betrog und beschimpfte er den Klerus oder deu Papst, bald die Sozicilisten. So entwickelte er sein selbst für einen Südfranzosen außerordentliches Talent für Schwindel und Intrigue. Als er die im Jahre 1884 erschienene Bulle des Papstes gegen die Frei¬ maurer las, beschloß er, diese als Unterlage für eine Mystifikation in großem Stil zu benutzen. Er zog sich von den bisherigen kirchenfeindlichen Verbindungen zurück, vollzog eine förmliche Bekehrung, sagte sich mit Abscheu von seinem frühern Thun los und erklärte sich in dem ultramontanen „Univers" für einen reuigen Sünder. Die Liga, die er gegründet hatte, mit ihren 17000 Gliedern, schloß ihn nun freilich als „Schuft" und Verräter aus, und der Vorsitzende nannte ihn mit Recht einen Komödianten; er irrte sich aber doch, denn Taxils Meinung war keineswegs, die kirchenfeindliche Sache zu verraten; er schlug nur andre Wege ein, die ihn zu den alten Zielen führen sollten: er war nach beiden Seiten hin Komödiant geworden. Der päpstliche Nuntius in Paris empfing den zerknirschten Bekenner und umarmte und segnete ihn unter Lossprechung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/592>, abgerufen am 05.01.2025.