Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.Madlene I, i. ^. Löffler Erzählung aus dem oberfränkische" Volksleben von (Forischunn" ^. Die vermaledeite Welt le Welt. -- Sie ist weit und groß und erscheint dem oberflächlichen Unser geschichtsloscs Dörflein hat keine Mauern und verschließbaren Thore Der 28. Oktober ist angebrochen. Im Osten verkündet ein roter Saum am Auch Madlene hat die Hände gefaltet. Ihr wird dieser Morgensegen zum Madlene I, i. ^. Löffler Erzählung aus dem oberfränkische» Volksleben von (Forischunn» ^. Die vermaledeite Welt le Welt. — Sie ist weit und groß und erscheint dem oberflächlichen Unser geschichtsloscs Dörflein hat keine Mauern und verschließbaren Thore Der 28. Oktober ist angebrochen. Im Osten verkündet ein roter Saum am Auch Madlene hat die Hände gefaltet. Ihr wird dieser Morgensegen zum <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0561" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/227463"/> <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341867_226901/figures/grenzboten_341867_226901_227463_000.jpg"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Madlene<note type="byline"> I, i.<lb/> ^. Löffler</note> Erzählung aus dem oberfränkische» Volksleben von<lb/> (Forischunn»<lb/> ^. Die vermaledeite Welt</head><lb/> <p xml:id="ID_2002"> le Welt. — Sie ist weit und groß und erscheint dem oberflächlichen<lb/> Beobachter als die Fläche eines bunten, reichen Lebens, aus dem<lb/> man bei einigem Geschick, mit Klugheit und List ausgerüstet, nach<lb/> Herzenslust sein Teil herausnimmt. Aber dabei gestaltet sich die<lb/> Welt zu einem Netz, geflochten aus Geschick, Klugheit und List, worin<lb/> mancher unrettbar hangen bleibt. Und nun gehen ihm Abgründe<lb/> auf, tief und grausig, vom Giftqualm der Leidenschaft, Eigensucht, Bosheit und<lb/> stinkender Fäulnis durchwogt, daß ihn die Verzweiflung schüttelt. Das ist die ver¬<lb/> maledeite Welt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2003"> Unser geschichtsloscs Dörflein hat keine Mauern und verschließbaren Thore<lb/> und Schutzgräben; es liegt so blank und bloß da wie ein Lerchennest. Aber gegen<lb/> wuchernde Ausläufer der vermaledeiten Welt hat es einen Wall, über den nur der<lb/> Wind kümmerliche Keime schmuggelt. Dieser Schutzwall besteht in dem von den<lb/> Uralten vererbten Glauben und Brauch. Am deutlichsten erkennbar wird er in<lb/> Leid und Freud, bei Tod und Tanz. Da sehen und fühlen sich alle im Urerbe,<lb/> in Glauben und Brauch, als Zusammengehörige, als Zweige eines Stammes,<lb/> um denen Mitgefühl, Liebe und Treue, Humor und Witz als immergrüne Blatter<lb/> spielen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2004"> Der 28. Oktober ist angebrochen. Im Osten verkündet ein roter Saum am<lb/> Horizont einen sonnigen Tag. Hinter einem offenstehenden Fenster des Müsers-<lb/> hnuses steht Madlene. Vom Ma'ienvlan herüber schallt das grollende Geplätscher<lb/> des Brunnens und mischt sich mit dem Schnurren des Katers ans dem warmen<lb/> Südgeltendeckel, und die Schwnrzwdlderiu streut mit ihrem Ticktack Zeitschnitzel da¬<lb/> zwischen. Aber diese einförmigen, scheinbaren Unendlichkeiten werden plötzlich über¬<lb/> tönt vom „Morgensegen," der vom Malen aus dem anbrechenden großen Tag die<lb/> Weihe verleiht. Es ist für diesen Tag die erste That der Musikanten, die' sich<lb/> geräuschlos aufgestellt haben und einen Chornl blasen. Und wer ihn hört — ob<lb/> am offnen Fenster oder noch im Bett —, faltet mit Inbrunst die Hände. So wird<lb/> durch deu Glauben der Brauch gestärkt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2005" next="#ID_2006"> Auch Madlene hat die Hände gefaltet. Ihr wird dieser Morgensegen zum<lb/> Brautsegen. Zum erstenmal als Braut sieht sie den Tag anbrechen. Über Nacht</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0561]
[Abbildung]
Madlene I, i.
^. Löffler Erzählung aus dem oberfränkische» Volksleben von
(Forischunn»
^. Die vermaledeite Welt
le Welt. — Sie ist weit und groß und erscheint dem oberflächlichen
Beobachter als die Fläche eines bunten, reichen Lebens, aus dem
man bei einigem Geschick, mit Klugheit und List ausgerüstet, nach
Herzenslust sein Teil herausnimmt. Aber dabei gestaltet sich die
Welt zu einem Netz, geflochten aus Geschick, Klugheit und List, worin
mancher unrettbar hangen bleibt. Und nun gehen ihm Abgründe
auf, tief und grausig, vom Giftqualm der Leidenschaft, Eigensucht, Bosheit und
stinkender Fäulnis durchwogt, daß ihn die Verzweiflung schüttelt. Das ist die ver¬
maledeite Welt.
Unser geschichtsloscs Dörflein hat keine Mauern und verschließbaren Thore
und Schutzgräben; es liegt so blank und bloß da wie ein Lerchennest. Aber gegen
wuchernde Ausläufer der vermaledeiten Welt hat es einen Wall, über den nur der
Wind kümmerliche Keime schmuggelt. Dieser Schutzwall besteht in dem von den
Uralten vererbten Glauben und Brauch. Am deutlichsten erkennbar wird er in
Leid und Freud, bei Tod und Tanz. Da sehen und fühlen sich alle im Urerbe,
in Glauben und Brauch, als Zusammengehörige, als Zweige eines Stammes,
um denen Mitgefühl, Liebe und Treue, Humor und Witz als immergrüne Blatter
spielen.
Der 28. Oktober ist angebrochen. Im Osten verkündet ein roter Saum am
Horizont einen sonnigen Tag. Hinter einem offenstehenden Fenster des Müsers-
hnuses steht Madlene. Vom Ma'ienvlan herüber schallt das grollende Geplätscher
des Brunnens und mischt sich mit dem Schnurren des Katers ans dem warmen
Südgeltendeckel, und die Schwnrzwdlderiu streut mit ihrem Ticktack Zeitschnitzel da¬
zwischen. Aber diese einförmigen, scheinbaren Unendlichkeiten werden plötzlich über¬
tönt vom „Morgensegen," der vom Malen aus dem anbrechenden großen Tag die
Weihe verleiht. Es ist für diesen Tag die erste That der Musikanten, die' sich
geräuschlos aufgestellt haben und einen Chornl blasen. Und wer ihn hört — ob
am offnen Fenster oder noch im Bett —, faltet mit Inbrunst die Hände. So wird
durch deu Glauben der Brauch gestärkt.
Auch Madlene hat die Hände gefaltet. Ihr wird dieser Morgensegen zum
Brautsegen. Zum erstenmal als Braut sieht sie den Tag anbrechen. Über Nacht
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