Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Ein sozialpolitischer Rückblick in die deutsche Geschichte (Schluß) n der Niederlage von Thciuß 1431 gegen die Hussiten zeigt Nur auf dem religiösen Gebiete gelangte die große Bewegung zum Siege, Ein sozialpolitischer Rückblick in die deutsche Geschichte (Schluß) n der Niederlage von Thciuß 1431 gegen die Hussiten zeigt Nur auf dem religiösen Gebiete gelangte die große Bewegung zum Siege, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0585" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227487"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341867_226901/figures/grenzboten_341867_226901_227487_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Ein sozialpolitischer Rückblick in die deutsche Geschichte<lb/> (Schluß) </head><lb/> <p xml:id="ID_2122"> n der Niederlage von Thciuß 1431 gegen die Hussiten zeigt<lb/> sich offenkundig die Ohnmacht des Reichs, und von da beginnt<lb/> das unaufhaltsame Sinken. In demselben Jahre erheben sich<lb/> zum erstenmale die armen Leut, und von nun an zeigt sich<lb/> die pessimistische Stimmung häusig genug in dem Wunsche,<lb/> „husfitisch" oder „schweizerisch" zu werden. Der Päpstliche Legat berichtet<lb/> über diese Bewegung nach Rom, „es sei zu besorgen, daß die Laien nach<lb/> Art der Hussiten gegen den ganzen Klerus losbrechen." Es war klar,<lb/> daß sich eine tiefe Revolution vorbereitete. I. G. Droysen charakterisirt die<lb/> öffentlichen Zustände folgendermaßen: „Aus Treue und Pflichtgefühl rechnete<lb/> niemand mehr, sie wurden von oben und von unten nicht mehr gefordert.<lb/> Zu helfen war nur durch tiefe Umwandlungen; in den Herzen der Menschen<lb/> mußte es anders werden, der Einzelne mußte aus dem niedrigen Kreis seiner<lb/> Selbstsucht und Gier emporgerissen werden, es mußte in ihm selbst das Gefühl<lb/> der Verantwortlichkeit und der Pflicht, das Bedürfnis der Erhebung und Ver¬<lb/> söhnung entzündet werden. ... Die öffentliche Macht mußte durchgreifen, den<lb/> Schwachen zu schirmen, und jedem das Seine zuweisend allen gerecht zu<lb/> werden. . . . Was sollten aber die Rechte der geistlichen und weltlichen<lb/> Herren, wenn der wesentliche Teil der entsprechenden Verpflichtungen be¬<lb/> deutungslos geworden war?"</p><lb/> <p xml:id="ID_2123"> Nur auf dem religiösen Gebiete gelangte die große Bewegung zum Siege,<lb/> auf dem feudalen und gewerblichen unterlag sie zunächst und konnte erst Jahr¬<lb/> hunderte später unter dem Schutze der erstarkten Territorialherren durchgesetzt<lb/> werden. Es ist das Verdienst der größten Hohenzollern, sich unter den Landes¬<lb/> herren zuerst und am entschiedensten an die Spitze dieser Bewegung gestellt<lb/> zu haben. Ihrem Einwirken ist es nächst der Reformation zuzuschreiben, daß<lb/> sich in Deutschland der Umschwung auf dem Wege der Reform, nicht wie in<lb/> Frankreich in einer furchtbaren Revolution vollzogen hat. Auch auf dem<lb/> kirchlichen Gebiet war es weniger die dogmatische, als die hierarchische und<lb/> wirtschaftliche Seite, in der sich alle Wünsche und Bestrebungen vereinten;<lb/> man erkennt dies ans den Pfaffenzänkereien der neuen Kirche und der innern<lb/> Reform der alten im Tridentiner Konzil.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0585]
[Abbildung]
Ein sozialpolitischer Rückblick in die deutsche Geschichte
(Schluß)
n der Niederlage von Thciuß 1431 gegen die Hussiten zeigt
sich offenkundig die Ohnmacht des Reichs, und von da beginnt
das unaufhaltsame Sinken. In demselben Jahre erheben sich
zum erstenmale die armen Leut, und von nun an zeigt sich
die pessimistische Stimmung häusig genug in dem Wunsche,
„husfitisch" oder „schweizerisch" zu werden. Der Päpstliche Legat berichtet
über diese Bewegung nach Rom, „es sei zu besorgen, daß die Laien nach
Art der Hussiten gegen den ganzen Klerus losbrechen." Es war klar,
daß sich eine tiefe Revolution vorbereitete. I. G. Droysen charakterisirt die
öffentlichen Zustände folgendermaßen: „Aus Treue und Pflichtgefühl rechnete
niemand mehr, sie wurden von oben und von unten nicht mehr gefordert.
Zu helfen war nur durch tiefe Umwandlungen; in den Herzen der Menschen
mußte es anders werden, der Einzelne mußte aus dem niedrigen Kreis seiner
Selbstsucht und Gier emporgerissen werden, es mußte in ihm selbst das Gefühl
der Verantwortlichkeit und der Pflicht, das Bedürfnis der Erhebung und Ver¬
söhnung entzündet werden. ... Die öffentliche Macht mußte durchgreifen, den
Schwachen zu schirmen, und jedem das Seine zuweisend allen gerecht zu
werden. . . . Was sollten aber die Rechte der geistlichen und weltlichen
Herren, wenn der wesentliche Teil der entsprechenden Verpflichtungen be¬
deutungslos geworden war?"
Nur auf dem religiösen Gebiete gelangte die große Bewegung zum Siege,
auf dem feudalen und gewerblichen unterlag sie zunächst und konnte erst Jahr¬
hunderte später unter dem Schutze der erstarkten Territorialherren durchgesetzt
werden. Es ist das Verdienst der größten Hohenzollern, sich unter den Landes¬
herren zuerst und am entschiedensten an die Spitze dieser Bewegung gestellt
zu haben. Ihrem Einwirken ist es nächst der Reformation zuzuschreiben, daß
sich in Deutschland der Umschwung auf dem Wege der Reform, nicht wie in
Frankreich in einer furchtbaren Revolution vollzogen hat. Auch auf dem
kirchlichen Gebiet war es weniger die dogmatische, als die hierarchische und
wirtschaftliche Seite, in der sich alle Wünsche und Bestrebungen vereinten;
man erkennt dies ans den Pfaffenzänkereien der neuen Kirche und der innern
Reform der alten im Tridentiner Konzil.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |