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Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr.

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^udermanns biblische Tragödie Johannes

Heuschrecken und Honig pur,
Alter Herr, sind gänzlich wider meine Natur!

le vorstehenden Worte, die Offerus, nachmals Sankt Christo-
phorus, in der hübschen Legende von Friedrich Kind zu dem Ein¬
siedler spricht, der einen andern Johannes aus ihm machen will,
können mit gutem Grund auf den Dichter der neuesten Tragödie
"Johannes" angewandt werden. Ein Gefühl der Befremdung
darüber, daß sich der Verfasser der Romane "Frau Sorge," "Der Katzensteg"
und "Es war," der Dramen "Ehre," "Heimat" und "Das Glück im Winkel"
auf das Gebiet des biblischen Dramas begeben habe, erwachte bei der ersten
Kunde von diesem "Johannes" überall. Dann kam dem Verfasser das Verbot
der Aufführung des "Johannes" zu Hilfe, wobei unsre Behörden wieder einmal
ihr Ungeschick gezeigt haben, das sie immer haben, wenn sie in Angelegenheiten
der Kunst und Litteratur eingreifen. So entspann sich denn über das Werk,
das keiner kannte, dem nicht Sudermann unmittelbar einen Einblick gegönnt
hatte, eine Zeitungspolcmik voll leidenschaftlicher Erörterungen. Hatten diese
keine andre Frucht, so dienten sie doch als Reklame für die Dichtung, deren
Aufführung endlich Mitte Januar dieses Jahres am Deutschen Theater in
Berlin und am Hoftheater zu Dresden an demselben Abend erfolgte. Un¬
mittelbar zuvor war "Johannes" auch im Buchhandel veröffentlicht worden;*)
und daß schon die ersten Exemplare, die in irgend jemandes Hände gelangten,
die Bezeichnung zehnte und elfte Auflage trugen, gehört zu den Begleit¬
erscheinungen, mit denen die "Sensationen" auch bei uns aufzutreten allmählich
gelernt haben. Jedenfalls sind einige tausend Exemplare der Dichtung gleich
in den ersten Tagen nach ihrer Ausgabe verbreitet worden, und da inzwischen
andre Theater denen von Berlin und Dresden mit der Darstellung nachgefolgt
sind, so darf man heute wohl von "Johannes" wie von einer schon bekannten
und leicht zugänglichen Dichtung sprechen und gleich hinzufügen, daß die
Sudermannsche Tragödie immerhin ein Recht auf allgemeine Teilnahme und
auf ernste, eingehende kritische Würdigung hat, wennschon nur wenige Hörer,



*) Johannes. Tragödie in fünf Alten und einem Vorspiel von Hermann Suder¬
mann. Stuttgart, I, G, Vottnsche Buchhandlung, ,>M",


^udermanns biblische Tragödie Johannes

Heuschrecken und Honig pur,
Alter Herr, sind gänzlich wider meine Natur!

le vorstehenden Worte, die Offerus, nachmals Sankt Christo-
phorus, in der hübschen Legende von Friedrich Kind zu dem Ein¬
siedler spricht, der einen andern Johannes aus ihm machen will,
können mit gutem Grund auf den Dichter der neuesten Tragödie
„Johannes" angewandt werden. Ein Gefühl der Befremdung
darüber, daß sich der Verfasser der Romane „Frau Sorge," „Der Katzensteg"
und „Es war," der Dramen „Ehre," „Heimat" und „Das Glück im Winkel"
auf das Gebiet des biblischen Dramas begeben habe, erwachte bei der ersten
Kunde von diesem „Johannes" überall. Dann kam dem Verfasser das Verbot
der Aufführung des „Johannes" zu Hilfe, wobei unsre Behörden wieder einmal
ihr Ungeschick gezeigt haben, das sie immer haben, wenn sie in Angelegenheiten
der Kunst und Litteratur eingreifen. So entspann sich denn über das Werk,
das keiner kannte, dem nicht Sudermann unmittelbar einen Einblick gegönnt
hatte, eine Zeitungspolcmik voll leidenschaftlicher Erörterungen. Hatten diese
keine andre Frucht, so dienten sie doch als Reklame für die Dichtung, deren
Aufführung endlich Mitte Januar dieses Jahres am Deutschen Theater in
Berlin und am Hoftheater zu Dresden an demselben Abend erfolgte. Un¬
mittelbar zuvor war „Johannes" auch im Buchhandel veröffentlicht worden;*)
und daß schon die ersten Exemplare, die in irgend jemandes Hände gelangten,
die Bezeichnung zehnte und elfte Auflage trugen, gehört zu den Begleit¬
erscheinungen, mit denen die „Sensationen" auch bei uns aufzutreten allmählich
gelernt haben. Jedenfalls sind einige tausend Exemplare der Dichtung gleich
in den ersten Tagen nach ihrer Ausgabe verbreitet worden, und da inzwischen
andre Theater denen von Berlin und Dresden mit der Darstellung nachgefolgt
sind, so darf man heute wohl von „Johannes" wie von einer schon bekannten
und leicht zugänglichen Dichtung sprechen und gleich hinzufügen, daß die
Sudermannsche Tragödie immerhin ein Recht auf allgemeine Teilnahme und
auf ernste, eingehende kritische Würdigung hat, wennschon nur wenige Hörer,



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[0536] [Abbildung] ^udermanns biblische Tragödie Johannes Heuschrecken und Honig pur, Alter Herr, sind gänzlich wider meine Natur! le vorstehenden Worte, die Offerus, nachmals Sankt Christo- phorus, in der hübschen Legende von Friedrich Kind zu dem Ein¬ siedler spricht, der einen andern Johannes aus ihm machen will, können mit gutem Grund auf den Dichter der neuesten Tragödie „Johannes" angewandt werden. Ein Gefühl der Befremdung darüber, daß sich der Verfasser der Romane „Frau Sorge," „Der Katzensteg" und „Es war," der Dramen „Ehre," „Heimat" und „Das Glück im Winkel" auf das Gebiet des biblischen Dramas begeben habe, erwachte bei der ersten Kunde von diesem „Johannes" überall. Dann kam dem Verfasser das Verbot der Aufführung des „Johannes" zu Hilfe, wobei unsre Behörden wieder einmal ihr Ungeschick gezeigt haben, das sie immer haben, wenn sie in Angelegenheiten der Kunst und Litteratur eingreifen. So entspann sich denn über das Werk, das keiner kannte, dem nicht Sudermann unmittelbar einen Einblick gegönnt hatte, eine Zeitungspolcmik voll leidenschaftlicher Erörterungen. Hatten diese keine andre Frucht, so dienten sie doch als Reklame für die Dichtung, deren Aufführung endlich Mitte Januar dieses Jahres am Deutschen Theater in Berlin und am Hoftheater zu Dresden an demselben Abend erfolgte. Un¬ mittelbar zuvor war „Johannes" auch im Buchhandel veröffentlicht worden;*) und daß schon die ersten Exemplare, die in irgend jemandes Hände gelangten, die Bezeichnung zehnte und elfte Auflage trugen, gehört zu den Begleit¬ erscheinungen, mit denen die „Sensationen" auch bei uns aufzutreten allmählich gelernt haben. Jedenfalls sind einige tausend Exemplare der Dichtung gleich in den ersten Tagen nach ihrer Ausgabe verbreitet worden, und da inzwischen andre Theater denen von Berlin und Dresden mit der Darstellung nachgefolgt sind, so darf man heute wohl von „Johannes" wie von einer schon bekannten und leicht zugänglichen Dichtung sprechen und gleich hinzufügen, daß die Sudermannsche Tragödie immerhin ein Recht auf allgemeine Teilnahme und auf ernste, eingehende kritische Würdigung hat, wennschon nur wenige Hörer, *) Johannes. Tragödie in fünf Alten und einem Vorspiel von Hermann Suder¬ mann. Stuttgart, I, G, Vottnsche Buchhandlung, ,>M»,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 57, 1898, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341867_226901/536>, abgerufen am 05.01.2025.